Österreichische
Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle
Anweisung für
Marienthal
Wien, [im Dezember 1931],
Typoskript, 2 S.
S. 1
Anweisung
für Marienthal.
Die
Untersuchung geht von den objektiven und vorgegebenen Daten zu immer
psychologischeren und spezialisierteren vor.
I. |
Zuerst: Familien
und Altersaufbau, Wohnungsverhältnisse (ist bereits auf
Katasterblättern erhoben). |
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dann die zwei
Hauptfragen |
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A) Wovon leben
die Leute. |
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B) Wie
verbringen sie ihre Zeit. |
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ad A) |
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die Frage
zerfällt in drei Teile. |
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a) |
Woher
nehmen sie das Geld und Lebensmittel (wer
beschafft Sie [!]). |
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b) |
Was
konsumieren sie tatsächlich? |
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c) |
soweit ihre
Mittelverwendung eine freie ist, wodurch wird Sie [!]
charakterisiert (lieber mal hungern und dafür ins Kino? Wer
in der Familie ist am besten genährt? etz. [!]) |
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Quellen:
Haushaltungsstatistiken, karakteristische [!] Mahlzeiten und
Ausgaben, Erzählungen über Vergleich mit früher. |
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ad B) |
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Anlage
möglichst genauer Tagesinventare. Kann bei einzelnen
vielleicht durchgeführt werden, bei den meisten wird der
heutige und gestrige Tag erfragt werden müssen, bei einzelnen
weniger beweglichen kann vielleicht beobachtet werden. Sehr
wichtig ist dabei auch ein Inventar der Geräte über die
noch verfügt wird, Zeitungen Ge- [!] Radio, Bücher etz.
[!] eventuell auch ex contarrio1
also von der Pfandleihanstalt aus gesehen. Aus dem vorhandenen
ersten Material werden die ersten Ansatzpunkte herauszuholen zu
holen [!] sein für die Frage |
II. |
Stellung zur
Arbeitslosigkeit: |
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Was hat jeder
einzelne getan um Arbeit zu finden. |
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Wer
hat auswärts Arbeit gefunden, wieso? |
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Welcher
Arbeitsersatz wird geleistet? (Schrebergarten, Tierzucht, Arbeit
bei Bauern etz. [!]) |
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Stellung
zu gelegentlicher Arbeitsmöglichkeit. |
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Welche
Veränderungen hat die Zeitbewertung durchgemacht? |
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Empfinden
Verhältnisse: (Verzweifelt, resigniert, stumpf, abgefunden,
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S. 2
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zufrieden,
hoffnungsvoll.) |
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Welche Pläne
haben die Erwachsenen? |
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Welche Pläne
haben die Jugendlichen?
|
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Unterschiede
zwischen Arbeitslosen und Arbeitenden? |
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Verhältnis
zur Fürsorge (Nach H[ildegard]
Hetzer) |
III.) |
Schliesslich
suchen wir eine allgemeine Sozialkarakteristik [!] des Ortes, in
der Annahme, dass sich im Laufe der Erhebung auch hier Beiträge
zur Struktur der Arbeitslosigkeit finden werden, danach ist zu
verfolgen: Autorität der Eltern, Konflikte zwischen den
Bewohnern, Verhältnis der Geschlechter, Themen der
Vereinsabende, Verkehr mit der Aussenwelt, politische
Veränderungen. |
Im allgemeinen
sind drei Arten von Material zu unterscheiden:
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1.) |
Physikalisch-Statistisch:
Geld, Essen etz. [!] |
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2.) |
Psychologisch-Statistisches:
Beschäftigungen, Konflikte etz. [!] |
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3.) |
Umweltsmarken:
Karakteristische [!] Aussprüche und Verhaltungsweisen, die
die Stellung zur Aussenwelt, die »psychologische
Umwelt«
kennzeichnen. |
Als Ziel[e]
der Arbeit sind dreierlei anzusehn:
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1) |
Da[s] Phänomen
Arbeitslosigkeit möglichst fein zu karakterisieren [!], sei
es vom einzelnen her, sei es vom Kollektiv her. |
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2) |
Wenn möglich
mit Vergleich von früher und anderswo, oder durch Zerlegung
in Phasen die Wirkungen der A[rbeits-]L[osigkeit] zu zeigen. |
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3) |
Alle verfügbaren
Mittel der sozialpsychologie [!] einmal auf ein Kollektiv zu
konzentrieren, um zu sehen, wie weit heute eine Soziographie heute
schon möglich ist. |
Quelle:
Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich,
Nachlass Paul F. Lazarsfeld,
Signatur 1, Filmrolle 1.
Wie
alle Untersuchungen der »Österreichischen
Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle«
wurde auch die Marienthal-Studie im Team konzipiert und
durchgeführt. Man kann daher annehmen, dass Marie Jahoda in
irgendeiner Form an der Abfassung dieser »Anweisung«
beteiligt war, wenngleich der Großteil der Urheberschaft
Paul
Lazarsfeld
(1901-1976) zuzuschreiben sein wird.
Die
Veröffentlichung auf dieser Website erfolgt mit
freundlicher Genehmigung von Lotte Bailyn (Belmont,
Massachusetts) und Robert Lazarsfeld (Ann Arbor, Michigan).
©
Copyright Anfragen an das Archiv
1 Recte
ex contrario: lateinisch: im Gegenteil, im Gegensatz. Anmerkung
Reinhard Müller.
©
Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006
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"Zwei Jahre später"
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zu "Einstweilen wird es Mittag"
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