Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1920
1920
Am 26. April 1920 richtet Ladislaus Jilek (1889–1981), Obmann der »I. Marienthaler Fußballriege 1908«, welche sich nun allerdings »Sportclub Marienthal. Gegründet 1908« nennt (der heutige »ASK Marienthal«), an die
Freie Gemeinde Gramatneusiedl ein Ansuchen um Überlassung eines besseren
Sportplatzes. In der Sitzung der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 19. Mai 1920 beschließt die
Gemeindevertretung einstimmig, den so
genannten Standhagen als Sportplatz bei einer Jahrespacht von 100 Kronen
bereitzustellen. Was dabei offensichtlich übersehen wird, ist der
Umstand, dass das Areal des Sportplatzes zwei Gemeinden gehört:
3.030 Quadratmeter liegen auf dem Gemeindegebiet von Gramatneusiedl,
4.120 auf jenem von
Mitterndorf an der Fischa
(Niederösterreich). Der Mitterndorfer Teil wird von der
Textilfabrik Marienthal als Grundeigentümerin dem Verein zunächst kostenlos überlassen und später schließlich geschenkt. Wegen der abzuführenden
Lustbarkeitssteuer für Veranstaltungen auf dem Sportplatz kommt es zunächst zwischen den beiden Gemeinden wiederholt zu Reibereien, doch wird diese Angelegenheit
1922 geregelt. 1920 tritt der »Sportclub Marienthal. Gegründet 1908« auch dem
1911 gegründeten
»Niederösterreichischen Fußball-Verband« bei.
(
Dokument.)

1920
Mit 1. Mai 1920 stellen die Bauern von Gramatneusiedl mit Zustimmung von Bürgermeister Josef Bilkovsky
(1871–1940) eine von den Landwirten selbst bezahlte Flurwache auf, um Diebstähle auf den Feldern
zu verhindern. Die jeweils vom 1. Mai bis 1. Dezember (mindestens bis
1923) tätige Einrichtung besteht aus insgesamt 24 Personen, wobei deren Organisation durch die »Landwirtschaftliche Genossenschaft Gramatneusiedl« erfolgt: Die beiden jeweils
Dienst habenden Organe dürfen je einen Revolver tragen.

1920
In der Nacht vom 18. auf
den 19. Mai 1920 wird in das
Gemeindeamt Gramatneusiedl eingebrochen, wobei aus der Gemeindekassa 18.722 Kronen und 40 Heller gestohlen werden. In der am 19. Mai 1920 stattfindenden Sitzung der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl kommt es zu
schweren Vorwürfen gegen den Kassier
Rudolf Theuer (1876–1940), dass derart hohe Summen in der Gemeindekassa lägen, statt
Zinsen bringend in einer Bank veranlagt zu sein. Dieser begründet den Betrag damit, dass mit der Reparatur
in den Armenwohnungen im
Schloss Gramatneusiedl gerechnet werden müsse.

1920
In der Sitzung der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 19. Mai 1920 werden die Landwirte neuerlich aufgefordert, ein größeres Kontingent Milch an die Gemeinde abzuliefern, um die Ernährungslage der Bewohnerschaft zu verbessern. Ferner wird »ohne
Debatte«, die Verstaatlichung der
Allgemeinen Volks- und Bürgerschule Gramatneusiedl einstimmig beschlossen. Weiters lehnt die sozialdemokratische Mehrheit den Antrag der christlichsozialen Minderheit auf Subventionierung der örtlichen Landwirte mit dem Hinweis ab, dass dann auch die Textilfabrik Marienthal von der Gemeinde
unterstützt werden müsse.
Bemerkenswert ist zweifelsohne die einstimmige Stellungnahme die
Gemeindevertretung zur Frage des
Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich: Sie fordert die österreichische Regierung und die Nationalversammlung auf, die Aufhebung des Anschlussverbots vom September
1919
beim Völkerbund zu erwirken. ( Dokument.)

1920
Seit etwa Juni 1920 entstehen mehrere Kleingartenanlagen, aus denen sich dann die ersten Kleingartensiedlungen in Gramatneusiedl entwickeln. Bis Ende der 1920er Jahre gibt es vier solche Siedlungen:
die Eisenbahner-Siedlung beim
Bahnhof Gramatneusiedl am
Bahnweg, die Hasenzüchter-Siedlung im Bereich der heutigen
Siedlergasse (hier existieren
bereits seit 1911 Kleingartenanlagen), eine Siedlung nahe dem
Friedhof Gramatneusiedl und die nördlich vom
Lagerhaus Gramatneusiedl gelegene
Steinriegelsiedlung in der heute gleichnamigen Straße. Seit Mitte der 1920er Jahre wird
außerdem die Ostseite der nach Marienthal führenden Hauptstraße planmäßig verbaut, doch dies erfolgt durch Privatpersonen, teils Arbeiter aus Marienthal, teils Gewerbetreibende aus dem Bauerndorf. Treibende Kräfte der Siedlungsunternehmungen sind die »Garten und Kleinwirtschaftssiedlungen in Gramat Neusiedl«
(seit 1924 »Gemeinnützige Bau- und Wohnungs-Genossenschaft Gartensiedlung, Ortsgruppe Gramat Neusiedl und Umgebung«) unter ihrem rührigen Obmann, dem Eisenbahnbeamten Leopold Hölbl (um 1880–1952), und die
Kaninchenzüchter, die sich allerdings erst
1930 in einem
Verein organisieren.

1920
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 6. August 1920 wird beschlossen, notwendige Reparaturen bei den
Gemeindehäusern durchzuführen: beim
Gemeindewirtshaus Nr. 1 im
Schloss Gramatneusiedl, beim
Isolierspital und beim Gerätehaus, Gramatneusiedl 50 (ab 1961: Hauptstraße 1;
1985 abgerissen und
1986
Neubau), der »Freiwilligen Feuerwehr Gramatneusiedl«. Die Vorhaben können angesichts der angespannten finanziellen Lage der Gemeindekasse erst im Sommer
1921 ausgeführt werden,
und auch dann nicht im geplanten Umfang. Ferner wird beschlossen, »Barackenholz«,
also Holz von den abgerissenen Baracken des ehemaligen »k(aiserlich) k(öniglichen) Barackenlagers Mitterndorf«,
von der Gemeinde
Mitterndorf an der Fischa
(Niederösterreich)
auf Gemeindekosten zu kaufen und ohne Gewinn an die örtliche Bevölkerung weiterzugeben.

1920
1920 beginnt in der
Freien Gemeinde Gramatneusiedl die Kommassation, also eine Zusammenlegung von Grundstücken, vor allem, um größere und damit leichter bestellbare Feldflächen zu erreichen. Die Grundstückzusammenlegung wird
1923 abgeschlossen.

1920
Aufgrund des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920 wird Niederösterreich ein selbstständiges Bundesland der demokratischen Republik Österreich, wobei das entsprechende Landesgesetz mit 1. Januar 1921 in Kraft tritt.

1920
Im Oktober 1920 lässt die Bezirkshauptmannschaft Mödling
(Niederösterreich)
der Freien Gemeinde Gramatneusiedl Ober- und Schuhleder zukommen, welches zur Anfertigung von billigen Schuhen für arme
Schulkinder verwendet wird.

1920
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl
vom 11. Dezember 1920 wird die
Ausgabenrechnung der Gemeinde vorgelegt. Sie weist ein Defizit aus (das einzige Mal in den Jahren 1919 bis 1932), was vor allem auf die sozialen Maßnahmen der öffentlichen Hand zurückzuführen ist. Andererseits konnte damit bis Ende 1920 die drängende
Not im Ort überwunden werden. Die ökonomischen Folgen von Krieg und Zusammenbruch der Monarchie werden aber erst etwa 1925 weitgehend überwunden sein.
Weiters wird beschlossen, den Betrag für die »Freiwillige Feuerwehr Gramatneusiedl« von 1.000 auf 3.000 beziehungsweise 5.000 Kronen zu erhöhen, um die Fuhrwerksbesitzer entlohnen zu können, welche
ihre Tiere für Feuerwehreinsätze zur Verfügung stellen.
Die Sitzung endet übrigens mit einem Eklat, nachdem der von den Christlichsozialen eingebrachte Antrag auf finanzielle Unterstützung der Fronleichnamsprozession durch die Gemeinde von den Sozialdemokraten abgelehnt wird.

1920
1920 lässt die
Textilfabrik Marienthal die
Neue Schmiede, den
Blocksägeschuppen und einen Kleintierstall errichten. Es sind
dies deren erste bauliche Maßnahmen seit
1915. Außerdem wird das Ledigenwohnhaus Kiebitzmühle nach
einem Brand teils renoviert, teils umgebaut.

© Reinhard Müller
Stand: Juni
2011
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