Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1880 bis 1889
1880
1880 lässt die
Textilfabrik Marienthal bei der Gaserzeugung einen kleinen Komplex mit
Spenglerei,
Geschirrerzeugung und Schmiede sowie Geschirrfirnislokal errichten.

1880
Mit Stichtag 31. Dezember 1880 findet in Österreich eine Volkszählung statt, die für Gramatneusiedl 1.489 Bewohner in 64 Häusern ausweist; für Marienthal wird erstmals bei den Gemeinden
Gramatneusiedl und Reisenberg erwähnt, ohne dass dafür eigene statistische Angaben gemacht werden. (
Text.)

1881
1881 findet eine grundlegende Renovierung der
Kirche Sankt Peter und Paul statt,
wobei sie auf Kosten der
Textilfabrik Marienthal außen und innen neu verputzt und das Kirchenschiff innen gestrichen, das Dach mit Blech beschlagen und auf Kosten der Freien Gemeinde Gramatneusiedl der Glockenturm um zweieinhalb Meter erhöht sowie der Dachstuhl des Kirchturmes repariert werden. Die
Arbeiten finden mit der Weihung des Turmkreuzes am 11. August 1881 ihr
Ende. ( Dokument.)

1881
1881 lässt die
Textilfabrik Marienthal das
Färberei-Hauptgebäude mit Kontor und
Warenlegerei sowie einer
Hot Flue-Heizung (Gasheizung)
errichten. Im Hof des Fabrikgasthauses wird für den
1866
gegründeten »Dilettanten-Verein Marienthal« ein
Tanz- und Theatersaal, Hauptstraße 70 (2004 abgerissen), angebaut, welcher mit dem Lokal durch zwei Türen verbunden ist. Im Gastgarten wird außerdem eine Sommerschank aufgestellt. Weiters lässt die Fabrik das
Arbeiterwohnhaus Gramatneusiedl 65 (ab 1961: Hauptstraße 45) und
an Stelle des
1864 errichteten und 1881 abgerissenen
alten Fabrikspitals das Arbeiterwohnhaus Spitalhof, Gramatneusiedl 69 (ab 1961: Hauptstraße 68), errichten.

1882
1882 erscheint ein biografischer Artikel über den Wiederbegründer der Textilfabrik Marienthal
Hermann Todesco (1791–1844) sowie dessen Söhne Eduard von Todesco (1814–1887) und
Moritz von
Todesco (1816–1873), verfasst von Constant von Wurzbach (1818–1893). (
Text.)

1882
Mit dem Reichs-Gesetz vom 4. Oktober 1882 wird die Wahlordnung dahingehend abgeändert, dass man in der Wählerklasse der Städte und Landgemeinden bereits ab einem Steueraufkommen von fünf Gulden aufwärts wahlberechtigt ist, wodurch die Anzahl der
Wahlberechtigten deutlich vergrößert wird.

1882
1882 lässt die
Textilfabrik Marienthal
als Ersatz für das
1864 eingerichtete
alte Fabrikspital ein
neues Fabrikspital, Gramatneusiedl 67 (ab 1961: Hauptstraße 43) errichten. Im Erdgeschoss befinden sich die Wohnung des Fabrikarztes sowie eine Badeanlage mit zehn Badewannen, zehn Brausen und einem Dampfbad mit zwei Kabinen, im ersten Stock die Apotheke, die Krankensäle und die Wohnung der
Krankenwärterin; am Dachboden ist ein kupfernes Wasserreservoir für die Badeanlage untergebracht. Um das Gebäude herum wird der Spitalsgarten angelegt, in welchem sich eine
Totenkammer und Waschküche, ein Eishaus, das später als Stall benutzt wird, und ein
Gartenhaus befinden. Das Fabrikspital wird
1931 von der
Freien Gemeinde Gramatneusiedl erworben und zu einem Wohnhaus umgebaut. Außerdem lässt die Textilfabrik Marienthal 1882 die
Druckerei (Rouleaux-Gebäude) und das
Arbeiterwohnhaus Gramatneusiedl 68
(ab 1961: Hauptstraße 52) errichten. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1883
Mit
dem Reichs-Gesetz vom 2. Mai 1883 wird die Bürger- von der Volksschule
getrennt, wobei die beiden Schultypen jedoch als »Allgemeine Volks- und
Bürgerschule« unter einem Leiter (der nunmehr den Titel »Direktor«
erhält) geführt werden können.

1883
1883 lässt die
Textilfabrik Marienthal beim
Bleiche- und Appreturkomplex eine
Sengerei errichten, weiters im Hof des Fabrikgasthauses einen kleinen Gebäudekomplex mit
Speisekammer, Eishaus,
Stall sowie Wagenremise und Stall.

1884
Am 29. September 1884 wird in
Gramatneusiedl gleichsam als Nachfolger des Polizeikommissariats von
1846
das
Gendarmerieposten-Kommando Gramatneusiedl mit dem Rayonsbezirk Gramatneusiedl, Moosbrunn,
Reisenberg und Velm
(heute zu Himberg) eingerichtet.

1885
Der Bauer Franz Fischer (1842–?) wird 1885 zum Bürgermeister von Gramatneusiedl gewählt und bekleidet
dieses Amt bis 1895.
(Zum Vorgänger siehe
1876.)

1885
Am 1. Juli 1885 wählt Rudolf Pellet (?–1885), Unterlehrer an der Schule Gramatneusiedl, den Freitod, indem er sich ein Messer ins Herz rammt.

1885
Mit dem Reichs-Gesetz vom 8. März 1885, »betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung«, werden der 11–Stunden-Arbeitstag eingeführt, Fabrikarbeit für Kinder unter 14 Jahren sowie Nachtarbeit für Frauen und Kinder verboten, die
Einrichtung von Gewerbeinspektoraten angeordnet.

1885
Gemäß dem Reichs-Gesetz vom 8. März 1885, »betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung«, wird die von
Hermann Todesco (1791–1844) im Jahr
1833 gründete Fabrikschule Marienthal am 2. August 1885 aufgelassen; seither besuchen alle Marienthaler Kinder die
Schule von Gramatneusiedl. Die
Zusammenlegung, die während des Schuljahres erfolgt, zeitigt das Problem, dass
dadurch mehrere Arten von Lesebüchern vorliegen. Da die Kinder der Fabrikarbeiter zu arm sind, um neue Bücher zu kaufen, macht die Direktion des »k(aiserlich) k(öniglichen) Schulbücherverlages« (Wien) diesen Schülern eine
größere Anzahl von Schulbüchern zum Geschenk.

1885
Am 1. Mai 1885 wird
die
1852 eingerichtete Postexpeditionsstelle Gramatneusiedl zu einem
Post- und Telegrafenamt
erweitert (Einstellung des Telegrafendienstes mit 31. Dezember 2005).

1885
1885
lässt die
Textilfabrik Marienthal das
Oxydationsgebäude mit Oxydationsvorhaus sowie
eine außerhalb Marienthals auf
freiem Feld stehende Scheune
(heute Acker bei Feldgasse 24) errichten.

1886
Mit dem Landesgesetz vom 30. März 1886 wird im
Kronland Österreich unter der Enns zur »Hintanhaltung des Haus- und Straßenbettels, sowie zur Verminderung des Landstreichens« die Errichtung von »Naturalpflegsstationen« angeordnet, wo arbeits- und
mittellose, jedoch arbeitsfähige Reisende Aufnahme und Verpflegung finden sollen.
1925 werden diese durch so genannte Herbergen für reisende Arbeitssuchende ersetzt.

1886
1886 eröffnet die Familie Sam in dem 1877 erbauten Haus
Reisenberg 131 (heute Mitterndorferstraße 4) ein Gasthaus, das bis zur Schließung Ende März
2006 im Familienbesitz bleibt. Das mit einem
beliebten Gastgarten versehene Lokal wird ein wichtiger Treffpunkt der Marienthaler Arbeiterschaft und Vereinslokal fast aller Marienthaler Arbeitervereine.

1886
1886
lässt die
Textilfabrik Marienthal das
Teigfarbenmagazin und das Druckwalzenmagazin
errichten. (
Plan 1886.)

1887
Am 17. Januar 1887 stirbt in Wien Eduard Freiherr von Todesco (1814–1887),
1858 bis
1864 Miteigentümer der
dritten Textilfabrik Marienthal, die er dann in eine Aktiengesellschaft umwandelte.

1887
1887 wird der Handlungsreisende Leopold Specht (1869–1927)
Generaldirektor der
Textilfabriken Marienthal und Trumau
(Niederösterreich). Der bis
1927 Tätige wird in Gramatneusiedl zu einer bekannten und geschätzten Persönlichkeit.

1887
1887 lässt die
Textilfabrik Marienthal die
Wäscherei sowie das
Arbeiterwohnhaus Hinterbrühl, Gramatneusiedl 75 (ab 1961: Hauptstraße 54;
1985 abgerissen) errichten. Damit ist die seit
1869 an der Hauptstraße errichtete Arbeitersiedlung fertig gestellt.

1888
Mit dem Reichs-Gesetz vom 30. März 1888 wird die verpflichtende Krankversicherung für Arbeiter und Arbeiterinnen eingeführt.

1888
1888
lässt die
Textilfabrik Marienthal eine
Kammholztrocknerei errichten.

1888
Vom 31. Dezember 1888 bis 1. Januar 1891 findet in Hainfeld (Niederösterreich) der so genannte Einigungsparteitag statt, auf dem die »Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs« (SDAP) gegründet wird. Eine Ortsgruppe dieser Partei entsteht
in Gramatneusiedl, nach einem gescheiterten Versuch 1891, erst
1906.

1889
1889 erscheint ein biografischer Artikel über den Direktor der ersten Textilfabrik Marienthal
Franz Xaver Wurm (1786–1860), verfasst von
Constant von Wurzbach (1818–1893). (
Text.)

1889
Am 12. Januar 1889 erscheint die erste Nummer der »Arbeiterzeitung« in Wien, seit 12. Juli 1889 offizielles »Organ der österreichischen Sozialdemokratie«.

1889
Am 18. Mai 1889 wird in Bukarest (Bucureşti)
Iakov Moreno Levy
(1889–1974) geboren, der zunächst unter dem
Namen
»Jakob Moreno
Levy«, dann unter jenem von »Jacob Levy Moreno« als Arzt und Psychiater
international berühmt
werden wird. Unter anderem wird er
1915 bis
1917 im »k(aiserlich)
k(öniglichen) Barackenlager Mitterndorf« seine Soziometrie entwickeln.
1889
1889 wird der »Radfahr-Club
›Eintracht‹ Marienthal« gegründet, der erste Radfahrverein Marienthals.

1889
1889 entfaltet die
Textilfabrik Marienthal wieder eine außerordentliche Bautätigkeit. Sie lässt das
Spinnerei-Dampfmaschinenhaus, das Spinnerei-Kesselhaus und
den
Spinnerei-Dampfschornstein I (40,70 Meter;
1931 umgelegt) sowie das Bleiche-Dampfmaschinenhaus, das
Bleiche-Kesselhaus und den
Bleiche-Schornstein (47 Meter;
1931 umgelegt) errichten. Im
Park
Herrengarten lässt sie das
Nördliche Gewächshaus (abgerissen
um
1965) mit
Bienenhütte und
Gartenwerkzeugschuppen
bauen. (
Plan 1889.)

© Reinhard Müller
Stand: Dezember
2013
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