Marie Jahoda-Lazarsfeld: Autorität und Erziehung in der Familie, Schule und Jugendbewegung ÖsterreichsIn: Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung. Band 2. Paris: Librairie Félix Alcan 1936, S. 706-725.Die Veröffentlichung auf dieser Website erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Lotte Bailyn, Belmont (Massachusetts). |
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Autorität und Erziehung in der Familie, Schule und Jugendbewegung Österreichs.1)Von Marie Jahoda-Lazarsfeld.
Inhalt.
I. Teil: Die Familie (hier nur ein kurzer Inhaltsauszug abgedruckt). S. 706. - II. Teil: Die Schule: die Anfänge der Volksschule. Die Schule des Liberalismus. Die Schulreform. Die Schule im heutigen Staat. S. 706. - III. Teil: Jugendbewegung. Historische Entwicklung. Sozialistische Jugendorganisationen. Katholische Jugendorganisationen. S. 717.I. Teil: Die Familie.
II. Teil: Die Schule.
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wählen, um den Wandel des Autoritätsbegriffes in den Schulinstitutionen zu zeigen.S. 708
erwerben«, in den »Trivialschulen« in erster Linie die Pflege des Gedächtnisses und erklärte: »Nur nach den Bedürfnissen der Kinder muss man ihnen auch rechte Begriffe beibringen und ihre Empfindungen erwecken, jedoch nur solche, welche für Menschen ihres Standes und Berufes notwendig sind, deren vorzüglicher Zweck die Moralität ist und die zur Erweckung derselben bei dieser Klasse von Untertanen geeignet sind. Vor allem aber soll dabei auf ihren Willen gesehen werden, wozu bei dieser Menschenklasse nur durch Autorität und durch von Autorität hergeholte Gründe, unter welche auch die den Trieb der Nachahmung reizenden Beispiele zu rechnen sind, gewirkt werden kann.« Und von den Lehrern heisst es, sie werden sich aller weiteren Entwicklungen als jener, die in dem Schul- und Methodenbuche genau vorgezeichnet sind, strenge zu enthalten haben und allemal nur dahin trachten, dass das Auswendigzulernende fest behalten werde.S. 709
Liquidierung des Analphabetismus durch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht vom 6. bis zum 14. Lebensjahr. Die Lehrerbildung wurde auf 4 Jahre erhöht, neue Unterrichtsgegenstände eingeführt, vor allem Naturgeschichte, Naturlehre, Geographie, Geschichte, Gesang, Handarbeiten und Turnen. Dieses Gesetz ist die Krönung der Entwicklung, die vor der französischen Revolution begonnen hatte, es ist ein Ausdruck für den Sieg des Bürgertums über den Feudalismus.S. 710
Gegensätzlichkeit fand ihren krassesten Ausdruck in dem Nebeneinander von Religions- und Naturgeschichtsstunden, wobei auf die offensichtliche Diskrepanz beider Weltanschauungen in keiner Weise eingegangen wurde. Die Schule vermied es, sich mit Weltanschauungsfragen auseinanderzusetzen, und überliess es im allgemeinen der Jugend sich irgendwie damit zurechtzufinden. Die Gefahr, dass die Kritik der Jugend diesen Widerspruch aufdeckte, war jedoch der Schulbehörde wohl bewusst, wie aus einer Stelle in einem Erlass des österreichischen Ministeriums für Kultus und Unterricht aus dem Jahre 1884 hervorgeht: »... in den realistischen, insbesondere geschichtlichen Gegenständen auf das Sorgfältigste zu vermeiden, was, wenngleich wissenschaftlich feststehend und wertvoll für Forschung und Lehre, doch in der Volksschule geeignet ist, die kindlichen Begriffe zu verwirren und die Grundlage der in den Schulen heranzubildenden religiösen Überzeugung und ihrer Anhänglichkeit und Liebe zum gemeinsamen Vaterland unsicher und schwankend werden zu lassen.« Hier spricht ganz unverhüllt das klerikal-monarchistische Staatsinteresse. Wenn aber die Philologen der Gymnasien ängstlich von der »materiellen Richtung der Zeit, welche auf den Eisenbahnen und Dampfmaschinen mit beflügelter Eile vorwärtsschreitet«, sprechen und der Leiter des bayrischen Unterrichtswesens, Thiersch,5 die »für die Sittlichkeit gefährliche Seite der Naturgeschichte« hervorhebt und befürchtet, dass die Bürgerschule keine Gebildeten, sondern »wahre Kinder der Zeit, Umwälzungsmenschen« erzeuge, so darf man auch hinter allen diesen Befürchtungen die Interessen suchen, die so klar aus dem österreichischen Schulerlass sprechen.S. 711
Klassifikationssystem ordnet schon die Schüler einer Klasse in eine Hierarchie ein. Diese Rangordnung geht soweit, dass oft die gesamte Schülerschaft einer Klasse ihren genauen Platz erhält und jeder zur Konkurrenz mit dem um einen Grad höher stehenden angeregt wird. Die Sittennote ist das Merkmal dafür, inwieweit der Schüler für seine Untertanenpflicht des Gehorchens und Anerkennens der obrigkeitlichen Autorität vorbereitet erscheint.S. 712
von 1918 bis 1919 realisierten diese Idee. Um den Kindern unabhängig von der materiellen Situation ihrer Eltern einen möglichst gleichmässigen Start zu gewährleisten, wurden zunächst sämtliche Lernmittel, von den Atlanten bis zum Federstiel, sämtlichen Kindern unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Diese Massnahme wurde durch die Notlage der österreichischen Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren gerechtfertigt und war psychologisch und pädagogisch gleich bedeutsam. Damit fiel die Notwendigkeit für arme Kinder, den Bedürftigkeitsnachweis zu erbringen, weg, und es ersparte ihnen das drückende Gefühl des Almosenempfangens; sie wurden in eine freiere Situation gegenüber ihren begüterten Mitschülern versetzt, was ihnen erst ermöglichte, mit diesen unbeschwerter in Konkurrenz zu treten. Pädagogisch waren so die Nachteile, die bis dahin ganze Generationen der Schuljugend aus der Arbeiterschaft bedrückt hatten, beseitigt. Waren vorher viele Lernschwierigkeiten auf das Fehlen der Bücher zurückzuführen, so konnte jetzt jedes Kind mit gleich gutem Material arbeiten. Man versuchte die intellektuelle Benachteiligung durch das Milieu auch in der Richtung auszugleichen, dass den Kindern erlaubt wurde, länger, als es der Stundenplan vorsah, in der Schule zu bleiben, um ihnen den ruhigen Arbeitstisch, den sie zu Hause nicht hatten, zu bieten. Unterstützt wurde diese Bestrebung durch die von der Schulverwaltung begünstigte Gründung von Horten für die Schuljugend. Diese Demonstrierung des demokratischen Prinzips entsprach nicht nur als allgemeines Erziehungsmittel den neuen Tendenzen, sondern sollte auch dazu dienen, den Kindern das Wesen des seinen Verpflichtungen allen Staatsbürgern gegenüber gleichermassen nachkommenden demokratischen Staates zum Bewusstsein zu bringen. Von dem Gedanken ausgehend, dass auch der körperliche Zustand der Jugend ihre intellektuellen Aufstiegsmöglichkeiten beeinflusst, wurden Schulspeisungen, Kleideraktionen, Schulbäder usw. eingeführt.S. 713
richtsmethoden der Schulreform ergaben sich als notwendige Folge der Erkenntnisse über die kindliche Persönlichkeit, die besonders in Wien durch reiche Anregungen von den verschiedenen psychologischen Schulen gefördert wurden ([Alfred] Adler, [Charlotte] Bühler, [Sigmund] Freud). Die Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit als Mittelpunkt des gesamten Erziehungswesens erforderte eine grundlegende Änderung des autoritären Prinzips und der Unterrichtsmethode der alten Schule.S. 714
bung gewisser Fähigkeiten vom Leben, nicht von der Schule gefordert wird, so wenn sie z.B. darauf kamen, dass man, um das Schulhaus oder den Bahnhof wirklich kennen lernen zu können, so und so viele Rechnungen durchführen müsse. Multiplizieren erscheint ihnen dann als eine Lebensnotwendigkeit, wenn der Lehrer ihnen mitteilt, dass das ein abgekürzter Weg ist, um die Schülerzahl einer, sagen wir, zwölfklassigen Schule zu erfahren. Dass der Lehrer dabei weder als sachliche Autorität noch als geistiger Führer in den Hintergrund treten kann, dass er sogar beides in viel höherem Masse sein muss als der alte Lehrer, der nicht in die Situation kam, allen spontanen kindlichen Gedanken und Einfällen Rechnung zu tragen, ist nur selbstverständlich. Die freie äussere Form des Unterrichts konnte und wollte all der tatsächlichen Autoritätsstellung des Lehrers nichts lindern. Gerade diese Form des Gesamtunterrichts führte noch in anderer Hinsicht zur Durchbrechung der traditionellen Schulautorität. Das Klassenzimmer in seiner strengen Form - die Katheder, die Schulbänke mit Kindern, die die Hände nicht ohne Erlaubnis von der Bank rühren durften, - veränderte sich. Zwar blieb der Tisch für den Lehrer weiterhin stehen, aber der Unterricht spielte sich entweder so ab, dass der Lehrer mitten unter seinen Schülern arbeitete oder dass die Schüler um den Tisch des Lehrers herumstanden, um etwa ein Experiment besser verfolgen zu können. Diese Form des Unterrichts war nur durchzuführen, wenn die Schülerzahl möglichst gering war. Sie betrug in Wien im Durchschnitt 29 für eine Klasse. Es ist nicht erstaunlich, dass manche Lehrer, die dieser neuen Form des Unterrichts nicht gewachsen waren, das Unterrichtsziel mit ihren Klassen nicht erreichen konnten, weil die neuen Methoden vom Lehrer viel Voraussicht und ausserordentliche Geistesgegenwart und Konzentration auf die Kinder verlangten, um diese trotz der Freiheit, die ihrem Denken gewährt ward, in den Bahnen des Lehrstoffes zu halten.S. 715
die Kinder nicht nur eine intellektuelle Anstrengung sein; sie wurden weitgehend zum Selbstarbeiten, teils in Werkstätten, teils im Klassenraum veranlasst. Beide Momente sollten in den Kindern die Wertschätzung der manuellen Arbeit erwecken.S. 716
Die Schule im heutigen Staat:S. 717
Recht die Erziehung in erster Linie Sache der Eltern, die für ihre Kinder in materieller wie in moralischer Hinsicht verantwortlich sind. Ergänzt und modifiziert wird dieses Prinzip durch die Forderung, die Kinder zur herrschenden Staatsform zu erziehen. Am drastischsten formuliert dieses Erziehungsziel vielleicht Lehrl1): das Ziel für den neuen Menschen müsse der Typus des Soldaten sein, dem unbedingter Gehorsam Pflicht ist, ihm gegenüberstehend vereinzelte »Herrenmenschen«, die Führer. Es ist sehr begreiflich, dass zur Verwirklichung dieses Erziehungzieles [!] alle jene autoritären Massnahmen, die vor 1918 eine Rolle gespielt haben, wieder herangezogen werden müssen. »Wenn dabei (gemeint ist die neue Erziehung) der Stock eine Rolle spielt, dann weg mit der verlogenen Phrase von der züchtigungslosen Erziehung« (Tzöbl).2) Wie ausserordentlich schwierig der Grundsatz einer für das ganze Volk geltenden Erziehung in der heutigen Gesellschaft zu formulieren ist, zeigt eine wohl unabsichtliche, deshalb aber nicht minder aufschlussreiche Wendung in Tzöbls grundlegenden Schrift: »Der Ungeist des Parteihasses bleibe so lange als möglich von der Jugend ferne. Dennoch soll die Volksschuljugend eine tiefgehende vaterländische Erziehung geniessen« (Sperrung von uns).III. Teil: Die Jugendbewegung.
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ob die Organisation aus einer spontanen Bewegung der Jugend selbst entstanden ist oder ob sie von einer bestehenden politischen Partei oder ähnlichen Institution gegründet wurde. Wenn wir hier zunächst die historische Entwicklung darstellen, so geschieht dies aus der Erwägung, dass nur an der Jugendbewegung die Tendenzen der Erziehungsarbeit, welche die Jugend bewusst an sich selbst leistet, deutlich erfasst werden können und dass erst die historische Betrachtung der Jugendbewegung es ermöglicht, ihre Elemente in den von Parteien oder vom Staat erfolgten Gründungen zu erkennen.S. 719
darin, dass sie über die negative Kritik an den Kulturformen der Erwachsenen hinaus ihren Anhängern ein konkretes Ziel gewiesen hat: die Erkämpfung einer jugendgemässen Schule. Diese Zielsetzung war andeutungsweise schon in den Jugendbewegungsformen vor dem Krieg gegeben. Der Umsturz11 fand einen vorbereiteten Boden, die Schulideen beschäftigten die neubelebte Jugendbewegung auf das intensivste, und die Schulreform hat ihr manche Anregung zu verdanken. Das zentrale Problem, um das sich die Forderungen der Schüler und Studenten gruppierten, war die Schulgemeinde. Im Jahr 1919 wurde die erste Sitzung des »Zentralausschusses der Wiener Mittelschüler« abgehalten, die, vom Standpunkt der Wandlungen des Autoritätsbegriffes aus, denkwürdig ist. Das erste Mal in der Geschichte der österreichischen Schule setzten sich Schüler über die Schranken ihrer Anstalten und die Autorität ihrer Direktoren hinweg, um schulorganisatorische Fragen vom Standpunkt der Schülerschaft aus gemeinsam zu behandeln. In diesem Zentralausschuss waren Schüler sämtlicher politischer Richtungen vertreten. Ihre Hauptforderungen, die überschulische Zusammenfassung der Schulgemeinden und die Übergabe der Disziplinargewalt an die Schülerschaft, die den prinzipiell bürgerlichen Charakter der Schulreform gesprengt hätten, wurden ihnen jedoch nicht bewilligt. Der Misserfolg in diesen grundlegenden Punkten verurteilte die Schulgemeinde von da an zu einem unscheinbaren Dasein. In den meisten Fällen wurde sie von den Lehrern dazu verwendet, die damals bei der Masse der Schülerschaft unbeliebten autoritären Anforderungen von den Schülern selbst durchsetzen zu lassen. Im Jahre 1924 nahm die Schülerbewegung einen neuen Aufschwung, der aber nach einiger Zeit im wesentlichen resultatlos versandete.S. 720
sie, die Kinder in ein kulturell gehobenes, sozialistisches Milieu zu stellen. Ihre Einstellung zur Schule ist, wie die zur Familie, durchaus positiv. In den Horten, die die Kinderfreunde eingerichtet hatten, wurden auch Schulnachhilfestunden erteilt. Die Autoritätsfrage war für diese Organisation ausserordentlich schwer zu lösen. Auf der einen Seite unterstützte sie Familie und Schule und war damit auch autoritätsfreundlich. Auf der anderen Seite vertrat sie sozialistische Erziehungsgedanken, welche die nur traditionell verankerte Autorität ablehnen. Die Organisation versuchte, die Autorität der Idee und der sie tragenden Institution an die Stelle der Autorität der Person zu setzen, und hat auch in diesem Sinn die Eltern beeinflusst. Trotz der vorhandenen Gegensätze in verschiedenen Erziehungsfragen konnte diese Organisation tatsächlich immer in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Idee den Kontakt mit der Familie wahren und dabei neue Grundsätze der Erziehung zu verwirklichen suchen. Das ging sogar so weit, dass sie es wagen durfte, den Kindern in ihren Heimen kindertümlich geschriebene sexuelle Aufklärungsschriften zu geben, ohne dass die Eltern daran Anstoss nahmen. Diese Organisation war für Kinder bis zum 14. Lebensjahr gedacht. Es stellte sich aber heraus, dass ihr mehr fürsorgerischer als jugendbeweglerischer Charakter den Kindern etwa vom 12. Lebensjahr an nicht mehr genug bieten konnte. Es bestand die Möglichkeit, dass die unbefriedigten Zwölf- bis Vierzehnjährigen den Anschluss an die proletarische Bewegung verlieren könnten. Deshalb wurde in Anlehnung an die Pionierbewegung in Russland12 und an die Pfadfinderbewegung die Rote Falken-Bewegung ins Leben gerufen. Auch sie wurde von oben her organisiert und ist nicht spontan unter den Kindern entstanden; trotzdem nahm sie ganz den Charakter einer Jugendbewegung an. Ihr Ziel war die Erziehung klassenbewusster junger Arbeiter. Der Autoritätsgedanke spielt in dieser Bewegung eine bemerkenswert grosse Rolle. So sehr lange Zeit der persönliche politische Führer in der sozialdemokratischen Bewegung abgelehnt worden war, so sehr setzte er sich gerade in dieser Organisation durch. Von der psychologischen Erkenntnis ausgehend, dass der Jugendliche erst über die persönliche Bindung an den Führer zur Bindung an eine Idee gelangt, wurde hier bewusst eine Einrichtung geschaffen, in der führungsbegabte junge Menschen1) mit allen Mitteln der Jugendbewegung - Romantik, Wanderbewegung, Jugendkultur im lebensreformerischen Sinn - Kinder in sozialistischem Geist erziehen sollten. Das politische Ziel dieser Bewegung war, die Kinder, soweit es ihr Denken gestattete, mit der Zeitgeschichte und den Klassenkräften, von denen die Gesellschaft bewegt wird, vertraut zu machen. Der Rote Falken-Führer genoss tatsächlich in seiner Gruppe eine ebensolche Autorität wie der selbsterkorene Führer der bürgerlichen Jugendbewegung, doch war im Gegensatz zur Kinderfreundebewegung damit nicht auch die Anerkennung von Familien- und Schulautorität verbunden. Diese Bewegung fand daher auch nicht in gleichem Masse wie die Kinderfreundebewegung die Unterstützung der Eltern; besonders die Mädchen mussten die Zugehörigkeit zurS. 721
Falkengruppe oft in hartem Kampf gegen die Eltern durchsetzen. Der kulturelle Einfluss dieser Bewegung ist hoch einzuschätzen. In den Sexualfragen nahm sie etwa dieselbe Stellung wie die Kinderfreunde ein. Die Gruppen der roten Falken waren im Prinzip wie übrigens alle sozialistischen Jugendorganisationen koedukativ.S. 722
Um den körperlichen Zustand der Kinder, die durch die Kriegsjahre sehr geschwächt waren, zu heben, wurde danach getrachtet, möglichst vielen von ihnen in den Sommermonaten in Heimen Erholungsmöglichkeiten zu bieten. Diese zunächst rein fürsorgerischen Bestrebungen wurden dann auch von den Kinderfreunden aufgenommen, und es entwickelte sich daraus eine eigene Bewegung mit dem Ziel, sozialistische Pädagogik wenigstens in den Sommermonaten zu verwirklichen. »Gemeinschaftserziehung durch Erziehergemeinschaft«,13 der Titel einer Broschüre, die die Ideen dieser pädagogischen Arbeit darstellt, gab der sozialistischen Jugendkoloniebewegung ihr Programm. Der dort geschilderte Versuch ist zur Klärung der Frage, ob autoritätsfreie Erziehung überhaupt möglich ist, ausserordentlich interessant. Einsetzung persönlicher Autorität oder der Autorität auf Grund von Funktionen im Gemeinschaftsleben wurde in dieser Kolonie strengstens vermieden. Es ergab sich aber bald, dass bestimmte Institutionen (Zimmergemeinschaft, Kolonieversammlung usw.), soweit sie für das Wirtschafts- und Gemeinschaftsleben der Kolonie eine tatsächliche Funktion hatten, zu Trägern der Autorität wurden.S. 723
Die Heranziehung der Kinder zur Teilnahme an religiösen Übungen und Feierlichkeiten spielt eine bedeutende Rolle. Nur in gewissen lebensreformerischen Tendenzen (gegen Alkohol, Nikotin usw.) machen sich Einflüsse der Jugendbewegung geltend.S. 724
Die eigentliche katholische Jugendbewegung in Österreich ist ebenso wie die neutrale und sozialistische von der deutschen Bewegung beeinflusst, ja erst in Anlehnung an diese gegründet worden. Eine katholische Gruppe entstand zuerst 1905 in Schlesien und zwar der Quickborn. Die Bewegung breitete sich rasch über ganz Deutschland aus. Sie war durchaus spontan, unabhängig von der Kirche entstanden und entwickelte sich manchmal sogar in striktem Gegensatz zu den kirchlichen Behörden, an manchen Orten allerdings auch mit deren nachdrücklicher Förderung.S. 725
Fürstbischofs Dr. Pawlikowski17 ist, die objektiv feststehenden katholischen Wahrheiten in konzentrierter, streng konsequenter Art auf das gesamte Seelenleben des jungen Menschen einwirken zu lassen.