Große Chronik von Gramatneusiedl, Marienthal und Neu-Reisenberg
1946
1946
1946 erscheint ein biografischer Essay über den Direktor der ersten Textilfabrik Marienthal
Franz Xaver Wurm (1786–1860), verfasst von
Gustav Karl Bienek (1899–1972). (
Text.)

1946
Am 14. Februar 1946 wird
der seit April
1945 amtierende provisorische Bürgermeister Theodor Körner (1900–1919: Edler von Siegringen; 1873–1957) zum Bürgermeister von Wien – und damit auch Gramatneusiedl – gewählt; er hat dieses Amt bis Juni
1951 inne.

1946
Ein fast vierzehntägiger Sturm endet am 18. Februar 1946 mit einem Orkan. Während in den umliegenden Orten schwere Schäden entstehen, wird in Gramatneusiedl nur die auf dem Weg zur Raabmühle liegende Scheune des Josef Brauneder (1908–1971),
Gramatneusiedl 4 (ab 1961: Bahnstraße 9), niedergerissen.

1946
Am 8. März 1946 trifft
gemäß der Entschließung des
Vorjahrs die erste Lebensmittellieferung der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), die Hilfs- und Wiederherstellungsverwaltung der Vereinten Nationen, in Österreich ein: 8.000 Tonnen Weizen. Die in
Gramatneusiedl bis
Mitte März 1947 fortgeführten Hilfsaktionen der UNRRA erreichen einen Gesamtwert von rund 137 Millionen US-Dollar.

1946
Mit 18. März 1946 wird in Österreich die Lebensmittelration für den Normalverbraucher auf 1.200 Kalorien täglich herabgesetzt.

1946
Am 10. März 1946 wird der »ASK Marienthal« auf eigenen Wunsch aus dem Wiener Landesverband ausgeschieden und dem niederösterreichischen (1. Klasse Süd A) einverleibt.

1946
1946 geht die Marienthaler Weberei von
Kurt Sonnenschein (1906–195?) wieder in Betrieb: »Weberei Mariental, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Roh- und Buntweberei, Schlichterei und Ausrüstungswerk, Wäsche- und Berufskleider-Erzeugung«.
( Briefkopf.) Bald darauf kann auch eine Färberei in Betrieb genommen werden. Das Werk leiten vor
Ort geschäftlich der Finanzleiter Peregrin Treutner (1877–1961) und technisch der Obermeister Heinrich Jerabek (1892–1952), dem 1952 sein Sohn
Jaro Jerabek (1926–2006) folgt. Die Fabrik beschäftigt zunächst etwa 90 Personen. Die Rückerstattung des Unternehmens an die Familie Sonnenschein zieht sich jedoch lange
hin und wird erst um
1954 abgeschlossen.

1946
Im Mai 1946 kehrt
Maria Deutsch
(1884–1973),
Mitarbeiterin der der
Marienthal-Studie,
der nach einem gescheiterten Versuch im März
1938 im Mai 1939 die Flucht nach
Großbritannien gelang, von wo sie 1939 nach Frankreich ging, 1940 nach
Großbritannien zurückkehrte und schließlich über Kuba 1941 in die
Vereinigten Staaten von Amerika geflüchtet war, nach
Österreich zurück.

1946
1946 sind österreichweit über 56 Prozent der Kinder unterernährt. Deshalb gibt es wie an vielen Orten so auch in Gramatneusiedl seit 1946 für Kinder durch das Ausland, finanzierte tägliche Mittagsausspeisungen. Diese Ausspeisungen, welche im
Katholischen Vereins- und Kinderheim stattfinden, werden nach den spendenden Nationen benannt: beispielsweise »Dänische Ausspeisung«, nachdem am 24. April 1946 aus Dänemark 90 Tonnen Lebensmittel als Spende für hungernde Kinder in Niederösterreich eingelangt sind.

1946
Am 19. Juni 1946 beschließen der österreichische Nationalrat und der Wiener Landtag gleichlautende Gesetze, wonach 80 der 97 am 1. Oktober
1938 Groß-Wien zugeschlagenen Gemeinden wieder zu Niederösterreich gehören sollen, darunter auch Gramatneusiedl. Die
Durchführung des Gesetzes scheitert jedoch am Widerstand des Alliierten Rats. Erst am 1. September
1954 wird Gramatneusiedl dem
Bundesland Niederösterreich eingegliedert und als autonome Gemeinde wiederhergestellt.

1946
Gemäß Verordnung des Bundesministeriums für Justiz vom 27. Juni 1946 ist der Tag der Befreiung Wiens durch die Rote Armee, der
13. April, in Wien als so genannter Befreiungstag zu feiern. In allen übrigen Bundesländern wird der Befreiungstag am 9. Mai
gefeiert. Dieser staatliche Feiertag wird bis 1951 begangen.

1946
Mit dem »Befehl Nr. 17« vom 5. Juli 1946 (rückdatiert auf den 27. Juni) wird die Übergabe so genannten deutschen Eigentums an die sowjetische Besatzung angeordnet. Die »USIA / УСИА« (anfangs »USIWA / УСИВА«), eine Abkürzung für »Upravlenie
Sovjetskim Imuščestvom v Avstrii / Управление Советским Имуществом в
Австрии« (Verwaltung des sowjetischen Vermögens in Österreich), übernimmt
zahlreiche Unternehmen in ihrem Besatzungsbereich. Gramatneusiedl ist davon nicht betroffen, wohl aber die »Glasfabrik Moosbrunn« im Nachbarort Moosbrunn
(Niederösterreich), wo viele
Menschen aus Gramatneusiedl und Marienthal arbeiten. Die »USIA / УСИА«-Betriebe werden im Juli
1955 der österreichischen Bundesregierung
zurückgegeben.

1946
Im Juli 1946 beginnt eine groß angelegte Einquartierung von Soldaten der Roten Armee in Gramatneusiedl. Etwa 700 sowjetische Soldaten und deren Familien werden im Dorf untergebracht, vor allem in Privathäusern, insbesondere in den Bauernhöfen.
Außerdem befindet sich vom August 1946 bis August 1948 in Gramatneusiedl ein Stab der sowjetischen Besatzungsmacht, der in der
Amtsstelle im
Schloss Gramatneusiedl untergebracht ist. Hier befindet sich auch die Kanzlei des
sowjetischen
Ortskommandanten. Diese neuen sowjetischen Truppen verhalten sich gegenüber der Bevölkerung im Allgemeinen korrekt.
( Denkbuch Moosbrunn.)

1946
Kirchenrektor
Georg Grausam (1911–1977) beauftragt Baumeister Johann Frank (1885–1959),
Gramatneusiedl,
die Kriegsschäden an der
Kirche Sankt Peter und Paul auszubessern. Die Renovierungs- und Umbauarbeiten werden erst im Juni
1949 abgeschlossen. Zugleich beginnt Baumeister Johann Frank mit dem
Zubau zum Katholischen Vereins- und Kinderheim, welches nunmehr »Pfarrheim« genannt wird. In dem »Hofhaus« genannten Zubau wird auch die Wohnung des Kirchenrektors
Georg Grausam untergebracht, der
1950 erster Pfarrer von Gramatneusiedl wird. Aus Materialmangel kann dieser
Zubau erst 1947 fertig gestellt werden.
( Denkbuch Moosbrunn.)

1946
Der politisch belastete
Karl Geyer (1887–1978) wird 1946 als Direktor der Hauptschule Gramatneusiedl von
Josef Falge abgelöst. Zum Abschied komponiert und textet Geyer für Gramatneusiedl, wo er seit 1931 als Pädagoge tätig war, im Herbst 1946 »Das Gramatneusiedler-Lied«. (
Text und Partitur.)

1946
Im September und Oktober 1946 finden im ganzen Land, auch in Gramatneusiedl, Feierlichkeiten zum 950–Jahr-Jubiläum Österreichs statt.

1946
Am 30. September 1946 erklärt der Internationale Gerichtshof in Nürnberg
(Bayern) die »Schutzstaffeln« (SS.), die »Geheime Staatspolizei« (Gestapo) und den »Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS.« (SD.) zu verbrecherischen Organisationen.

1946
Am 6. Oktober 1946 wird die Zensur der Alliierten über die österreichische Inlandspost aufgehoben.

1946
Mit 10. November 1946 erhält der Normalverbraucher in Österreich täglich 1.550 Kalorien.

1946
Mitte Dezember 1946 beginnt es zu frieren. Die ungewöhnlich tiefen Temperaturen (minus 2 bis minus 20 Grad Celsius) dauern in Gramatneusiedl ungebrochen bis Mitte März 1947 an. Der Mangel an Holz und die geringen Kohlezuweisungen führen zu einer Welle
von Holzdiebstählen in den ohnedies wenigen Wäldern in und um Gramatneusiedl.

© Reinhard Müller
Stand: Juli
2011
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