Marie Jahoda-Lazarsfeld: Autorität und Erziehung in der Familie, Schule und Jugendbewegung Österreichs

In: Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung. Band 2. Paris: Librairie Félix Alcan 1936, S. 706-725.
Die Veröffentlichung auf dieser Website erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Lotte Bailyn, Belmont (Massachusetts).

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Autorität und Erziehung in der Familie, Schule und Jugendbewegung Österreichs.1)

Von Marie Jahoda-Lazarsfeld.



Inhalt.

I. Teil: Die Familie (hier nur ein kurzer Inhaltsauszug abgedruckt). S. 706. - II. Teil: Die Schule: die Anfänge der Volksschule. Die Schule des Liberalismus. Die Schulreform. Die Schule im heutigen Staat. S. 706. - III. Teil: Jugendbewegung. Historische Entwicklung. Sozialistische Jugendorganisationen. Katholische Jugendorganisationen. S. 717.

I. Teil: Die Familie.


Der erste Teil untersucht auf Grund von eigens für diese Arbeit zusammengebrachtem Material (Protokolle aus Erziehungs-BeratungssteIlen sowie statistische Erhebungen an einer Wiener Hauptschule) und unter Zuhilfenahme der Familienforschungen von Charlotte Bühler die Erziehungsziele und Erziehungsmittel der Familie. Ein ausdrückliches Bewusstsein der Erziehungsziele liegt bei den meisten Familien nicht vor. Die Anforderungen der Eltern an die Kinder werden in fünf Gruppen zusammengefasst: Einfügung in die Gemeinschaft, Entlastung der Familie, Anerkennung der Autorität, Vorbereitung auf den Lebenskampf, Selbstbeherrschung. Die Anlässe für Bestrafung werden in Autoritätsdelikte, Händel mit Geschwistern und Anrichtung von Sachschaden gegliedert. Bei den Strafen sowie bei den andern Erziehungsmitteln ergeben sich bedeutende Differenzierungen je nach dem Milieu und der sozialen Herkunft der Familie. Eingehende Untersuchung erfahren die Autoritätsverhältnisse in den Familien: auf Grund des Materials kommt Verfasser zu dem Ergebnis, dass »der hierarchische Aufbau der Familie mit dem Vater als Autoritätsträger gegenwärtig zwar bedroht ist, aber weiter besteht.«

II. Teil: Die Schule.


»Die Schule ist ein Politikum.«1 Dieser Satz drückt aus, dass die Entwicklung der Schule sich nur im engsten Zusammenhang mit der Geschichte verstehen lässt. Die jeweilige Organisationsform und das Bildungsniveau der Schule sind ein Ausdruck der wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte einer Epoche. Wir müssen uns damit begnügen, einige repräsentative Phasen aus der Geschichte der österreichischen Schule auszu-

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wählen, um den Wandel des Autoritätsbegriffes in den Schulinstitutionen zu zeigen.
Als ersten Abschnitt der Entwicklung der Schule kann man die Periode ansehen, die mit dem Jahre 1869 ihren Abschluss gefunden hat, als durch das Reichsvolksschulgesetz die Schulerziehung der gesamten Bevölkerung prinzipiell vom Staat als Aufgabe übernommen wurde. Die zweite Periode umfasst das auf dem Reichsvolksschulgesetz basierende Schulwesen der bürgerlich-liberalen Epoche. Ihr schliesst sich die Zeit der Schulreform von 1918 bis 1933 an, die auf dem demokratischen Prinzip beruht. Zuletzt werden wir versuchen, die Tendenzen der neuesten Entwicklung anzudeuten.
Die Anfänge der Volksschule:
Die Periode bis zum Jahre 1869 umfasst so mannigfaltige Erziehungsformen und Schulorganisationen, dass wir nur versuchen können, sie hier in schematischer Form darzustellen.
Die Erziehung, die den Grundgedanken des Feudalismus entspricht, war die Ausbildung einer beschränkten Zahl bevorrechteter Kinder, ihr Ziel die Verankerung des Standesbewusstseins. Es gab zwar auch schon damals pädagogische Ideen, die dem damaligen Stande der Schule weit vorauseilten, die Erziehungsideen des Humanismus und die methodischen und organisatorischen Schulpläne eines Comenius2 etwa, doch fanden sie in keiner Institution der damaligen Zeit einen realen Ausdruck. In allen Schriften der geistigen Vorbereiter der französischen Revolution und der Aufklärung wird die Realisierung dieser Ideen als Forderung an den Staat dargestellt. Die Konstitution des Tiers Etat3 in der französischen Revolution bedeutet den politischen Ausdruck der wirtschaftlichen Stellung, die das Bürgertum in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts errungen hatte, und brachte den kulturellen Kampf gegen die feudalistische Ideologie mit sich, das heisst auf die Schulfrage angewendet, die Ideen einer sich auch auf das Bürgertum erstreckenden Schulorganisation. Der aufgeklärte Absolutismus in Oesterreich versuchte den befürchteten Wirkungen der revolutionären Ideen auf die Volksmassen entgegenzutreten, indem er einige der neuen Gedanken von oben her durchführte. Sowohl Maria Theresia als auch Josef II.4 haben in ihren Schulerlässen eine Verbreitung der Schulbildung angestrebt. Im Jahre 1767 entstanden die ersten Normalschulen. Allerdings blieben diese Bestrebungen zunächst vereinzelt. Die industrielle Revolution zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Arbeiter erforderte, die mit Maschinen umgehen konnten, deren geistige Vorbildung eine Anlernung an komplizierte technische Funktionen ermöglichte, unterstützte erst diese Tendenz. Die allgemeine Schulpflicht erschien als unumgänglich notwendig. In dieser Erkenntnis wurden damals in Österreich Schulen in grösserer Anzahl gegründet, doch wurde ihr Erziehungsziel aus Angst vor der Bildung der grossen Masse so eng gesteckt, wie es überhaupt nur möglich war.
Im Jahre 1805 verordnete die Schulverfassung für »die Kinder derjenigen nützlichen Klasse von Menschen in Stadt und auf dem Lande, welche ihren Unterhalt beinahe bloss durch Anstrengung ihrer physischen Kräfte

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erwerben«, in den »Trivialschulen« in erster Linie die Pflege des Gedächtnisses und erklärte: »Nur nach den Bedürfnissen der Kinder muss man ihnen auch rechte Begriffe beibringen und ihre Empfindungen erwecken, jedoch nur solche, welche für Menschen ihres Standes und Berufes notwendig sind, deren vorzüglicher Zweck die Moralität ist und die zur Erweckung derselben bei dieser Klasse von Untertanen geeignet sind. Vor allem aber soll dabei auf ihren Willen gesehen werden, wozu bei dieser Menschenklasse nur durch Autorität und durch von Autorität hergeholte Gründe, unter welche auch die den Trieb der Nachahmung reizenden Beispiele zu rechnen sind, gewirkt werden kann.« Und von den Lehrern heisst es, sie werden sich aller weiteren Entwicklungen als jener, die in dem Schul- und Methodenbuche genau vorgezeichnet sind, strenge zu enthalten haben und allemal nur dahin trachten, dass das Auswendigzulernende fest behalten werde.
Die Lehrer in diesen Trivialschulen gehörten zu dem verachtetsten Stande. Es waren gewöhnlich Handwerker, die es in ihrem Berufe zu nichts bringen konnten, an der Meisterprüfung gescheitert waren, oder Kriegsinvalide, für die in irgend einer Form ein Existenzminimum von Staats wegen geschaffen werden musste, und die selbst mit Mühe und Not das Lesen und Schreiben erlernt hatten. Das Sinnbild dieser Schule war der Prügelstab. Es wird berichtet, dass die Schulräume zu jener Zeit durch das Wehgeschrei, das aus ihren Mauern ertönte, erkenntlich waren. Die Schulmeister hatten einen sechswöchigen, im besten Fall einen einjährigen Ausbildungskurs zu absolvieren.
Die Zustände änderten sich wenig durch die Überantwortung der gesamten Schule an die Geistlichkeit, die im Konkordat von 1855 verwirklicht wurde, das den Zweck hatte, den »revolutionären Schutt« von 1848 zu beseitigen. Die Überwachung der Schule durch die Bischöfe garantierte jedoch ein etwas höheres Bildungsniveau. Der fünfte Artikel des Konkordats bestimmte, dass der ganze Unterricht der Jugend der Lehre der katholischen Religion angemessen sein müsse, dass in keinem Lehrgegenstande etwas vorkommen dürfe, was der katholischen Lehre widerspreche. Zweck der Schule blieb nach wie vor, »herzensgute Untertanen« zu erhalten.
Für die Kinder der breiten Massen kam in der Regel nur die einklassige Volksschule mit über 100 Kindern in einem Raum in Betracht. Oft hielt man vier Jahre ungeregelte Schulzeit für ausreichend, Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion zu erlernen.
Die Schule des Liberalismus:
Der ungeheure Aufschwung des Bürgertums liess Gegenkräfte gegen die klerikal-absolutistische Richtung entstehen: Das Konkordat wurde unter dem Drucke des liberalen Bürgertums 1869 gekündigt; schon 1867 war das höhere öffentliche Schulwesen dem Einflusse der Kirche entzogen worden. Die neue weltliche Schule unterstand einer eigenen weltlichen Behörde, der Religionsunterricht war auf wenige Stunden beschränkt. Das Reichsvolksschulgesetz vom 14. Mai 1869 brachte darüber hinaus entscheidende Veränderungen für die gesamte Schulorganisation, vor allem die endgültige

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Liquidierung des Analphabetismus durch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht vom 6. bis zum 14. Lebensjahr. Die Lehrerbildung wurde auf 4 Jahre erhöht, neue Unterrichtsgegenstände eingeführt, vor allem Naturgeschichte, Naturlehre, Geographie, Geschichte, Gesang, Handarbeiten und Turnen. Dieses Gesetz ist die Krönung der Entwicklung, die vor der französischen Revolution begonnen hatte, es ist ein Ausdruck für den Sieg des Bürgertums über den Feudalismus.
Die Schulperiode zwischen 1869 und 1918 bringt eine Reihe von Veränderungen des Reichsvolksschulgesetzes. Der ausserordentliche Fortschritt des Jahres 1869 erwies sich als zum Teil den Interessen der Wirtschaft widersprechend. Die Reste des Feudalsystems, die vor allem auf dem Lande bestehen geblieben waren, erschwerten das Einhalten der allgemeinen Schulpflicht. Im Laufe der Zeit wurden viele Gesetze bewilligt; die für Schulkinder auf dem Lande den Schulzwang lockerten. Die Bauern, die beim Grossgrundbesitzer arbeiteten, kamen in der Erntezeit mit der Bestellung der eigenen Felder nicht nach und hielten die Kinder von der Schule zurück. Anders lagen die Verhältnisse in der Stadt. Dort machte sich das Bedürfnis nach speziell ausgebildeten Arbeitern geltend; bei der städtischen Bevölkerung, die in der besseren Schulbildung grössere Aufstiegsmöglichkeiten für ihre Kinder sah, fand die allgemeine Schulpflicht viel geringeren Widerstand. Daneben bestand die Notwendigkeit einer speziellen Ausbildung für die verschiedenen Zweige des bürgerlichen Berufslebens. Ein starkes Bedürfnis nach höheren und mittleren Beamten, gebildeten Kaufleuten und Vertretern der freien Berufe erforderte neue Schulen.
Diese verschiedenen gesellschaftlichen Voraussetzungen fanden in der Durchführung der schulorganisatorischen Gesetze ihren Ausdruck. Auf dem Lande blieb die achtklassige Schule bloss nominell. Die Kinder gingen weiterhin jahrelang in dieselbe Klasse, denn alle Altersstufen wurden gemeinsam unterwiesen. Der Übertritt aus solchen Dorfschulen auch nur in die Bürgerschule einer benachbarten Kleinstadt war praktisch meist unmöglich, weil die geistige Vorbildung unzureichend war. Die Kluft zwischen Stadt- und Landbevölkerung verschärfte sich. In der Stadt mit ihren differenzierten Erfordernissen setzten sich die vorgesehenen mannigfaltigen Schultypen durch.
Der Lehrstoff an den niederen Lehranstalten beschränkte sich auf die wichtigsten Daten aus den Wissensgebieten, die wir bereits angeführt haben. In den höheren Lehranstalten wuchsen die Anforderungen von Jahr zu Jahr, weil man versuchte, den gesamten überlieferten Lehrstoff beizubehalten und der enormen Entwicklung der modernen Naturwissenschaft Rechnung zu tragen. Das Unterrichtsziel bestand in der Vermittlung eines möglichst grossen »positiven« Wissens, mit weitgehendem Ausschluss der Schulung der kritischen Denkfähigkeit. (Die Literatur hat in einer Fülle von Romanen die übergrosse Belastung der jungen Menschen durch diese Anhäufung von Wissensstoff dargestellt.) Allerdings stellte die Einführung der modernen Wissenschaft einen Bruch in diesem Prinzip dar. Es wurde ein immanenter Gegenstand geschaffen, der im weiteren Verfolg wohl auch eine der Wurzeln der Schulkritik, wie sie von den Schülern geübt wurde und in der Jugendbewegung ihren Ausdruck fand, darstellt. Diese

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Gegensätzlichkeit fand ihren krassesten Ausdruck in dem Nebeneinander von Religions- und Naturgeschichtsstunden, wobei auf die offensichtliche Diskrepanz beider Weltanschauungen in keiner Weise eingegangen wurde. Die Schule vermied es, sich mit Weltanschauungsfragen auseinanderzusetzen, und überliess es im allgemeinen der Jugend sich irgendwie damit zurechtzufinden. Die Gefahr, dass die Kritik der Jugend diesen Widerspruch aufdeckte, war jedoch der Schulbehörde wohl bewusst, wie aus einer Stelle in einem Erlass des österreichischen Ministeriums für Kultus und Unterricht aus dem Jahre 1884 hervorgeht: »... in den realistischen, insbesondere geschichtlichen Gegenständen auf das Sorgfältigste zu vermeiden, was, wenngleich wissenschaftlich feststehend und wertvoll für Forschung und Lehre, doch in der Volksschule geeignet ist, die kindlichen Begriffe zu verwirren und die Grundlage der in den Schulen heranzubildenden religiösen Überzeugung und ihrer Anhänglichkeit und Liebe zum gemeinsamen Vaterland unsicher und schwankend werden zu lassen.« Hier spricht ganz unverhüllt das klerikal-monarchistische Staatsinteresse. Wenn aber die Philologen der Gymnasien ängstlich von der »materiellen Richtung der Zeit, welche auf den Eisenbahnen und Dampfmaschinen mit beflügelter Eile vorwärtsschreitet«, sprechen und der Leiter des bayrischen Unterrichtswesens, Thiersch,5 die »für die Sittlichkeit gefährliche Seite der Naturgeschichte« hervorhebt und befürchtet, dass die Bürgerschule keine Gebildeten, sondern »wahre Kinder der Zeit, Umwälzungsmenschen« erzeuge, so darf man auch hinter allen diesen Befürchtungen die Interessen suchen, die so klar aus dem österreichischen Schulerlass sprechen.
In scharfer Opposition zu den rein autoritären Tendenzen dieser Schule entwickeln sich gleichzeitig die modernen Schulideen, die die Grundlage für die Organisation der nächsten Epoche wurden. Es ist darin eine Parallele zu der Entwicklung bis 1869 insofern zu sehen, als die Ideen der Aufklärung und Pestalozzis,6 die in Österreich schon in der Zeit des aufgeklärten Absolutismus theoretisch aufgenommen waren, erst in der darauffolgenden liberalen Ära realisiert wurden. In diesen der tatsächlichen Schulorganisation, die ja immer einer Kompromisslösung der herrschenden Kräfte darstellt, vorauseilenden theoretischen Forderungen manifestieren sich die Ansprüche der jeweils zur Macht strebenden Schichten.
Die Erziehungsmittel entsprechen dem autoritären Erziehungsziel. In allen Schultypen wird geschlagen, der Lehrer trägt den Wissensstoff autoritativ vor, eine Diskussion des Gegenstandes ist ausgeschlossen. Dem »In der Ecke stehen« oder Knien und dem Nachsitzen in der Volkschule entspricht der Karzer in der Mittelschule. In beiden gibt es mechanische Abschreibearbeiten als Strafen. Als Anfeuerungsmittel wird vor allem die Aufstachelung des individuellen Ehrgeizes, die Konkurrenz mit den Schulkameraden verwendet. Dieses Erziehungsmittel ist gleichzeitig die geeignetste Vorbereitung auf den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf. Als besondere Auszeichnung und Belohnung werden gute Schüler während der Pause oder bei sonstiger Abwesenheit des Lehrers zu Aufpassern bestellt, es wird ihnen sozusagen die Autoritätsgewalt des Lehrers leihweise zugeteilt. Die Relegation von der höheren Schule bedeutet den Entzug der durch den Besuch solcher Schulen gewährleisteten Standesvorteile. Ein starres

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Klassifikationssystem ordnet schon die Schüler einer Klasse in eine Hierarchie ein. Diese Rangordnung geht soweit, dass oft die gesamte Schülerschaft einer Klasse ihren genauen Platz erhält und jeder zur Konkurrenz mit dem um einen Grad höher stehenden angeregt wird. Die Sittennote ist das Merkmal dafür, inwieweit der Schüler für seine Untertanenpflicht des Gehorchens und Anerkennens der obrigkeitlichen Autorität vorbereitet erscheint.
Die vier Kriegsjahre7 brachten eine scharfe Störung des gesamten Schulbetriebes mit sich. Nicht nur, dass die Anforderungen heruntergesetzt wurden, auch der ganze übrige Betrieb wurde gestört. Ein Teil der Volksschulen wurde in Spitäler oder Kasernen verwandelt, die Lehrer ins Feld eingezogen usw. Diese Verhältnisse brachten eine gewisse Lockerung der Disziplin mit sich.
Die Schulreform:
Die Beurteilung sowohl der historischen als auch der kulturellen Folgen der Revolution von 1918 wird dadurch erschwert, dass diese ihrem Ziel und ihrer Durchführung nach bürgerliche Revolution von den Arbeitern gemacht wurde. Das bedeutet für das Gebiet der Schulorganisation, dass neben sozialistischen Schulideen eine Umorganisation des gesamten Schulwesens so vorgenommen wurde, dass die neue Schule didaktisch, methodisch und ihrem Erziehungsziel nach demokratische Forderungen verwirklichte. Der sozialistische Gehalt dieser Schulreform lag vor allem in ihrem Organisationsprinzip, der Durchbrechung des Bildungsmonopols des Bürgertums.
Den Grundgedanken dieser Schulreform formuliert Glöckel,8 der Mann, dessen Name mit der österreichischen Schulepoche von 1918 bis 1933 untrennbar verknüpft ist, auf folgende Weise: »Die Schule soll für das praktische, diesseitige Leben vorbereiten, soll eine Erziehungsstätte sein, die aufrechte, stolze, sittlich gefestigte Menschen hervorbringt, die in der Achtung vor der Arbeit, vor der Leistung für die Gesamtheit zur Achtung vor der wirklichen Autorität führt.«
Diese Formulierung steht nicht im Widerspruch zu den Forderungen einer liberalen Erziehung. Als Beweis dafür mag die Tatsache gelten, dass ein Grossteil der Schulreformideen, die in Österreich als sozialistisch galten, in anderen Ländern (Vereinigte Staaten, Tschechoslowakei, vor allem Deutschland) durchgeführt wurde. Die scharfe Bekämpfung der österreichischen Schulreform im Lande selbst darf nicht zur Annahme verleiten, dass es in erster Linie der sozialistische Gehalt der neuen Schulideen war, der angegriffen wurde. Die Stellungnahme des österreichischen Bürgertums gegen die Schulreform lässt sich nur begreifen, wenn man weiss, dass ein beträchtlicher Teil desselben traditionell fest in den Ansichten und Lebensformen des Klerikalismus verwurzelt ist und dass der antiklerikale Charakter der österreichischen Schulreform tatsächlich eindeutig zum Ausdruck kam.
Die vergangenen Schulperioden hatten zwar den Grundsatz: »Freie Bahn dem Tüchtigen« aufgestellt, seiner Verwirklichung jedoch alle erdenklichen Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Die Schulgesetze aus der Zeit

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von 1918 bis 1919 realisierten diese Idee. Um den Kindern unabhängig von der materiellen Situation ihrer Eltern einen möglichst gleichmässigen Start zu gewährleisten, wurden zunächst sämtliche Lernmittel, von den Atlanten bis zum Federstiel, sämtlichen Kindern unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Diese Massnahme wurde durch die Notlage der österreichischen Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren gerechtfertigt und war psychologisch und pädagogisch gleich bedeutsam. Damit fiel die Notwendigkeit für arme Kinder, den Bedürftigkeitsnachweis zu erbringen, weg, und es ersparte ihnen das drückende Gefühl des Almosenempfangens; sie wurden in eine freiere Situation gegenüber ihren begüterten Mitschülern versetzt, was ihnen erst ermöglichte, mit diesen unbeschwerter in Konkurrenz zu treten. Pädagogisch waren so die Nachteile, die bis dahin ganze Generationen der Schuljugend aus der Arbeiterschaft bedrückt hatten, beseitigt. Waren vorher viele Lernschwierigkeiten auf das Fehlen der Bücher zurückzuführen, so konnte jetzt jedes Kind mit gleich gutem Material arbeiten. Man versuchte die intellektuelle Benachteiligung durch das Milieu auch in der Richtung auszugleichen, dass den Kindern erlaubt wurde, länger, als es der Stundenplan vorsah, in der Schule zu bleiben, um ihnen den ruhigen Arbeitstisch, den sie zu Hause nicht hatten, zu bieten. Unterstützt wurde diese Bestrebung durch die von der Schulverwaltung begünstigte Gründung von Horten für die Schuljugend. Diese Demonstrierung des demokratischen Prinzips entsprach nicht nur als allgemeines Erziehungsmittel den neuen Tendenzen, sondern sollte auch dazu dienen, den Kindern das Wesen des seinen Verpflichtungen allen Staatsbürgern gegenüber gleichermassen nachkommenden demokratischen Staates zum Bewusstsein zu bringen. Von dem Gedanken ausgehend, dass auch der körperliche Zustand der Jugend ihre intellektuellen Aufstiegsmöglichkeiten beeinflusst, wurden Schulspeisungen, Kleideraktionen, Schulbäder usw. eingeführt.
Der früheren Schulepoche mit ihrer Betonung der durch die Geburt bestimmten Standesunterschiede wurde eine möglichst weitgehende Einheitlichkeit in der Ausbildung der gesamten Jugend ohne Rücksicht auf ihre soziale Lage oder ihre künftige Berufsausbildung gegenübergestellt. Dies kam im Kampf um die Einheitsschule zum Ausdruck. Die gemeinsame Grundlage des gesamten Schulwesens sollte die vierklassige Volksschule und die daran anschliessende vierklassige Hauptschule werden. Erst nach ihr sollten die differenzierten Mittelschultypen einsetzen. Allerdings wurde gerade dieser Gedanke niemals vollkommen verwirklicht. Die Untermittelschulen haben nie aufgehört zu existieren. Um ferner den besonders begabten Kindern aus der Arbeiterschaft ein sorgenfreies Studium zu ermöglichen, wurden alte Militärschulen zu »Bundeserziehungsanstalten« umgewandelt, die ursprünglich als Musterschulen der Schulreform gedacht waren. Die Angleichung der Ausbildung in der Hauptschule an die der Untermittelschule erforderte natürlich ein höheres Bildungsniveau der Lehrerschaft. Für die Volksschule war eine gründliche Ausbildung ebenfalls notwendig, vor allem aus methodischen und psychologischen Gründen, die wir weiter unten besprechen.
Dieser demokratischen Schulorganisation entsprach auch eine Demokratie des inneren Unterrichtsbetriebes. Die disziplinären wie die Unter-

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richtsmethoden der Schulreform ergaben sich als notwendige Folge der Erkenntnisse über die kindliche Persönlichkeit, die besonders in Wien durch reiche Anregungen von den verschiedenen psychologischen Schulen gefördert wurden ([Alfred] Adler, [Charlotte] Bühler, [Sigmund] Freud). Die Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit als Mittelpunkt des gesamten Erziehungswesens erforderte eine grundlegende Änderung des autoritären Prinzips und der Unterrichtsmethode der alten Schule.
Das Kind sollte zum kritischen Denken und selbständigen Handeln erzogen werden. Die staatsbürgerliche Erziehung sollte ihm alle jene Fähigkeiten vermitteln, die der demokratische Staat erforderte. Es ist bezeichnend, dass in vielen Klassen sogar eine parlamentarische Form mit Vorsitzendem und Wortmeldungen eingeführt wurde, wo es sich um die Erledigung von Klassenangelegenheiten handelte. Der Gedanke der Selbstverwaltung und Schulgemeinde wurde begeistert aufgenommen. Die Autorität des Lehrers wurde absichtlich zurückgestellt, zumindest versucht, jeden blinden Autoritätsglauben zu beseitigen und an seine Stelle die durch Einsicht in die Notwendigkeit eines Ordnungsprinzips von den Kindern selbst gewünschte Autorität der Gemeinschaft zu setzen. Zu behaupten, dass die Schulreform eine autoritätsfreie Erziehung bot oder auch nur erstrebte, wäre irrig. In manchen Fällen haben Lehrer in Missverständnis der neuen Ideen die Ausschaltung jeder Autorität versucht und, wie es auch nicht anders zu erwarten war, Schwierigkeiten gefunden. Dass trotzdem so viel von der Autoritätslosigkeit der neuen Schule gesprochen wurde, ist leicht verständlich, denn der Unterschied im Verkehrston zwischen Schülern und Lehrern in der alten und in der neuen Schule war ausserordentlich gross. Die dritte Person als Anredeform für den Lehrer fiel weg, die Kinder fragten und erzählten ohne Scheu und Hemmung. Die kameradschaftliche Seite des Schüler-Lehrerverhältnisses wurde bewusst betont. Daneben wurden sämtliche autoritären Erziehungsmittel abgeschafft, das Prügeln verboten, das Strafen im allgemeinen als letztes Mittel von den Lehrern verwendet, aber immer in dem Gefühl, dass es nicht ganz den Ideen der neuen Schule entspreche.
Die neuen Grundsätze wurden aber am deutlichsten durch die Prinzipien des Unterrichts manifestiert. Die vier Schlagworte, um die sich inhaltlich und methodisch der neue Lehrplan gruppierte, sind: Gesamtunterricht, Bodenständigkeit, Arbeitsunterricht und Kindertümlichkeit.
Der Verstand und die Einsichtsfähigkeit der Kinder kann nicht geweckt werden, wenn ihr Schulwissen in Fächer eingekapselt bleibt und ihnen der Weg von einer Fachgruppe zur anderen nicht gezeigt wird. Davon ausgehend strich die Schulreform zunächst für die Volksschule jede fachliche Stundeneinteilung. Es wurde ein Thema zum Ausgangspunkt genommen, um sämtliche Wissensgebiete und Fertigkeiten zu behandeln. In der Regel wurde aus einem ausführlichen Schülergespräch, das zuweilen in parlamentarischer Form von den Kindern selbst geleitet wurde, wobei der Lehrer weitgehend in den Hintergrund trat, ein neues Wochenthema entwickelt. Man versteht, dass diese Form des Unterrichts, wenn auch mit Unrecht, autoritätslos genannt wurde. Das Schülergespräch hatte den Zweck, die Kinder selbst zur Einsicht kommen zu lassen, dass die Erwer-

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bung gewisser Fähigkeiten vom Leben, nicht von der Schule gefordert wird, so wenn sie z.B. darauf kamen, dass man, um das Schulhaus oder den Bahnhof wirklich kennen lernen zu können, so und so viele Rechnungen durchführen müsse. Multiplizieren erscheint ihnen dann als eine Lebensnotwendigkeit, wenn der Lehrer ihnen mitteilt, dass das ein abgekürzter Weg ist, um die Schülerzahl einer, sagen wir, zwölfklassigen Schule zu erfahren. Dass der Lehrer dabei weder als sachliche Autorität noch als geistiger Führer in den Hintergrund treten kann, dass er sogar beides in viel höherem Masse sein muss als der alte Lehrer, der nicht in die Situation kam, allen spontanen kindlichen Gedanken und Einfällen Rechnung zu tragen, ist nur selbstverständlich. Die freie äussere Form des Unterrichts konnte und wollte all der tatsächlichen Autoritätsstellung des Lehrers nichts lindern. Gerade diese Form des Gesamtunterrichts führte noch in anderer Hinsicht zur Durchbrechung der traditionellen Schulautorität. Das Klassenzimmer in seiner strengen Form - die Katheder, die Schulbänke mit Kindern, die die Hände nicht ohne Erlaubnis von der Bank rühren durften, - veränderte sich. Zwar blieb der Tisch für den Lehrer weiterhin stehen, aber der Unterricht spielte sich entweder so ab, dass der Lehrer mitten unter seinen Schülern arbeitete oder dass die Schüler um den Tisch des Lehrers herumstanden, um etwa ein Experiment besser verfolgen zu können. Diese Form des Unterrichts war nur durchzuführen, wenn die Schülerzahl möglichst gering war. Sie betrug in Wien im Durchschnitt 29 für eine Klasse. Es ist nicht erstaunlich, dass manche Lehrer, die dieser neuen Form des Unterrichts nicht gewachsen waren, das Unterrichtsziel mit ihren Klassen nicht erreichen konnten, weil die neuen Methoden vom Lehrer viel Voraussicht und ausserordentliche Geistesgegenwart und Konzentration auf die Kinder verlangten, um diese trotz der Freiheit, die ihrem Denken gewährt ward, in den Bahnen des Lehrstoffes zu halten.
Um den Unterrichtsstoff dem kindlichen Erleben anpassen zu können, mussten die Themen - von Familie und Schule ausgehend - in sich immer erweiternden Kreisen den Lebens- und Denkbereich der Kinder umspannen. So begann man die Geschichte bei der Jetztzeit, erweiterte sie durch die Schilderung des Lebens der Eltern und Grosseltern, verfolgte besonders interessante Institutionen (etwa die Entstehung einer Stadt, die Verkehrsmittel usw.) in die Vergangenheit zurück. Auch der heimatkundliche Unterricht ging vom engsten Lebensbereich des Kindes aus, der allmählich durch Lehrspaziergänge, Ausflüge und Wanderungen, Schilderungen einzelner Teile des Landes so erweitert wurde, dass eine Zusammenfassung der Geographie der Heimat den Kindern als wünschenswert erschien. Fremde Länder und fremde Kulturen wurden im Vergleich mit den heimischen Verhältnissen gebracht.
Die Methode, wie wir sie bisher angedeutet haben, setzt voraus, dass es sich nicht allein um die Ausbildung reproduzierender Kräfte beim Kind handeln konnte, sondern um eine produktive Mithilfe am Unterricht. Der vom Kind erarbeitete Lehrstoff hinterlässt viel tiefere Spuren als der vom Lehrer vorgetragene. Ausserdem wurde mit diesem Prinzip auch der Zweck verfolgt, die Kinder den Arbeitsgehalt der sie umgebenden »selbstverständlichen« Dinge kennen lernen zu lassen. Der Schultag sollte für

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die Kinder nicht nur eine intellektuelle Anstrengung sein; sie wurden weitgehend zum Selbstarbeiten, teils in Werkstätten, teils im Klassenraum veranlasst. Beide Momente sollten in den Kindern die Wertschätzung der manuellen Arbeit erwecken.
Zwei Einwände wurden vor allem gegen die neue Schule erhoben: sie sei autoritätslos, und sie vermittle zu wenig Wissensstoff. Die Autoritätslosigkeit zeigte sich im ungünstigen Sinn durch zu grosse Ungehemmtheit der Kinder in ihren Äusserungen gegenüber Erwachsenen. Diese Ungehemmtheit war keineswegs das Ziel der Schulreform, sie war aber die notwendige Folge aus der Zweiheit der Erziehungssysteme, unter denen fast jedes Kind stand: die Familie, die die Schwenkungen zu den modernen Methoden schwerfälliger mitmachte, stand noch auf dem alten Autoritätsstandpunkt, verwendete in der Mehrzahl Prügelstrafe usw. Die Schule verzichtete darauf. Oft wurde dies von den Kindern dem Lehrer als Schwäche ausgelegt, in anderen Fällen wieder führte es zu einer viel respektloseren Ablehnung der Familie, weil das Kind instinktiv das ganze Gewicht der Schule hinter sich fühlte. Zwar versuchte die neue Schule diese Zweiheit zu überbrücken, indem sie den Kontakt zwischen Elternhaus und Schule verstärkte. Es wurde das Prinzip der »offenen Klassentür« eingeführt, d.h., es wurde den Eltern ermöglicht, gelegentlich am Schulunterricht teilzunehmen. Ausserdem wurden Elternvereine gegründet, in denen ständig Vorträge über moderne Erziehung gehalten, die Schulfragen besprochen, die Eltern beraten wurden. Der erwähnte Widerspruch konnte freilich in der verhältnismässig kurzen Zeit, die der Schulreform zur Verfügung stand, nicht aus der Welt geschafft werden.
Auch der zweite Einwand, die Kinder erhielten zu wenig Wissensstoff vermittelt, ist nicht ganz unberechtigt. Aber auch er ist aus der zu kurzen Zeit erklärbar, die man diesem gross angelegten Schulversuch in Österreich gegeben hatte. Zunächst waren nicht alle Lehrer imstande, sich auf die neue Methode geistig umzustellen, so dass die Schulreform auch viele Feinde von innen hatte. Andererseits legte die Schulreform auf die Ausbildung der nichtintellektuellen kindlichen Fähigkeiten grosses Gewicht und unter den intellektuellen mehr auf die kritischen als auf die formalen. Daneben spielte gewiss auch in vielen Fällen der Kindern und Eltern noch ungewohnte Mangel an äusserlicher Strenge bei geringeren Lernerfolgen, besonders der schwächeren Schüler, eine gewisse Rolle. Ferner waren weder die Eltern noch die Kinder noch alle Lehrer imstande, bei der teilweise wegfallenden Klassifikation die Leistungen der Kinder richtig zu bewerten. Wenn es nicht sofort schlechte Zensuren und Sitzenbleiben gibt, sind die meisten Eltern schwer davon zu überzeugen, dass die häusliche Arbeit ihrer Kinder sorgfältiger werden muss.
Dass der Gesamtunterricht an sich nicht geeignet wäre, genügend Wissensstoff zu vermitteln, wie manchmal behauptet wird, ist nicht richtig. Ausserdem wurde er nur so lange durchgeführt, als diese Form dem kindlichen Denken entspricht, d.h. nur in den ersten vier Schuljahren. Dann gliederte sich bei Beibehaltung der anderen Grundsätze der Unterricht wieder fachmässig.

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Die Schule im heutigen Staat:
Seit dem Jahre 1926 wurde die Schulreform nicht nur ideologisch bekämpft, sondern auch durch die beginnende politische Machtverschiebung faktisch verändert. Wir müssen allerdings bemerken, dass die Schulreform in vollem Ausmass auch bis zum Jahre 1926 nur in Wien durchgeführt worden war, während die österreichischen Bundesländer den politischen Machtverhältnissen entsprechend mehr oder weniger von den neuen Schulideen realisiert hatten. Für den Niveauunterschied ist bezeichnend, dass in Wien die niederste Schülerzahl war: 29 pro Klasse (gegenwärtig dürfte die durchschnittliche Schülerzahl etwa 36 betragen). In diesem Zusammenhang muss auch die im Parlament viel diskutierte »Burgenländische Schulschande«9 erwähnt werden. Im Burgenland konnte trotz wiederholter parlamentarischer Anfragen der Nationalratsbeschluss, dort die konfessionelle Schule zu beseitigen und die allgemeinen österreichischen Schulgesetze einzuführen, nicht durchgesetzt werden.
Im März 1933 wurde in Österreich das Parlament ausgeschaltet. Nun setzten sich die neuen durch die politische Entwicklung bedingten Erziehungsprinzipien durch. Dem autoritären Staat entspricht eine autoritäre Schule.
Zunächst erfolgte die Aufhebung des vielumkämpften Glöckel-Erlasses, der das Verbot des Zwanges zur Teilnahme der Schuljugend an religiösen Übungen enthielt. Dies wurde durch den Grundsatz motiviert, dass die Erziehung zur vaterländischen Gesinnung als die vornehmste Aufgabe der Schule anzusehen sei und nur auf christlich-sittlicher Grundlage durchgeführt werden könne.
Die Betonung der vaterländisch-christlichen Erziehung in der Schule wirkt sich zunächst in der veränderten äusseren Form aus. Vaterländische Schülerabzeichen werden eingeführt. Zu Ende des Schulgottesdienstes wird die Bundeshymne gesungen. In sämtlichen Klassenzimmern und Amtsräumen werden Kruzifixe, die während der Schulreform entfernt worden waren, angebracht. Vor und nach dem Unterricht wird das Vaterunser und ein Schulgebet gesagt. Die Teilnahme an Vereinen wird Schülern nur dann gestattet, wenn diese eine vaterländische sittlich-religiöse Erziehung garantieren. Schüler, die sich gegen die Bestimmungen vergehen oder gar sich politisch betätigen, werden von den schärfsten Strafen, d.h. Ausschluss von der Schule betroffen. Diese organisatorischen Massnahmen beziehen auch die Umorganisierung der Hochschulen mit ein.
Diese äusserlichen Massnahmen sind jedoch nur der Rahmen für die innere Umgestaltung. Neue Lehrbücher werden eingeführt, Ansätze zu Lehrplanerneuerung und Methodenveränderungen werden gemacht. Eine entscheidende prinzipielle Massnahme ist die Verfügung, dass die Lernmittel den Schulkindern wie vor 1918 nur mehr dann unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden, wenn sie ihre Bedürftigkeit nachweisen können. Die Periode ist noch zu kurz, als dass andere als organisatorische Veränderungen bisher hätten realisiert werden können, doch sind ihre Grundsätze bereits formuliert.
In der katholischen Auffassung ist nach göttlichem und natürlichem

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Recht die Erziehung in erster Linie Sache der Eltern, die für ihre Kinder in materieller wie in moralischer Hinsicht verantwortlich sind. Ergänzt und modifiziert wird dieses Prinzip durch die Forderung, die Kinder zur herrschenden Staatsform zu erziehen. Am drastischsten formuliert dieses Erziehungsziel vielleicht Lehrl1): das Ziel für den neuen Menschen müsse der Typus des Soldaten sein, dem unbedingter Gehorsam Pflicht ist, ihm gegenüberstehend vereinzelte »Herrenmenschen«, die Führer. Es ist sehr begreiflich, dass zur Verwirklichung dieses Erziehungzieles [!] alle jene autoritären Massnahmen, die vor 1918 eine Rolle gespielt haben, wieder herangezogen werden müssen. »Wenn dabei (gemeint ist die neue Erziehung) der Stock eine Rolle spielt, dann weg mit der verlogenen Phrase von der züchtigungslosen Erziehung« (Tzöbl).2) Wie ausserordentlich schwierig der Grundsatz einer für das ganze Volk geltenden Erziehung in der heutigen Gesellschaft zu formulieren ist, zeigt eine wohl unabsichtliche, deshalb aber nicht minder aufschlussreiche Wendung in Tzöbls grundlegenden Schrift: »Der Ungeist des Parteihasses bleibe so lange als möglich von der Jugend ferne. Dennoch soll die Volksschuljugend eine tiefgehende vaterländische Erziehung geniessen« (Sperrung von uns).
Nicht nur in der Methode, sondern auch im Ziel der Erziehung ist die Autorität der Person wieder stärker verankert. Wenn auf der einen Seite die allgemeine Wehrpflicht als die beste Erziehungsmöglichkeit bezeichnet wird, die Erziehung zur militärischen Disziplin als Ergänzung der Schulerziehung gefordert wird, dann erscheint die folgende Formulierung durchaus konsequent: »Der Jungmann lernt im rechten Augenblick gehorchen und sich unterordnen, auf den eigenen Willen verzichten.« Dieser Satz: »auf den eigenen Willen verzichten« ist die vollkommene Antithese zum Erziehungsziel der vorhergegangenen Periode, die die Entwicklung des eigenen Willens an erster Stelle erstrebte.
Dass die Erziehung im militärischen Geist nicht in der Schule allein erfolgen kann, ist naheliegend. Die vereinsmässige Erfassung der Jugendlichen zu diesem Zweck erscheint notwendig und findet ihren Ansatzpunkt weniger in der Organisation der »Vaterländischen Front«10 als in den Wehrformationen, denen Kinder- und Jugendorganisationen angeschlossen sind. Wenn wir diese Jugendorganisationen hier erwähnen, noch bevor wir auf den ganzen Komplex der Jugendorganisationen und Jugendbewegung eingehen, so geschieht dies, weil diese Organisationen unmittelbar vom Staat gefördert werden und die durch sie erfolgte Erziehung als faktisch in das gesamte Erziehungssystem des neuen Staates eingegliedert erscheint.

III. Teil: Die Jugendbewegung.


Bei der Betrach[t]ung der verschiedenen Formen organisatorischer Zusammenfassung junger Menschen ist ein wesentlicher Gesichtspunkt die Frage,

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ob die Organisation aus einer spontanen Bewegung der Jugend selbst entstanden ist oder ob sie von einer bestehenden politischen Partei oder ähnlichen Institution gegründet wurde. Wenn wir hier zunächst die historische Entwicklung darstellen, so geschieht dies aus der Erwägung, dass nur an der Jugendbewegung die Tendenzen der Erziehungsarbeit, welche die Jugend bewusst an sich selbst leistet, deutlich erfasst werden können und dass erst die historische Betrachtung der Jugendbewegung es ermöglicht, ihre Elemente in den von Parteien oder vom Staat erfolgten Gründungen zu erkennen.
Die Gruppierung der einzelnen Organisationen nach ihrer politischen Orientierung soll die Darstellung erleichtern. Wir behandeln hier nur die typischen und lassen kleinere Bewegungen ausserhalb unserer Betrachtungen. Wir befassen uns also ausführlich nur mit der sozialistischen und der katholischen Jugendbewegung.
Vorwegnehmend seien noch einige Worte über die sogenannte neutrale Jugendbewegung bemerkt. Ihre politische Einordnung ist dadurch gegeben, dass sie sich in den Grenzen der bestehenden Gesellschaftsformen hält, ohne zu ihnen programmatisch in irgend einer Form Stellung zu nehmen. Der Typus dieser Jugendbewegung in Österreich ist die Pfadfinderbewegung. Es widerspricht allerdings den Lebensformen und Ansichten der Jugend, sich in einer politisch so bewegten Zeit wie der unseren jeder Stellungnahme zu enthalten. Daher kommt es, dass die meisten Pfadfindergruppen sich trotz ihrer Statuten zur einen oder anderen Richtung bekennen. Die Organisation als solche, die übrigens eine Gründung, und keine spontane Bewegung ist, lehnt es aber nach wie vor ab, sich politisch festzulegen. Auf die einzelne Stellungnahme, die weitgehend von der Führerindividualität der betreffenden Gruppe bestimmt wird, können wir hier nicht eingehen. Im letzten Jahr ist diese apolitische Haltung der Pfadfinderbewegung in einem gewissen Sinn durchbrochen worden, weil sie sich, teils freiwillig, teils auf Aufforderung in den Dienst der vaterländischen Bewegung gestellt hat. Ihr Tätigkeitsbereich ist identisch mit dem der internationalen Pfadfinderbewegung, erschöpft sich in romantischen, jugendgemässen Veranstaltungen aller Art und zeigt keine spezifisch österreichische Note. Ihre Haltung in den Autoritätsfragen ist dadurch bestimmt, dass sie auf der heutigen Familie und Gesellschaft basiert.
Auch die eigentliche Jugendbewegung in Österreich ist in diesem Sinn von ihren Anfängen bis zum Krieg als neutral anzusehen.
Historische Entwicklung:
Die österreichische Jugendbewegung wurzelt in der deutschen. Sie hat ihre ursprünglichen Ideen und fast alle organisatorischen Gedanken von ihr übernommen. (Nur ein kleiner Teil, die Pfadfinderbewegung, ist von den englischen Boy Scouts gegründet worden.)1)
Die besondere Eigenart der österreichischen Jugendbewegung besteht

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darin, dass sie über die negative Kritik an den Kulturformen der Erwachsenen hinaus ihren Anhängern ein konkretes Ziel gewiesen hat: die Erkämpfung einer jugendgemässen Schule. Diese Zielsetzung war andeutungsweise schon in den Jugendbewegungsformen vor dem Krieg gegeben. Der Umsturz11 fand einen vorbereiteten Boden, die Schulideen beschäftigten die neubelebte Jugendbewegung auf das intensivste, und die Schulreform hat ihr manche Anregung zu verdanken. Das zentrale Problem, um das sich die Forderungen der Schüler und Studenten gruppierten, war die Schulgemeinde. Im Jahr 1919 wurde die erste Sitzung des »Zentralausschusses der Wiener Mittelschüler« abgehalten, die, vom Standpunkt der Wandlungen des Autoritätsbegriffes aus, denkwürdig ist. Das erste Mal in der Geschichte der österreichischen Schule setzten sich Schüler über die Schranken ihrer Anstalten und die Autorität ihrer Direktoren hinweg, um schulorganisatorische Fragen vom Standpunkt der Schülerschaft aus gemeinsam zu behandeln. In diesem Zentralausschuss waren Schüler sämtlicher politischer Richtungen vertreten. Ihre Hauptforderungen, die überschulische Zusammenfassung der Schulgemeinden und die Übergabe der Disziplinargewalt an die Schülerschaft, die den prinzipiell bürgerlichen Charakter der Schulreform gesprengt hätten, wurden ihnen jedoch nicht bewilligt. Der Misserfolg in diesen grundlegenden Punkten verurteilte die Schulgemeinde von da an zu einem unscheinbaren Dasein. In den meisten Fällen wurde sie von den Lehrern dazu verwendet, die damals bei der Masse der Schülerschaft unbeliebten autoritären Anforderungen von den Schülern selbst durchsetzen zu lassen. Im Jahre 1924 nahm die Schülerbewegung einen neuen Aufschwung, der aber nach einiger Zeit im wesentlichen resultatlos versandete.
Sozialistische Jugendorganisationen:
Schon seit der Jahrhundertwende bestanden proletarische Jugendorganisationen von vorwiegend gewerkschaftlichem Charakter, deren Ziele vor allem Lehrlingsschutz, Herabsetzung der Arbeitszeit für Jugendliche, bessere Entlohnung und bessere Vorbildung waren. Lange Zeit gab es keinerlei Verbindung zwischen diesen proletarischen Organisationen und der bürgerlichen Jugendbewegung. Seit dem Krieg jedoch hatte sich die Politisierung der Jugendbewegung angebahnt, und nach dem Umsturz war die gesamte Jugendbewegung in politische Gruppen aufgespalten. Die sozialistische Gruppe hatte die Verbindung mit der proletarischen Jugendbewegung gefunden.
In ihrer Gesamtheit umfasste die sozialistische Jugend erstens die Organisation der manuell arbeitenden Jugendlichen vom 14. bis zum 21. Lebensjahr, zweitens die sozialistische Schüler- und Studentenschaft, drittens die sozialistische Kinderorganisation der Roten Falken, die erst später dazukam und die Überleitung der von der Kinderfreundebewegung erfassten Kinder in die Jugendorganisation darstellen sollte. Das Ziel der Kinderfreundeorganisation war in erster Linie, die proletarische Familie dadurch zu entlasten, dass ihr die Sorge um die Kinder zum Teil abgenommen, keineswegs entzogen wurde. Die Organisation war eigentlich eine der Eltern, nicht der Kinder. Im Einvernehmen mit der Familie versuchte

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sie, die Kinder in ein kulturell gehobenes, sozialistisches Milieu zu stellen. Ihre Einstellung zur Schule ist, wie die zur Familie, durchaus positiv. In den Horten, die die Kinderfreunde eingerichtet hatten, wurden auch Schulnachhilfestunden erteilt. Die Autoritätsfrage war für diese Organisation ausserordentlich schwer zu lösen. Auf der einen Seite unterstützte sie Familie und Schule und war damit auch autoritätsfreundlich. Auf der anderen Seite vertrat sie sozialistische Erziehungsgedanken, welche die nur traditionell verankerte Autorität ablehnen. Die Organisation versuchte, die Autorität der Idee und der sie tragenden Institution an die Stelle der Autorität der Person zu setzen, und hat auch in diesem Sinn die Eltern beeinflusst. Trotz der vorhandenen Gegensätze in verschiedenen Erziehungsfragen konnte diese Organisation tatsächlich immer in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Idee den Kontakt mit der Familie wahren und dabei neue Grundsätze der Erziehung zu verwirklichen suchen. Das ging sogar so weit, dass sie es wagen durfte, den Kindern in ihren Heimen kindertümlich geschriebene sexuelle Aufklärungsschriften zu geben, ohne dass die Eltern daran Anstoss nahmen. Diese Organisation war für Kinder bis zum 14. Lebensjahr gedacht. Es stellte sich aber heraus, dass ihr mehr fürsorgerischer als jugendbeweglerischer Charakter den Kindern etwa vom 12. Lebensjahr an nicht mehr genug bieten konnte. Es bestand die Möglichkeit, dass die unbefriedigten Zwölf- bis Vierzehnjährigen den Anschluss an die proletarische Bewegung verlieren könnten. Deshalb wurde in Anlehnung an die Pionierbewegung in Russland12 und an die Pfadfinderbewegung die Rote Falken-Bewegung ins Leben gerufen. Auch sie wurde von oben her organisiert und ist nicht spontan unter den Kindern entstanden; trotzdem nahm sie ganz den Charakter einer Jugendbewegung an. Ihr Ziel war die Erziehung klassenbewusster junger Arbeiter. Der Autoritätsgedanke spielt in dieser Bewegung eine bemerkenswert grosse Rolle. So sehr lange Zeit der persönliche politische Führer in der sozialdemokratischen Bewegung abgelehnt worden war, so sehr setzte er sich gerade in dieser Organisation durch. Von der psychologischen Erkenntnis ausgehend, dass der Jugendliche erst über die persönliche Bindung an den Führer zur Bindung an eine Idee gelangt, wurde hier bewusst eine Einrichtung geschaffen, in der führungsbegabte junge Menschen1) mit allen Mitteln der Jugendbewegung - Romantik, Wanderbewegung, Jugendkultur im lebensreformerischen Sinn - Kinder in sozialistischem Geist erziehen sollten. Das politische Ziel dieser Bewegung war, die Kinder, soweit es ihr Denken gestattete, mit der Zeitgeschichte und den Klassenkräften, von denen die Gesellschaft bewegt wird, vertraut zu machen. Der Rote Falken-Führer genoss tatsächlich in seiner Gruppe eine ebensolche Autorität wie der selbsterkorene Führer der bürgerlichen Jugendbewegung, doch war im Gegensatz zur Kinderfreundebewegung damit nicht auch die Anerkennung von Familien- und Schulautorität verbunden. Diese Bewegung fand daher auch nicht in gleichem Masse wie die Kinderfreundebewegung die Unterstützung der Eltern; besonders die Mädchen mussten die Zugehörigkeit zur

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Falkengruppe oft in hartem Kampf gegen die Eltern durchsetzen. Der kulturelle Einfluss dieser Bewegung ist hoch einzuschätzen. In den Sexualfragen nahm sie etwa dieselbe Stellung wie die Kinderfreunde ein. Die Gruppen der roten Falken waren im Prinzip wie übrigens alle sozialistischen Jugendorganisationen koedukativ.
Die sozialistische Arbeiterjugend, in der junge Arbeiter und Arbeiterinnen gruppenmässig zusammengefasst wurden, hatte ein in erster Linie politisches Ziel. Aus der mehr gefühls- und gewohnheitsmässigen sozialistischen Einstellung der Kinderfreunde- und Roten Falken-Kinder sollte bewusste, wissenschaftlich fundierte Überzeugung werden. Daher bestand ihre Tätigkeit in erster Linie im Abhalten von Gruppenabenden, die Arbeiterbildung im marxistischen Sinn betrieben. Daneben wurde auch der körperlichen und kulturellen Bildung der Jugend Rechnung getragen, doch blieben diese Bestrebungen nur Mittel zum Zweck: die Jugendlichen sollten sich in ihrer politischen Gruppe so wohl fühlen, dass ihre Bindung an die Idee in ihrem ganzen Lebensstil Verankerung finden konnte. Die Gruppen waren auf Ablehnung der Führerautorität aufgebaut, was schon im Namen des Gruppenleiters zum Ausdruck kam: er war ein Obmann, kein Führer. Auch auf allen anderen Gebieten lehnte die sozialistische Arbeiterjugend die persönliche Autorität weitgehend ab. Das gehörte zum Teil zum politischen Ziel, man wollte ja die jungen Menschen im Kampf gegen die Lehrherrn, gegen die zum Teil gegnerischen Eltern stärken. Diese Erziehung zur Ablehnung der Autorität machte sich übrigens auch in Ablehnung der Parteiautorität geltend. Die ganze Bewegung hat überhaupt einen viel mehr kämpferischen Charakter als die bisher besprochenen. Sie hat sich ihr Lebensrecht in der sozialdemokratischen Partei erst nach schweren Auseinandersetzungen erkämpft. Ihre Kampfeinstellung gegen die Familie hat sie niemals aufgegeben. Die freizügige Haltung der sozialistischen Arbeiterjugend zu den sexuellen Problemen verschärfte den Konflikt mit der Familie. Es ist bezeichnend, dass in jeder Gruppe ungefähr einmal in acht Wochen ein Vortrag über die Sexualprobleme der Jugend gehalten wurde, der stets die allergrösste Anziehungskraft auf die Mitglieder ausübte. Trotzdem sind wir der Ansicht, dass es sich hier nicht um eine tatsächliche Freizügigkeit in sexuellen Dingen handelte. Mit der theoretischen Anerkennung der grössten Freiheit des Sexuallebens verband sich gerade bei den Funktionären dieser Bewegung eine tatsächliche, erstaunlich grosse Gehemmtheit.
Am stärksten in den Formen der bürgerlichen Jugendbewegung entwickelte sich die sozialistische Schüler- und Studentenbewegung. Stärker als jeder andere Teil der sozialistischen Jugendorganisationen nahm sie Stellung gegen den Gedanken der persönlichen Autorität und damit gegen die Familienerziehung. Während die anderen Jugendorganisationen zum Teil keine Aufgabenstellung brauchten, weil ihre Mitglieder zu jung waren oder weil sie ihre Aufgabe in der beruflichen und politischen Selbstbehauptung fanden, schuf die sozialistische Schüler- und Studentenbewegung sich eine eigene Aufgabe neben der Schulkampfidee: die Erziehung der jüngeren Generation. Dieser Aufgabe war ihre Haupttätigkeit gewidmet, vor allem in den Jugendkolonien.

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Um den körperlichen Zustand der Kinder, die durch die Kriegsjahre sehr geschwächt waren, zu heben, wurde danach getrachtet, möglichst vielen von ihnen in den Sommermonaten in Heimen Erholungsmöglichkeiten zu bieten. Diese zunächst rein fürsorgerischen Bestrebungen wurden dann auch von den Kinderfreunden aufgenommen, und es entwickelte sich daraus eine eigene Bewegung mit dem Ziel, sozialistische Pädagogik wenigstens in den Sommermonaten zu verwirklichen. »Gemeinschaftserziehung durch Erziehergemeinschaft«,13 der Titel einer Broschüre, die die Ideen dieser pädagogischen Arbeit darstellt, gab der sozialistischen Jugendkoloniebewegung ihr Programm. Der dort geschilderte Versuch ist zur Klärung der Frage, ob autoritätsfreie Erziehung überhaupt möglich ist, ausserordentlich interessant. Einsetzung persönlicher Autorität oder der Autorität auf Grund von Funktionen im Gemeinschaftsleben wurde in dieser Kolonie strengstens vermieden. Es ergab sich aber bald, dass bestimmte Institutionen (Zimmergemeinschaft, Kolonieversammlung usw.), soweit sie für das Wirtschafts- und Gemeinschaftsleben der Kolonie eine tatsächliche Funktion hatten, zu Trägern der Autorität wurden.
Katholische Jugendorganisationen:
Dass die katholischen Jugendorganisationen und die katholische Jugendbewegung erst nach den sozialistischen besprochen werden, liegt nicht nur darin begründet, dass die sozialdemokratischen Organisationen zur Zeit ihrer grössten Aktivität die breitesten Massen Jugendlicher erfasst hatten, sondern es erweist sich auch deshalb als zweckmässig, weil eine ganze Reihe von katholischen Jugendorganisationen erst in Abwehr der sozialdemokratischen und, was ihre äussere Form betrifft, in Anlehnung an diese, begründet worden sind. Es sollen daher auch die einzelnen Organisationen in Parallele zu den sozialistischen angeführt werden.
Der Reichsbund der katholischen Jugend Österreichs erfasst in erster Linie Bauern- und Arbeiterjugend. »Neuland« ist die Organisation der modern orientierten katholischen Jugendbewegung und rekrutiert sich vorwiegend aus Mittelschülern und Studenten. Neben diesen beiden Organisationen sind auch die Schüler- und Jugendlichenkongregationen sowie der Katholische Cartellverband (C.V.), die katholische Studentenverbindung, zu nennen.
Die Organisation »Frohe Kinder« lehnt sich in ihrem äusseren Aufbau (Horte, Ferienkolonien usw.) an die »Kinderfreunde« an. Als kirchliche Organisation vom erzbischöflichen Ordinariat gegründet, untersteht sie den kirchlichen Behörden. Auch hier sollen die Eltern entlastet, die Kinder vor Verwahrlosung geschützt werden. Die Erziehung geschieht im streng religiösen Sinn unter Einsetzung aller Autorität, wenn auch unter Berücksichtigung der modernen, psychologisch fundierten pädagogischen Methoden. Dies ist im Sinne von Fr. W. Förster14 zu verstehen, der schon 1910 sagt: »Unsere Zeit braucht mehr als je eine Pädagogik der Autorität, die sich bis zum intimsten Widerstand der individuellen Seele herablässt und den Gehorsam in der Sprache der Freiheit und des persönlichen Lebens zu verkünden weiss.« (»Autorität und Freiheit«, S. 51.)

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Die Heranziehung der Kinder zur Teilnahme an religiösen Übungen und Feierlichkeiten spielt eine bedeutende Rolle. Nur in gewissen lebensreformerischen Tendenzen (gegen Alkohol, Nikotin usw.) machen sich Einflüsse der Jugendbewegung geltend.
Der Reichsbund der katholischen Jugend Österreichs bestand schon um die Jahrhundertwende, ist aber ebenfalls erst nach den sozialdemokratischen Jugendorganisationen gegründet worden. Der Reichsbund ist eine zentrale Organisation, die überall in Stadt und Land Gruppen hat, die nach Vereinsprinzip aufgebaut sind; doch steht jeder Gruppe ein geistlicher Präses vor, der Einspruchsrecht gegen alle Beschlüsse hat. Die Organisation umfasst bedeutende Massen der Bauern und in zweiter Linie Teile der Arbeiterjugend. Das Ziel des Bundes ist, katholische, modern denkende, religiöse Menschen zu erziehen. Satzungsgemäss beschäftigt er sich nicht mit Politik, doch stand er immer in enger Fühlung mit der christlichsozialen Partei, und die ihm angehörigen Schülerorganisationen stellten seinerzeit auch Kandidaten zu den Schülerratswahlen. Die Einstellung zur Autorität kennzeichnet schon die Stellung des Präses in dem sonst demokratisch aufgebauten Verein. Die volle Anerkennung aller traditionellen Autoritätsträger ist prinzipiell gegeben. Die Entwicklung des Reichsbundes zeigt, dass ausser den positiven Erziehungszielen das Negative der Fernhaltung der Jugendlichen von den sozialistischen Organisationen und später auch von den nationalen eine wichtige Rolle spielt. Im Reichsbund gibt es Gruppen für junge Männer, solche für Mädchen und auch geselligen Verkehr zwischen beiden Geschlechtern. Eine prinzipielle Auseinandersetzung mit dem Sexualproblem findet nicht statt, da die Prinzipien der katholischen Kirche als Gesetz gelten.
Im Gegensatz zum »Reichsbund« sind die Kongregationen rein religiöse Vereinigungen, die nie aktiv politisch tätig sind. Es gibt Kongregationen für Schüler und Mädchen, für jugendliche manuelle Arbeiter, die alle stark unter jesuitischem Einfluss stehen. Häufig sind sogar Jesuitenpater Leiter der Kongregation. Demgemäss spielt auch die Willenserziehung im religiösen Sinn in ihren Erziehungszielen die grösste Rolle, wenn auch getrachtet wird, das gesamte Wissen der Zeit in die Erziehungsarbeit einzubauen, die naturgemäss eine autoritativ auf die Mitglieder einwirkende ist. - Der Katholische Cartellverband ist die katholische Studentenverbindung, die in Abwehr des Einflusses der nationalen Studentenverbindungen entstanden ist und zwar spontan aus den studentischen katholischen Kreisen; dadurch unterscheidet sie sich von den bisher besprochenen katholischen Organisationen. Es handelt sich dabei aber keineswegs um eine Jugendbewegung im eigentlichen Sinn, da weltanschauliche Momente eine ganz untergeordnete Rolle spielen, lebensreformerische Bestrebungen überhaupt nicht bestehen. Die Verbindung will ihre Mitglieder zu Gesellschaftsmenschen erziehen, ihr Erziehungsziel ist der gewandte, akademisch gebildete Bürger, der den tieferen sozialen Schichten gegenüber eine Führerstellung einnehmen kann. Die religiöse Note wird mehr oder minder stark betont. Im übrigen ist die Organisation genau den bekannten nationalen Studentenverbindungen nachgebildet (Trinken, Comment usw.), nur mit dem Unterschied, dass die Mitglieder des C.V. sich nicht duellieren.

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Die eigentliche katholische Jugendbewegung in Österreich ist ebenso wie die neutrale und sozialistische von der deutschen Bewegung beeinflusst, ja erst in Anlehnung an diese gegründet worden. Eine katholische Gruppe entstand zuerst 1905 in Schlesien und zwar der Quickborn. Die Bewegung breitete sich rasch über ganz Deutschland aus. Sie war durchaus spontan, unabhängig von der Kirche entstanden und entwickelte sich manchmal sogar in striktem Gegensatz zu den kirchlichen Behörden, an manchen Orten allerdings auch mit deren nachdrücklicher Förderung.
In Österreich wirkte sich das Staatskirchentum hemmend aus, so dass eine katholische Jugendbewegung erst nach dem Umsturz entstehen konnte. Die Kernzelle bildete der Christlich-Deutsche Studentenbund, der in seinen Ursprüngen allerdings auch nur eine Abwehrorganisation gegen die deutschnationalen und sozialistischen Schüler- und Studentenorganisationen war. Im Christlich-Deutschen Studentenbund waren drei Gruppen vereinigt: Schüler, für die das Vereinsleben im wesentlichen den Reiz der früher verbotenen Vereinsmeierei hatte, ferner Kongregationisten und schliesslich eine Anzahl junger Leute, die zu einer wirklichen Jugendbewegung hinstrebten. Diese Gruppe drängte allmählich die anderen hinaus, und so kam es 1923 zur Gründung des »Neuland«.15 Damit fand diese Entwicklung ihren Abschluss.
Das Programm des »Neuland« ist grundsätzlich jugendbeweglerisch im allgemeinen Sinn, und der auf dem Meissner Treffen16 formulierte Grundsatz gilt für diese Bewegung ebenso wie für alle anderen. Sie unterscheidet sich von anderen Gruppen durch die religiöse Grundhaltung und damit auch durch ihre Einstellung zum Sexualproblem. Die katholische Jugendbewegung fordert volle Enthaltsamkeit bis zur Ehe. Sie behauptet, dass das nicht nur eine katholische Forderung sei, sondern eine natürliche Folge der jugendbeweglerischen Lebensform. Die Diskussion über sexuelle Fragen spielt in katholischen Kreisen eine sehr geringfügige Rolle. Sie gilt nur der Auseinandersetzung mit Zeiterscheinungen, z.B. dem Verhalten bestimmter Gruppen oder Organisationen.
Im Prinzip erkennt die katholische Jugendbewegung ebenso wie alle andern katholischen Jugendorganisationen im weitesten Mass die Autorität von Familie, Schule, Staat und Kirche an; doch schliesst dies nicht aus, dass zwischen der Familienerziehung und der bündischen ein starker Gegensatz besteht. Die Auseinandersetzungen gehen gewöhnlich um grössere Freizügigkeit. Auch politische Opposition gegen gewisse Verhältnisse ist mit dieser Einstellung zur Autorität vereinbar. Als charakteristisch in dieser Beziehung kann die Haltung der Neulandbewegung zur Autorität des Geistlichen angesehen werden. Als geistliche Autorität wird jeder Angehörige des Klerus unbedingt anerkannt, nicht gleichermassen als Autorität auf anderen Gebieten (Politik, Erziehung). Der Geistliche ist nicht kraft seines Amtes Führer des Bundes. Wohl sind häufig Geistliche Führer in der Bewegung, aber jene, die dahin kommen, stellen schon eine aus dem jugendbeweglerischen Geist sich ergebende Auslese dar. Auch dem Geistlichen kann die Führerschaft in der Bewegung nur von der Jugend selbst zuerkannt werden. Die Neulandbewegung steht auf dem Boden der katholischen Aktion, deren Zweck es nach den Ausführungen des

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Fürstbischofs Dr. Pawlikowski17 ist, die objektiv feststehenden katholischen Wahrheiten in konzentrierter, streng konsequenter Art auf das gesamte Seelenleben des jungen Menschen einwirken zu lassen.
Die Bewegung »Neuland« ist in Gruppen undemokratisch nach dem Führerprinzip organisiert. Ursprünglich bestanden nur getrennte Gruppen für Knaben und Mädchen (Jungenschaft und Mädchenschaft). Später wurden auch koedukative Gruppen geschaffen, die aber schon vor etwa drei bis vier Jahren wieder aufgegeben wurden, da sich in dem Kräftespiel zwischen Jugendbewegungstendenz und Klerikalismus dieser als stärker erwies. Die Gruppen umfassen Mädchen oder Burschen zwischen ungefähr 15 und 18 Jahren. Die Neulandbewegung ist vorwiegend von Mittelschülern und Studenten getragen. Wohl nehmen auch manuell arbeitende Jugendliche an der Bewegung teil, doch wird ihr ganzer Charakter mehr durch die studierende Jugend bestimmt. Die Situation in Österreich machte es nicht möglich, dass die katholische Jugendbewegung auf eine so breite Basis gestellt werden konnte, wie dies in Deutschland der Fall war.
Die Bedeutung der Neulandbewegung liegt nicht so sehr in der Zahl der jungen Menschen, die sie erfasst, als darin, dass sich um sie die geistige Elite der katholischen Jugend Österreichs gruppiert, die im christlichen Gedanken weltanschauliche Erneuerung sucht und nicht das Wiederaufleben alter autoritärer Formen.

1) Diese Arbeit wurde in der Psychologischen Forschungsstelle, Wien, angefertigt.
1 »Die Schule ist ein Politikum und nicht ein Ecclesiasticum«: Maria Theresia von Habsburg (Wien, 1717 - Wien, 1780) - seit 1740 Erzherzogin von Österreich und Römische Königin, 1745 bis 1765 Kaiserin - zugeschriebener Ausspruch. Anmerkung Reinhard Müller.
2 Johann Amos Comenius (d.i. Jan Amos Komenský; Niwnitz, Mähren [Nivnice, Tschechische Republik], 1592 - Amsterdam, 1670): Theologe und bedeutender Pädagoge; nach seiner Vertreibung seit 1656 endgültig in den Niederlanden. Anmerkung Reinhard Müller.
3 Tiers état: französisch: dritter Stand; Bezeichnung für die gegenüber Adel und Klerus nicht privilegierte Schicht der Bürger, Handwerker und Bauern, die sich dann in der Französischen Revolution von 1789 die Gleichberechtigung und später die politische Führung erkämpfte. Anmerkung Reinhard Müller.
4 Joseph II. von Habsburg-Lothringen (Wien, 1741 - Wien, 1790): seit 1764 Römischer König, seit 1765 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, seit 1780 Erzherzog von Österreich; Repräsentant des aufgeklärten Absolutismus (Josephinismus). Anmerkung Reinhard Müller.
5 Friedrich Wilhelm Thiersch (Kirchscheidungen, Sachsen-Anhalt, 1784 - München, Bayern, 1860): Altphilologe und Pädagoge; Universitätsprofessor, der 1829 einen neuhumanistisch gestalteten Lehrplan für Gymnasien (»Thierscher Schulplan«) ausarbeitete, in welchem die alten Sprachen dominierten, während die Realfächer eine untergeordnete Rolle spielten und ein eigener Deutschunterricht gänzlich fehlte. Anmerkung Reinhard Müller.
6 Johann Heinrich Pestalozzi (Zürich, 1746 - Brugg, Aargau, 1827): Pädagoge; beeinflusst von Aufklärung und der Französischen Revolution von 1789. Anmerkung Reinhard Müller M.
7 Kriegsjahre: gemeint sind die Jahre des Ersten Weltkriegs 1914 bis 1918. Anmerkung Reinhard Müller.
8 Otto Glöckel (Pottendorf, Niederösterreich, 1874 - Wien, 1935): Pädagoge und Schulreformer, sozialdemokratischer Politiker; 1918 bis 1934 Mitglied des Nationalrats, November 1918 bis März 1919 Unterstaatssekretär im Staatsamt des Innern, März 1919 bis Oktober 1920 Unterstaatssekretär für Unterricht im Staatsamt für Inneres und Unterricht; seit März 1922 Geschäftsführender Präsident des Wiener Stadtschulrats, der unter seiner Leitung zum Zentrum der pädagogischen und organisatorischen Neugestaltung des gesamten Wiener Pflicht-, Mittel- und Fortbildungsschulwesens wurde; mit dem Ziel einer einheitlichen Organisation des Bildungswesens der Grundschule (bis zum zehnten Lebensjahr), der Allgemeinen Mittelschule (bis zum vierzehnten Lebensjahr) und der allgemeinbildenden Oberschulen. Zur gehobenen Ausbildung der Volksschullehrer wurde im Januar 1923 das Pädagogische Institut der Stadt Wien eröffnet, dessen hochschulmäßigen Lehrerbildungskurs Marie Jahoda 1926 bis 1928 besuchte. Glöckel wurde nach dem Aufstand vom Februar 1934 zur Verteidigung der Demokratie verhaftet und erst im Oktober wieder freigelassen. Damit hatte die »Wiener Schulreform«, die auch internationale Anerkennung fand, ihr Ende gefunden. Anmerkung Reinhard Müller.
9 Burgenländische Schulschande (auch »pannonische Schulschande«): im Burgenland blieb - anders als in den übrigen Bundesländern Österreichs - in der Ersten Republik das konfessionelle Schulwesen als öffentliches Regelschulwesen erhalten. Anmerkung Reinhard Müller.
1) [Josef] Lehrl, Schulgemeinde und Jugendbewegung. In: Volkserziehung, 1933.
Josef Lehrl (Waidhofen an der Ybbs, Niederösterreich, 1894 - Wien, 1957): Pädagoge und Volksbildner; seit 1923 Mittelschulprofessor, seit 1936 Realschuldirektor; 1934 bis 1938 führend an der christlichsozialen Volksbildung und Jugendbewegung beteiligt; 1938 Vortragsverbot, 1939 Zwangspensionierung; seit 1945 Leiter der schulwissenschaftlichen Abteilung im Unterrichtsministerium. Anmerkung Reinhard Müller.
2) [Josef] Tzöbl, Vaterländische Erziehung, Wien 1933.
Josef (Alois) Tzöbl (Siebenhirten, Niederösterreich, 1900 - Wien, 1968): Schriftsteller und christlichsozialer Politiker; 1932 bis 1934 Mitglied des Bundesrates. Anm. R.M.
10 Vaterländische Front: im Mai 1933 vom österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (Texing, Niederösterreich, 1892 - Wien, 1934) geschaffene »überparteiliche« Organisation zur Zusammenfassung aller »regierungstreuen« Kräfte; nach Auflösung des Parlaments als Einheitspartei alleiniger Träger der politischen Willensbildung und des Ständestaats; nach dem »Anschluss« 1938 aufgelöst. Anmerkung Reinhard Müller.
1) Die historische Entwicklung der deutschen Jugendbewegung ist an anderer Stelle dieses Bandes geschildert.
11 Umsturz: gemeint ist der Sturz der Monarchie und die Errichtung der Republik Österreich nach dem Ersten Weltkrieg; in Abgrenzung davon wurde später die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich durch den »Anschluss« 1938 als »Umbruch« bezeichnet. Anmerkung Reinhard Müller.
12 Pionierbewegung: gemeint ist der »Komsomol / Комсомол« (Kurzwort für: Leninscher Kommunistischer Allunions-Jugendbund / Всесоюзный ленинский коммунистический союз молодёжи), 1918 in der Sowjetunion als einzige, staatliche Jugendorganisation gegründet, in der alle Vierzehn- bis Achtundzwanzigjährigen erfasst sein sollten; 1991 verboten. Anmerkung Reinhard Müller.
1) Siehe zum Begriff »Führungsbegabt« S[iegfried] Bernfelds Analyse in »Schulgemeinde und ihre Funktion im Klassenkampf«, Berlin 1928.
Siegfried Bernfeld (Lemberg, Galizien [L’viv / Львів, Ukraine], 1892 - San Francisco, California, 1953): Pädagoge und Psychoanalytiker; kam bereits vor dem Ersten Weltkrieg nach Wien, wo er eine bedeutende Persönlichkeit der österreichischen, insbesondere der pazifistischen und jüdischen Jugendbewegung wurde; seit 1922 praktizierender Psychoanalytiker; emigrierte 1934 nach Frankreich, 1937 in die USA. Anmerkung Reinhard Müller.
13 Vgl. Paul F[elix] Lazarsfeld / Ludwig Wagner: Gemeinschaftserziehung durch Erziehungsgemeinschaften. Bericht über einen Beitrag der Jugendbewegung zur Sozialpädagogik. Leipzig-Wien: Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky [1925] (= Der Aufstieg. Neue Zeit- und Streitschriften. 30/31.). Anmerkung Reinhard Müller.
14 Friedrich Wilhelm Foerster (d.i. F.W. Förster; Berlin, 1869 - Kilchberg, Zürich, 1966): Pädagoge; richtete 1896 ethische Kurse ein und widmete sich als bedeutende Persönlichkeit der beginnenden Jugendbewegung und auf Basis eines radikalen Pazifismus der Erziehungsarbeit auf dem Gebiet der »Charakterbildung«; habilitierte sich 1899 an der Universität Zürich für Ethik und Pädagogik; 1913 bis 1914 ordentlicher Universitätsprofessor der Philosophie und Pädagogik in Wien, danach in München; 1922 Übersiedlung in die Schweiz, 1933 Emigration nach Frankreich, 1940 über Portugal in die USA; 1963 Rückkehr in die Schweiz. Zum zitierten Buch vgl. Fr[iedrich] W[ilhelm] Förster: Autorität und Freiheit. Betrachtungen zum Kulturproblem der Kirche. Kempten-München: Kösel 1910. Anmerkung Reinhard Müller.
15 Recte »Bund Neuland«: 1923 gegründete katholisch-deutsche Jugendorganisation in Österreich, mit dem Ziel, »alles in Christus zu erneuern«; erklärte als erster katholischer Verein die Unvereinbarkeit (der Mitgliedschaft im »Bund Neuland«) mit dem Nationalsozialismus; 1938 Selbstauflösung; 1948 Neugründung. Anmerkung Reinhard Müller.
16 Meißner Treffen: Treffen von verschiedenen Jugendgruppen und einzelnen Jugendbewegten auf dem Hohen Meißner (Hessen) im Oktober 1913, auf dem der Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft durch die Jugendbewegung Ausdruck gegeben wurde, und welches vielfach als Beginn der organisierten Jugendbewegung in Deutschland gesehen wird. Hier ist das zweite Meißner-Treffen von 1923 gemeint. Anmerkung Reinhard Müller.
17 Ferdinand Stanislaus Pawlikowski (Wien, 1877 - Graz, Steiermark, 1956): Theologe; seit 1924 Militärvikar, 1927 bis 1953 Bischof von Graz-Seckau. Anmerkung Reinhard Müller.