Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1500 bis 1599
Frühe Neuzeit
1520
1520 verkauft die Liebfrauen-Bruderschaft in der Domkirche zu Sankt Stephan die zuletzt
1471 im Besitz der Ladendorfer nachweisbare Hälfte der Herrschaft Gramatneusiedl an das
Metropolitankapitel zu Sankt Stephan. Damit ist die Herrschaft Gramatneusiedl wieder in einem Besitzstand vereint und bleibt dies auch bis zum Verkauf der Herrschaft 1840. Für 273 Jahre – es gibt eine Unterbrechung
1621 bis
1668 – ist die Herrschaft Gramatneusiedl im Alleinbesitz des
Metropolitankapitels zu Sankt Stephan.

1520
Um 1520 beginnt sich die Reformation auch im
Erzherzogtum Österreich unter der Enns auszubreiten. Ferdinand I. von Habsburg (1503–1564) tritt der neuen religiösen Bewegung, allerdings nur mit teilweisem Erfolg, am 3. März 1523 mit einem Verdikt gegen
evangelische Schriften entgegen. Die evangelischen Adeligen und ihre Untertanen erhalten erst durch die Religionskonzession, die Kaiser Maximilian II. von Habsburg (1527–1576) am 7. Dezember 1568 für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns erlässt, das Recht, das Messritual und kirchliche Gebräuche
nach evangelischer Art zu halten. Doch bereits in den 1570er
Jahren setzt die Gegenreformation ein.

1525
Die 1524 in Tirol, Salzburg und Oberösterreich ausgebrochenen Bauernaufstände greifen 1525 auch auf Stiftsbesitzungen
von Zwettl (Niederösterreich) und Lilienfeld (Niederösterreich) im Erzherzogtum Österreich unter der Enns über, doch kann Ferdinand I. von Habsburg (1503–1564) mit seinem Aufruf vom 4. April 1525 an die Obrigkeiten eine weiteres Ausbreiten der Aufstände im Erzherzogtum unter der Enns verhindern.
Eine der zahlreichen Gegenmaßnahmen ist etwa das am 18. Juni 1525 erlassene Verbot aller Kirtage – ausgenommen die gefreiten Jahrmärkte –, um Menschenansammlungen zu verhindern.

1528
Ferdinand I. von Habsburg (1503–1564) ordnet 1528 eine erste Visitation aller Pfarren an, um vor dem Hintergrund der sich rasant ausbreitenden evangelischen Ideen den Zustand der katholischen Kirche feststellen zu lassen.

1529
Anlässlich der so
genannten ersten Türkenbelagerung Wiens durch Sultan Süleyman I. von Osman / سليمان القانوني, genannt »Kanuni« oder »der Prächtige« (1494–1566), werden seit September bis Mitte Oktober 1529 große Teile des
Erzherzogtums Österreich unter der Enns verwüstet. Auch Gramatneusiedl wird durch türkische Truppen weitgehend zerstört, Häuser und die
Kapelle Sankt Peter und Paul werden in Brand gesteckt, die ortsansässige Bevölkerung wird fast vollständig ermordet oder vertrieben. Noch
1544 wird bezeugt, dass die niedergebrannte
Kapelle Sankt Peter und Paul nicht wieder hergestellt ist und lediglich 15 Bauernhöfe bewohnt sind.
(
Denkbuch Moosbrunn.)
Nach Jahrzehnten der völligen Stagnation kommt es im Zuge des Wiederaufbaus der Siedlung zur Neuinterpretation des ursprünglichen Siedlungsnamens als »Gramatneusiedl«, abgeleitet vom Wort »Grummet« (Grünmahd), welches die zweite Heuernte des Jahres bezeichnet. Heu ist neben Kraut bis Mitte des 19. Jahrhunderts das wichtigste Exportgut des Dorfes, hauptsächlich nach Wien, in geringerem Maße auch nach Ungarn verkauft.

1532
Im August 1532 dringen türkische Streifscharen unter Kommando von Kasım Beğ
(?–1532) erneut ins Erzherzogtum Österreich unter der Enns ein. Unter anderem durchstreifen diese
Akıncı – von der einheimischen Bevölkerung
als »Renner und Brenner« gefürchtet – auch das Steinfeld, an dessen nördlichem Ende Gramatneusiedl liegt, doch dürfte der ohnedies verwüstete Ort diesmal nicht direkt betroffen worden sein. Im September 1532 werden die türkischen Streifscharen vernichtend geschlagen.

1539
Am 6. Dezember 1539 beginnt die gewaltsame Vertreibung der Wiedertäufer, auch »Habaner« genannt, aus dem Erzherzogtum Österreich unter der Enns. Die als tüchtige Bauern und ausgezeichnete Handwerker geltenden Wiedertäufer gründen Arbeits- und
Wirtschaftsgemeinschaften, die »Haushaben«, weshalb sie aus religiösen wie wirtschaftlichen Motiven insbesondere vom evangelischen Adel gefördert werden. Für Gramatneusiedl ist jedoch eine Wiedertäufergemeinde bislang nicht belegt.

1544
Am 30. Januar 1544 weist Ferdinand I. von Habsburg (1503–1564) alle Juden und Jüdinnen aus dem Erzherzogtum Österreich unter der Enns aus.

1544
1544 gibt es
neuerlich eine Visitation der Klöster und Pfarren im
Erzherzogtum Österreich unter der Enns, auch in der Pfarre Moosbrunn
(Niederösterreich) einschließlich ihrer Filialkirchen Gramatneusiedl und Velm
(heute zu Himberg, Niederösterreich). (
Denkbuch Moosbrunn.) Der damalige
wirtschaftliche Zustand Gramatneusiedls lässt sich daran ermessen, dass die
1529 niedergebrannte Kapelle Sankt Peter und Paul als noch nicht wieder aufgebaut und dass lediglich 15 Bauernhöfe als bewirtschaftet genannt werden.

1550
Eine Gülteinlage aus dem Jahr 1550 verzeichnet für Gramatneusiedl bereits 22 bewirtschaftete Bauernhöfe.

1551
Am 31. Mai 1551 kommen als Vorboten der Gegenreformation die ersten Jesuiten (eigentlich Angehörige der Gesellschaft Jesu, »Societas Jesu«) nach Wien.

1551
Am 1. August 1551 erlässt Ferdinand I. von Habsburg (1503–1564) eine Kleiderordnung für Juden und Jüdinnen im Erzherzogtum Österreich unter der Enns: Sie werden gezwungen, auf ihre Kleidung einen gelben Ring aufzunähen.

1554
Am 20. Februar 1554 erlässt Ferdinand I. von Habsburg (1503–1564) das Verbot der Kommunion unter beiderlei Gestalt, wie sie von der lutherischen Kirche ausgeübt wird.

1560
Spätestens seit 1560 ist die Reformation auch in der für Gramatneusiedl zuständigen Pfarre Moosbrunn
(Niederösterreich)
nachweisbar. Der in diesem Jahr eingesetzte Pfarrer Christoph Zizlmann
(?–1562) liest die Messe in deutscher Sprache und ist mit einer Frau
namens Barbara verheiratet, mit der er auch eine Tochter hat. Bei seinem
Tod 1562 finden sich in des Pfarrers Nachlass reformatorische Schriften,
unter anderem von Martin Luther (1483–1546), Philipp Melanchthon (d.i. Philipp Schwartzerdt; 1497–1560) und Johann Spangenberg (1484–1550).

1561
Der humanistische Gelehrte Wolfgang Lazius (1514–1565), Historiograph, Kartograph und Arzt, veröffentlicht den gleichsam ersten Atlas von Österreich: Typi chorographici provinciæ Austriæ cum explicatione earundem pro commentariis rerum austriacarum
concinnati. Viennæ (Wien): Zimmermann 1561. Das Werk ist jedoch eher als Illustrationsband zu seiner geplanten österreichischen Geschichte anzusehen und vom kartographischen Standpunkt aus wegen des fehlenden Gradnetzes und eines auch nur einigermaßen zuverlässigen Maßstabes unbefriedigend.

1562
Der in der Moosbrunner Filialkirche Velm
(heute zu Himberg, Niederösterreich) als Kooperator tätige Bartholomäus Haynoga (?–1579) wird am 25. Juli 1562 Pfarrer von Moosbrunn
(Niederösterreich). Der bereits schwer Kranke heiratet 1578 in der Kapelle des Melker Hofs (Wien 1., Schottengasse 3 / Mölkersteig 4 /
Schreyvogelgasse 4) eine Wiener Bürgerswitwe; unter den Zeugen befindet sich auch Klaus Ridschau, Bauer in Gramatneusiedl. Einen Monat später stirbt der Pfarrer, doch seine Witwe führt unter dem Schutz von Urban Pernatz (1537–1587), Abt von Melk (1564–1587), den Pfarrhof
Moosbrunn weiter.

1568
Am 5. Dezember 1568 erlässt Maximilian II. von Habsburg (1527–1576) eine Religionskonzession für den Adel des
Erzherzogtums Österreich: Sie gestattet den Adeligen des Erzherzogtums Österreich ob und unter der Enns die freie Religionsausübung auf ihren
Burgen und Schlössern sowie in ihren Herrschaften; ausgenommen sind jedoch die landesfürstlichen Städte, welche in den 1570er Jahren dann zum Ausgangspunkt der Gegenreformation werden. Im Gegenzug verpflichten sich die
Stände, Schulden des Kaiserhofes zu übernehmen und eine einheitliche evangelische
Gottesdienstordnung (»Christliche Kirchenagenda«) auszuarbeiten. Nach Approbation der Kirchenagenda bestätigt Maximilian II. von Habsburg die Religionskonzession durch die so genannte Religionsassekuration vom 15. Januar 1571. Religionskonzession und Religionsassekuration gelten als Höhepunkt der
Reformation in Österreich.

1579
1579 gibt es ein letztes Aufbäumen der evangelisch eingestellten Bevölkerung von Moosbrunn (Niederösterreich),
also der Mutterpfarre von Gramatneusiedl, welche den reformierten Schullehrer Gallus Spitzweck zum neuen Pfarrer haben will, weil dieser bereits den
am 18. Januar 1579 verstorbenen
Pfarrer Bartholomäus Haynoga (?–1579) wiederholt vertreten habe. Urban Pernatz (1537–1587), Abt von Melk (1564–1587), setzt jedoch Matthäus Krinis als neuen Pfarrer ein. Am 3. Juni 1579 veranstaltet die gesamte Gemeinde Moosbrunn ein Verhör gegen Krinis,
welcher des unbilligen Lebenswandels, Tyrannisierens, des Aufruhrs, der
Falschaussage und der falschen Beschuldigung der Zauberei angeklagt
wird. (
Dokument.) Auch der Moosbrunner
Bauer Peter Adam schließt sich dieser Klage an. (
Dokument.) Melchior Khlesl (1553–1630), gerade erst
Probst zu Sankt Stephan in Wien geworden, sorgt 1580 dafür, dass Matthäus Krinis mit seiner Geliebten Moosbrunn verlassen muss.
Eine zumindest dauerhafte Reformierung der Christen von Gramatneusiedl ist nicht belegbar und wenig wahrscheinlich. Ein wichtiger Grund besteht wohl darin, dass die Reformation weder vom Inhaber der Herrschaft Gramatneusiedl, dem
Metropolitankapitel zu Sankt Stephan, noch von jenem der Mutterpfarre Moosbrunn, dem Hochstift Passau, unterstützt und gefördert wurde.

1583
Mit der Verbrennung der Bäuerin Elisabeth Plainacherin (um 1513–1583), einer Müllerstochter aus Mank (Niederösterreich), in Wien am 27. September 1583 beginnen die »Hexen«-Verfolgungen in den österreichischen Ländern, denen hier bis Mitte des 18. Jahrhunderts etwa 1.700 Menschen zum Opfer fallen. Für Gramatneusiedl selbst sind keine derartigen Verfolgungen bekannt, doch hat dieses kirchliche Massenphänomen gewiss auch die Katholiken dieses
Ortes geprägt.

1583
Mit kaiserlichem Patent vom 1. Oktober 1583 wird auch im
Erzherzogtum Österreich an Stelle des bisherigen Julianischen der bis heute gültige Gregorianische Kalender eingeführt.

1590
Zwischen 29. Juni und 12. November 1590 erschüttern mehrere Erdbeben das
Erzherzogtum Österreich. Das schwerste davon, am 15. und 16. September mit Epizentrum nahe Neulengbach (Niederösterreich), verursacht schwere Schäden, vermutlich auch in
Gramatneusiedl, und gilt als eines der bis heute heftigsten Erdbeben in Niederösterreich.

1590
Am 1. Juni 1590 erhalten die Bereitungskommissäre Rudolf Vischl und Hans Zölcher von den
Ständen des
Erzherzogtums Österreich unter der Enns den Auftrag, alle vier Viertel des Landes zu bereiten, um eine allgemeine kommissionelle Erhebung durchzuführen.
Der Begriff »Bereitung« kommt zwar zunächst von der amtlichen Besichtigung mittels Pferden, bedeutet dann aber
ganz allgemein Schätzung, insbesondere im Bereich des Steuerwesens. Es
ist dies die erste zuverlässige Erhebung in der Geschichte des Landes. In dem 1591 fertig gestellten Bereitungsbuch heißt es
unter anderem: »Graimadt Neusidl / Gehört ins
capitl zu
St. Stephan zu Wienn hat behauste gütter darunter ain mühl /
Summa 31 hauß.« Das heißt, es werden nunmehr 30 Bauernhöfe sowie eine Mühle bewirtschaftet. ( Text.)

1596
Im Oktober 1596 greift der seit 1594 im Erzherzogtum ob der Enns (Oberösterreich) währende Bauernaufstand auch auf das
Erzherzogtum unter der Enns (Niederösterreich) über. Im April 1597 wird der Aufstand blutig niedergeschlagen, noch ehe er bis in die
Gegend um Gramatneusiedl vordringen kann. Es folgen Hinrichtungen und schwere körperliche Bestrafungen von aufständischen Bauern.

© Reinhard Müller
Stand: Juni
2010
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