Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1918
1918
Zwischen dem 14. und 29. Januar 1918 findet in den Industriegebieten des
Kronlandes Österreich unter der Enns der so genannte Jännerstreik gegen den Krieg statt. In Marienthal bleibt es jedoch weitgehend ruhig.

1918
1918 kauft
Heinrich Treer
(1882–1961) das zuletzt von Josefa Hollub (1854–1941) geführte Fabrikkaufhaus,
Reisenberg 118 (heute Mitterndorferstraße 2). Hier richtet er ein Kaufhaus (Spezerei und
Kolonialwaren) mit Fleischhauerei und Selcherei (alles
1988
geschlossen) sowie eine Alkoholausschank (1982 geschlossen) ein. In der
Marienthal-Studie heißt es in den Zeitverwendungsbogen zweier Arbeitsloser »15–16 beim Treer gewesen« (Leipzig 1933, S. 62) und »15–16 zum Treer1)
gegangen« (ebenda, S. 61), wobei es in der dazugehörigen Fußnote heißt: »1) Der
Name des Kaufmannes.« (
»Zum
Treer gegangen«.)

1918
Am 5. Juni 1918 besucht Max Vancsa (1866–1947) das
1915 eröffnete »k(aiserlich) k(önigliche)
Barackenlager Mitterndorf«, worüber noch im selben Jahr sein Bericht »Besuch des Flüchtlingslagers in Mitterndorf«
erscheint. (
Text.)

1918
Spätestens seit dem Sommer 1918 leidet die Textilfabrik Marienthal unter Rohstoffmangel, und der Verlust der Märkte in den ehemaligen östlichen
Kronländern Österreichs sowie in Ungarn führen zu einem
ökonomischen Desaster. Erstmals in der Geschichte der Textilfabrik Marienthal kommt es zu Massenentlassungen. Zugleich wird die Hungersnot im Bauerndorf Gramatneusiedl wie auch in der Arbeiterkolonie Marienthal immer drückender, und es beginnt eine bis Ende 1920 andauernde Periode
außerordentlicher Hungersnot.

1918
Seit Mitte September 1918 breitet sich im
Kronland Österreich unter der Enns eine Grippewelle (»Spanische Grippe«) aus, die bis Oktober anhält und zahlreiche Todesopfer fordert. Im Oktober wird vorübergehend die Abhaltung von
Theatervorstellungen, Singspielhallen- und anderen Produktionen, Kinematographenvorstellungen, Konzerten und Vorträgen verboten, Tanz- und Theaterschulen werden auf Zeit geschlossen.

1918
Seit 21. September 1918
sind Besitz und Verbreitung von Druckschriften, welche von feindlichen Luftschiffen oder Flugzeugen abgeworfen werden, im
Kronland Österreich unter der Enns verboten.

1918
Am 3. November 1918 ist der Erste Weltkrieg für
Österreich-Ungarn
vorläufig zu Ende. In
Gramatneusiedl kostete er 47 Menschen das Leben: 26, die auf den Schlachtfeldern ermordet wurden, 14, die im Militärdienst verstarben, und sieben Vermisste. Nicht mitgerechnet sind die zivilen Opfer, die an Hunger und an durch Nahrungsmittelmangel bedingten Krankheiten während und in den Jahren nach
dem Weltkrieg starben.

1918
Am 21. Oktober 1918 konstituiert sich im niederösterreichischen Landhaus in Wien die Provisorische Nationalversammlung des Staates Deutschösterreich.
Mit dem Beschluss vom 30. Oktober 1918 zu den grundlegenden
Einrichtungen der Staatsgewalt erfolgt die eigentliche Gründung eines
neuen Staates, doch bleibt die Entscheidung über die künftige Staatsform
zunächst noch offen.

1918
Mit Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 6. November 1918 wird die Unterstützung von Arbeitslosen neu geregelt.

1918
Der am
3. November 1918
mit einem Waffenstillstand vorläufig beendete Krieg
Österreich-Ungarns
wird am 11. November endgültig beendet.

Erste Republik
1918
Am 12. November 1918 wird die
Republik Deutschösterreich ausgerufen. Im Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform heißt es im Artikel 1: »Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten
werden vom Volke eingesetzt.« Und im Artikel 2 wird einleitend festgestellt: »Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.«

1918
Im Zuge der Neuordnung der Republik Deutschösterreich wird Gramatneusiedl, das bislang im
Kronland Österreich unter der Enns lag, am 14. November 1918 dem neu geschaffenen Land Österreich unter der Enns beziehungsweise
Niederösterreich
zugeordnet.

1918
Der Landwirt Matthias Spiegelgraber (1865–1939) wird im November 1918 zum Bürgermeister von
Gramatneusiedl gewählt und bekleidet dieses Amt bis
1919.
(Zum Vorgänger siehe
1911.)

1918
Mit Ausrufung der Republik Deutschösterreich am 12. November 1918 wächst die Angst in den bäuerlich-konservativen Kreisen Gramatneusiedls vor einer sozialdemokratischen Übermacht im Dorf. Der christlichsoziale Bürgermeister Matthias Spiegelgraber
(1865–1939) beantragt daher bei der Statthalterei Niederösterreich die Abtrennung Marienthals von Gramatneusiedl: Marienthal soll eine eigenständige Gemeinde werden. Dieser Antrag wird im Juli
1919 wieder zurückgezogen.

1918
Seit 4. Dezember 1918 sind im Land Österreich unter der Enns fast alle Theater, Kinos, Gast- und Kaffeehäuser aus Mangel an Beleuchtungs- und Heizmitteln geschlossen.

© Reinhard Müller
Stand: Juli
2011
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