Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1936
1936
Januar bis Juni 1936 wird die Belegschaft der »Frommengerschen mechanischen Weberei und Schlichterei
Kurt Sonnenschein in Mariental« von
bisher etwa 100 Beschäftigten deutlich
reduziert. Erst in der zweiten Jahreshälfte 1936 kann wieder mit rund 100 Beschäftigten
gearbeitet werden. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1936
In der Sitzung des Gemeindetages der Ortsgemeinde Gramatneusiedl vom 31. Januar 1936 wird die Grundteilung zwischen der
»Actien-Gesellschaft der Baumwoll-Spinnereien, Webereien, Bleiche, Appretur, Färberei und Druckerei zu Trumau und Marienthal«
und dem Kaufmann Josef Boldischar
jun. (1914–1965) beschlossen. Dieser erwirbt dabei das
Arbeiterwohnhaus Schulhof,
Gramatneusiedl 44 (ab 1961: Hauptstraße 66), wo er in der straßenseitig gelegenen einstigen »Waaren-Halle« das
von seinem Vater
Josef Boldischar sen. (1881–1941)
im Jahr 1913 begründete und 1939 übernommene,
für Marienthal wichtige
Kaufhaus Boldischar bis betreibt; dieses wird zuletzt von
seiner Ehefrau
Aurelia Boldischar (1912–1989)
betrieben und 1982 geschlossen.

1936
Im Februar 1936 emigriert
Gertrude Wagner (1907–1992),
Mitarbeiterin an der
Marienthal-Studie,
nach Großbritannien. Sie wird
erst
1948
nach Wien zurückkehren.

1936
Pfarrer
Leopold Eder (1899–1963) klagt im Februar 1936: »Die Notlage ist groß, doch das
Kino in
Neureisenberg vollbesetzt, die Faschingsunterhaltungen zahlreich und gut besucht!!«
(
Denkbuch Moosbrunn.)

1936
Im März 1936 kommen 50 neue Schrebergärten zwischen Fischa und Mitterndorferstraße an bedürftige Bewohner Marienthals zur Vergabe, wofür die Pfarre Moosbrunn
(Niederösterreich) etwa fünf und die Freie Gemeinde Gramatneusiedl rund ein
halbes Joch Wiese bereitstellen. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1936
In der Vollversammlung der »Landwirtschaftlichen Genossenschaft Gramatneusiedl« vom 24. Mai 1936 wird die Gründung einer Filiale in Himberg (Niederösterreich) beschlossen. Dazu wird die so
genannte Raabmühle gepachtet, wo nach Adaptierungsarbeiten
1937 eine Mischfutterproduktion eröffnet wird. Erst im Februar 1951 kann das Gebäude durch die Genossenschaft gekauft werden. Weiters wird beschlossen, in Mannersdorf am Leithagebirge (Niederösterreich) die so genannte Gubiermühle zu pachten,
wo noch im selben Jahr der Filialbetrieb aufgenommen wird. Erst im Herbst 1950 wird ein eigenes Filialgebäude am Bahngrund eröffnet.

1936
Zur Finanzierung des
Kindergartens, der ehemaligen Kinderbewahranstalt, wird auf Betreiben von Pfarrer
Leopold Eder
(1899–1963) der »Verein
Jugendhilfe für Gramatneusiedl-Marienthal« gegründet, dessen Statuten mit Bescheid vom 23. Mai 1936 genehmigt werden. Der Verein wird
1938 von den Nationalsozialisten
aufgelöst. In der Sitzung des Gemeindetages der Ortsgemeinde Gramatneusiedl vom 4. Juni 1936
wird dem Verein die Erlaubnis zum Betreiben der Kinderbewahranstalt genehmigt und eine Finanzierung durch das Land Niederösterreich angestrebt: Der Erhalt der Kinderbewahranstalt liege im öffentlichen Interesse, weil nunmehr meist beide Elternteile außerhalb des Ortes arbeiten und daher eine ganztägige
Beaufsichtigung der Kinder notwendig sei. Im entsprechenden Schreiben des Bürgermeisters Leo
Isidor
Wiltschke (1876–1945)
wird der Wandel Gramatneusiedls in Richtung Pendlergemeinde neuerlich
offensichtlich. ( Dokument.)

1936
Das katholisch dominierte Ständestaat-Regime benachteiligt systematisch Personen ohne Glaubensbekenntnis. Einige ehemalige Freidenker treten daher in die katholische Kirche ein, viele schließen sich der evangelischen Kirche oder den Altkatholiken an. Dies trifft besonders
auf die einst starke
Freidenkerbewegung in Marienthal zu, wie Pfarrer
Leopold Eder (1899–1963) beklagt.
(
Denkbuch Moosbrunn.)

1936
In der Sitzung des Gemeindetages der Ortsgemeinde Gramatneusiedl vom 23. Juni 1936 werden Adaptierungsarbeiten im
Schloss Gramatneusiedl und im ehemaligen Fabrikspital,
dem nunmehrigen Gemeindewohnhaus, beschlossen. Die Arbeiten werden bis November 1936 abgeschlossen.

1936
Die im April
1929 begonnene, jedoch mehrfach unterbrochene Regulierung des Neubachs wird 1936 abgeschlossen.

1936
In der Sitzung des Gemeindetages der Ortsgemeinde Gramatneusiedl vom 14. September 1936 wird beschlossen, die Regelung der Gemeindegrenzen mit
Reisenberg (Niederösterreich), also die beabsichtigte Eingemeindung von
Neu-Reisenberg, wie sie schon
1935 beschlossen wurde, erst dann vorzunehmen, wenn auch das ehemalige
»k(aiserlich) k(önigliche) Barackenlager Mitterndorf«
in ein Eingemeindungsverfahren mit der Gemeinde
Mitterndorf an der Fischa (Niederösterreich) einbezogen wird. Eine endgültige Entscheidung fällt allerdings erst im März
1937, und diese betrifft nur Mitterndorf an der Fischa.
Neu-Reisenberg bleibt damit bei der Gemeinde Reisenberg und Marienthal
weiterhin auf zwei Ortsgemeinden aufgeteilt. (
Dokument.)

1936
Mitte Oktober
1936 wird in der
Volks- und Hauptschule auch die
Gewerbeschule Gramatneusiedl für Lehrlinge eröffnet, in welcher es an zwei Nachmittagen pro Woche Unterricht gibt; dazu kommt wöchentlich eine Stunde Religionsunterricht.

1936
In dem im Sommer erweiterten
Kindergarten Gramatneusiedl wird von
den
»Mariahilfschwestern Don Boscos«
die private
Nähschule der Mariahilfschwestern Don Boscos eingerichtet, welche im November
1936 ihre Tätigkeit aufnimmt und bis
1939 in diesen Räumlichkeiten
untergebracht bleibt.

1936
Am Allerseelentag, dem 2. November 1936, wird unter Leitung des Kooperators Anton Kummerer (1908–1990) sowie der Lehrer Viktor Brenner und Wilhelm Kindl »Jedermann. Das Spiel vom
Sterben des reichen Mannes, erneuert« (Uraufführung: Berlin, am 1. Dezember 1911) von
Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) im Katholischen Vereins- und Kinderheim durch Kinder und Jugendliche aus Gramatneusiedl
aufgeführt. ( Denkbuch Moosbrunn.)

1936
Am 27. November 1936 wird Marie Jahoda (1907–201), Mitarbeiterin an und Hauptautorin der
Marienthal-Studie, in Wien wegen des Verdachts auf illegale Betätigung für die »Revolutionären Sozialisten Österreichs« (RSÖ) verhaftet.
1937 wird sie deswegen verurteilt und nach ihrer Haftentlassung zur Emigration gezwungen werden.

1936
Im Dezember 1936 emigriert
Maria Deutsch (1907–1992), Mitarbeiterin an der
Marienthal-Studie,
nach Spanien. Hier ist sie unter dem Decknamen »Herminia Gonzáles« enge Mitarbeiterin ihres Mannes Julius Deutsch (1884–1968), damals General der Inter-Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg. Maria Deutsch wird
1938 nach Österreich zurückkehren.

1936
Am 16. Dezember 1936 wird durch einen Beamten der
Niederösterreichischen Landeshauptmannschaft die Gebarung (Buchhaltung) der Freien Gemeinde Gramatneusiedl überprüft.

© Reinhard Müller
Stand: Juli
2011
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