Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1925
1925
Mit dem Landesgesetz vom 29. Januar 1925 werden in
Niederösterreich die
1886 errichteten Naturalpflegsstationen durch so genannte Herbergen
für reisende Arbeitssuchende ersetzt, welche von den Gemeinden erhalten werden
müssen.

1925
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 26. Februar 1925 wird die Auflassung des
1866 errichteten Isolierspitals, meist »Choleraspital« genannt, Gramatneusiedl 126 (ab 1961:
Zur Piesting 11), und dessen Umwandlung in ein Wohnhaus beschlossen. Der Gemeindearzt Andreas
Hauswirth (1885–1975) bestätigt, dass bei allfälligen Infektionserkrankungen die Kranken in die Krankenhäuser von Wien eingeliefert würden. Im Sommer
1937 errichten englische Quäker
(eigentlich »The Religious Society of Friends«)
beim Wohnhaus Isolierspital ein Kinderbad, welches allerdings nie in Betrieb genommen wird;
1979 wird das Haus abgerissen.

1925
Gemäß dem Bundesgesetz vom 20. Dezember 1924 tritt mit 1. März 1925 die neue Schillingwährung in Kraft: 1 Schilling = 100 Groschen. Die Umrechnung erfolgt mit 10.000 Papierkronen = 1 Schilling beziehungsweise 1 Goldkrone = 1,41 Schilling. Der Wert
von einem Kilogramm Gold wird mit 6.000 Schilling festgelegt. Damit ist die
Nachkriegsinflation in Österreich endgültig überwunden. Anlässlich der Währungsumstellung wird auch eine »Gebäude-Schätzung
der Aktien-Gesellschaft der Baumwoll-Spinnereien, Webereien, Bleiche,
Appretur, Färberei u(nd) Druckerei zu Trumau – Marienthal. Fabrik
Marienthal« angefertigt, welche mit Stand vom Oktober
1926 eine detaillierte
Beschreibung und Bewertung aller Gebäude der Textilfabrik Marienthal enthält.

1925
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 29. April 1925 wird neuerlich die Frage der
1919 und erneut
1921 von den Christlichsozialen angestrebten Trennung Marienthals von Gramatneusiedl erörtert. Die Angelegenheit wird aber mit der ablehnenden Erklärung des christlichsozialen Gemeinderates Josef Moldaschl (1863–1937) endgültig für erledigt betrachtet.
(
Dokument.)

1925
Im Mai 1925 übernimmt
die »Vereinigte Österreichische Textil-Werke Mautner Aktiengesellschaft« von Isidor Mautner (1852–1930) und dessen Sohn Stephan Mautner (1877–1944) den Aktienbestand der »Actien-Gesellschaft der Baumwoll-Spinnereien, Webereien, Bleiche, Appretur, Färberei und Druckerei zu Trumau und Marienthal«, damit auch gleichsam die
Textilfabrik Marienthal.
Dieser Umstand führt in Marienthal zu einiger Verunsicherung. (
Dokument.)
1925 – in diesem Jahr findet
anlässlich des gesamtösterreichischen Textilarbeiterstreiks auch der letzte Arbeitskampf in der
Textilfabrik Marienthal statt – erlebt die Textilfabrik einen außerordentlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Unter anderem wird nunmehr auch Kunstseide erzeugt.

1925
In der Sitzung
der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 2. Juli 1925 wird die Versorgung des Ortes mit elektrischem Licht
durch Strom vom Elektrizitätswerk der Stadtgemeinde Mödling
(Niederösterreich) in Schranawand (heute zu Ebreichsdorf, Niederösterreich), welches auch die Fernleitung sowie das Transformatorhaus bauen soll, einstimmig – bei Stimmenthaltung des Christlichsozialen Karl Pecha (?–1937) – beschlossen. Die veranschlagten Gesamtkosten des
Projekts betragen 20.970 Schilling. Mit der Herstellung des Ortsnetzes wird gemäß einstimmigem Beschluss der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl in ihrer Sitzung vom 31. Juli 1925 die
»Elektrische Industrie-Gesellschaft« (EIG) in Wiener Neustadt (Niederösterreich) beauftragt; die veranschlagten Gesamtkosten dieses Projekts betragen 26.000 Schilling. Im November 1925 veranschlagt die Gemeinde die Gesamtkosten inklusive Fernleitung, Ortsnetz, Transformatorhaus und Hausanschlüsse auf
53.890 Schilling. Bereits im November 1925 wird die Elektrifizierung des Ortes feierlich in Betrieb genommen.
In der Sitzung vom 2. Juli 1925 wird weiters einstimmig beschlossen, das
Montessoriheim durch die Gemeinde mit 1.000 Schilling zu subventionieren.

1925
Am 15. Juli 1925 wird auf Initiative von Bürgermeister Josef Bilkovsky
(1871–1940) die
»Arbeiterheim
Marienthal, registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung« gegründet. Zweck der Genossenschaft ist: »1. Die Erbauung eines Hauses und die Erwerbung des dazu gehörigen Grundes. 2. Dieses Haus, das den
Namen ›Arbeiterheim in Marienthal‹ erhält, soll ein Vereinigungspunkt für alle Genossenschafter und Angehörigen, bez(iehungs)w(eise) Mitglieder jener Organisationen sein, welche der Genossenschaft als Mitglied angehören. 3. Es soll Raum bieten für Versammlungen, Veranstaltungen, Abhaltungen von
Vorträgen, Unterhaltungen und Zusammenkünften, ferner für Theateraufführungen und Konzerte und gleichzeitig ein Heim sein für die Kinder von Marienthal.« Die Mittel zur Erbauung dieses in der
Marienthal-Studie oft genannten Hauses sollen aufgebracht
werden: »a) Durch Zeichnungen von Anteilen. b) Durch Legate seitens der Mitglieder. c) Durch freiwillige Beiträge (Bausteine). d) Durch Ertrag von Vermietungen und Verpachtungen der Räumlichkeiten des Hauses.« Mitglieder der Genossenschaft können Arbeiter und Arbeiterinnen, Angestellte und
Kleingewerbetreibende sowie Vereine und Berufsorganisationen der Angestellten und Arbeiterschaft werden. Jedes Genossenschaftsmitglied hat eine Mindestkapitaleinlage von fünf Schilling zu erbringen, wobei es frei steht, auch mehrere Anteile zu erwerben. Der sozialdemokratische Charakter dieser
Genossenschaft wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, dass jede Generalversammlung im führenden niederösterreichischen Parteiorgan, »Gleichheit. Sozialdemokratisches Organ für die Interessen des arbeitenden Volkes« (Wiener Neustadt), angekündigt werden muss. Das Gebäude wird
1926 errichtet. ( Dokument,
Dokument
und Statuten.)

1925
In der Sitzung der Gemeindevertretung von Gramatneusiedl vom 31. Juli 1925 wird beschlossen, die gemeindeeigene
Bahnhofsrestauration, Gramatneusiedl 58 (ab 1961: Bahnstraße 64), einschließlich der Gast- und
Schankgewerbekonzession an den bisherigen Pächter Karl Wittner (1884–1953) und dessen Ehefrau Therese Wittner, geborene Griesmüller (1889–1952), um 35.000 Schilling zu verkaufen. Mit dem erzielten Verkaufspreis sollen Teilkosten der Elektrifizierung des
Ortes bestritten werden. Nach einer Beschwerde
der Vertreter der »Christlichsozialen Wirtschafts-, Gewerbe-, Hausbesitzer- und Bürgerpartei« zugunsten der ebenfalls an diesem Objekt interessierten »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« erfolgt mit Genehmigung der Niederösterreichischen Landesregierung vom 28. August 1925 der Verkauf des
Gasthauses samt Konzession und Grund mit Vertrag vom 30. September 1925 an Karl Wittner um 50.000 Schilling.

1925
Die im März
1924 gegründete Ortsgruppe Gramatneusiedl des christlichsozialen »Zentralverbands der christlichen Textil-, Heim- und Bekleidungsarbeiterschaft Österreichs« muss
unter Obmann Franz Rehaček (1891–1967) angesichts der mächtigen sozialdemokratischen Textilarbeitergewerkschaft vor Ort ihre Aktivitäten mit der Sitzung vom 9. September 1925
einstellen. (
Dokument.)

1925
Im September 1925 beantragt die »Freiwillige Feuerwehr Gramatneusiedl« bei der
Freien Gemeinde Gramatneusiedl den Ankauf einer Motor- oder Dampfspritze
aus Gemeindemitteln. Dieser kann allerdings erst
1929 erfolgen.

1925
Im Zuge der Kommassation (Grundstückzusammenlegung) erfolgt im September 1925 ein Grundstücktausch (so genannte Stierwiese nahe der Eisenbahnstrecke) zwischen den Gemeinden Reisenberg
und Gramatneusiedl.

1925
Nachdem die
Freie Gemeinde Gramatneusiedl 1925 den Ausbau, nämlich Ausbetonierung, der ehemaligen
Rossschwemme zu einem Löschteich beendet hat, weist die
»Actien-Gesellschaft der Baumwoll-Spinnereien, Webereien, Bleiche, Appretur, Färberei und Druckerei zu Trumau und Marienthal« nach, dass sich diese auf ihrem Grund befindet. Deshalb kommt es im
Oktober 1925 zu einem Grundstücktausch zwischen der
Textilfabrik Marienthal und der Gemeinde, in deren Eigentum nunmehr die
Rossschwemme übergeht.

1925
Im Oktober 1925 wird das
Gemeindewirtshaus
Nr. 1 im
Schloss Gramatneusiedl neuerlich an den langjährigen Pächter Adolf Scherer (bis Mai 1926) verpachtet.

1925
Im November 1925 beginnt die von der Nachbargemeinde Moosbrunn
(Niederösterreich) betriebene Regulierung der Piesting. Die
Freie Gemeinde Gramatneusiedl muss den Bereich Neubach räumen, die Textilfabrik Marienthal den ihr zukommenden
Anteil an der Piesting.

1925
Am 7. November 1925 findet die feierliche Inbetriebnahme der seit
1921 angestrengten und im Juli 1925 beschlossenen Elektrifizierung Gramatneusiedls statt. Nunmehr sind auch Gebäude wie die
Volks- und Bürgerschule, das Post- und Telegrafenamt
sowie der Bahnhof Gramatneusiedl mit Strom versorgt. Die Straßen werden elektrisch beleuchtet, und 99 Prozent der Ortsbewohner bekommen elektrischen Strom.

1925
1925 wird der »Spar- und Darlehens-Verein, registrierte Genossenschaft mit unbeschränkter Haftung« (die spätere »Raiffeisenbank«) gegründet, welcher von der
»Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl«
Personal für Kassen- und Buchhaltungsdienste sowie Kanzleiräume zur
Verfügung gestellt werden. (
Dokument.)

1925
Die
Kirche Sankt Peter und Paul erhält einen Ersatz für die
1917 abgelieferten Glocken. Die 300 Kilo
schwere »Peter und Paul Glocke«, Glockenton H, 80 Zentimeter Durchmesser und 84 Zentimeter hoch, hat ein Brustbild vom gekreuzigten Jesus sowie die Vollfiguren der Apostel Petrus und Paulus und trägt die Inschrift: »Gewidmet von der opferwilligen / BevOElkerung
aus Gramatneusiedl, / Marienthal, Neu-Reisenberg / B[in] g[e]g[ossen] / A[nno] D[omini] 1925«. Diese von der Firma
Arthur Krupp (1856–1938) in Berndorf (Niederösterreich) gegossene Glocke wird
1942 abgenommen.
Die neue 75 Kilo schwere »Vorletzte Glocke«, Glockenton Fis, 53 Zentimeter Durchmesser und 53 Zentimeter hoch, trägt
zunächst die Inschriften: »Durch freiwillige Spenden erworben 1925 / Wenn ihr heute meine Stimme hört / verhärtet eure Herzen nicht / Gegossen von Josef Pfundner, Wien X.«; der Spruch ist Psalm 95 aus der Bibel. Diese von Josef Pfundner (1874–1949) gegossene Glocke
wird
1934 erneuert.
Außerdem wird noch im November 1925 die elektrische Beleuchtung der
Kirche in Betrieb genommen. (
Denkbuch Moosbrunn.)

© Reinhard Müller
Stand: Oktober
2011
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