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Brief von Paul G.A. Hermberg an Ernest Manheim in Kansas City, Mo. Bogotá, am 29. Jänner 1939 Transliteration and comment byReinhard Müller [1] Bogotá den 29. Jan[uar] 1939. von Annemarie [2] bin ich über Ihre Fortschritte unterrichtet und sage hiermit meinen Glückwunsch. Meine Fortschritte hier geben dazu leider garkeinen Anlass. Nach meiner Rückkehr war hier alles verändert. Ausgerechnet der einzige Mann, mit dem ich mich vor 3 Jahren hier verkracht habe, war Contralor [3] geworden und mein Freund der frühere Cont[r]alor ist jetzt Finanzminister. Der Erfolg war sehr bald ein Krach und eine Anzweifelung der Gül[t]igkeit meines Vertrages. Nach dreimonatlichem hin und her hat das nun zu einer Lösung meines Vertragsverhältnisses geführt und ich hänge hier nun in der Luft. Vorläufig bin ich noch vorübergehend im Finanzministerium beschäftigt, aber ich bin doch dabei, mich nun ernsthaft in U.S.A. umzusehen. [Robert] Ulich [4] hat mir geschrieben, dass z[ur] Z[eit] Prof. [Paul Howard] Douglas [5] in Chicago eine Liste von deutschen Professoren, die in U.S.A. verwendet werden können, zusammenstellt. Wir haben ja wohl damals in Chicago auch Douglas besucht. Ich kann mich zwar nicht mehr besinnen, wer von den Vielen es war, habe ihm aber jedenfalls unter Berufung auf unsern Besuch geschrieben. Können Sie ihm Vielleich[t!] auch noch mal schreiben und mich ihm ans Herz legen? Mir liegt natürlich viel daran, nun endlich mal wieder mit meiner Familie zusammenzuleben und nach meinen Eindrücken wird U.S.A. der einzige Boden sein, wo das möglich ist. Meine Einwanderung wird aber wahrscheinlich nur erfolgen können, wenn ich irgend eine Gelehrtentätigkeit habe. Am liebsten würde ich natürlich schon wegen der Sprache zuerst irgend eine Forschungstätigkeit haben, da man sich ja z[ur] Z[eit] in U.S.A. so für Südamerika interessiert, etwa eine Arbeit über Handelsentwicklung Südamerikas. Ich brüte gerade über einem Buch darüber, das sehr interessante Sachen bringen soll, wenigstens für mich, ob auch für andere ist mir nicht ganz so sicher. Wenn Sie mir in dieser Richtung irgendwie helfen würden, wäre ich sehr dankbar. Sonst weiss ich aus dieser trüben Welt nichts neues zu berichten, ausser dass es drüber [!] Annemarie und den Kindern, soweit meine Nachrichten reichen, gut geht. Mit besten Grüssen für Ihre Frau, Tibor [Manheim] [6] und Sie Paul Hermberg Das Original dieses Briefes befindet sich im Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich, Graz, Nachlass Ernest Manheim, Signatur 31/1. Paul Gustav August Hermberg (*Münsterdorf, Holstein 1888, †Berkeley, Calif. 1969), amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker deutscher Herkunft; emigrierte 1936 nach Kolumbien und 1940 in die USA; 1925-1929 außerordentlicher und 1929-1933 ordentlicher Professor der Statistik an der Universität Leipzig; 1933 "freiwillige" Niederlegung der Professur; 1936-1940 Berater der kolumbianischen Regierung; 1940-1946 Economist in der Division of Research and Statistics des U.S. Board of Governers of the Federal Reserve System, 1946-1948 Angestellter des Office of Military Government, United States (in Germany); 1956 Rückkehr in die BRD. Anm. R.M. [2] Annemarie Hermberg (geborene Gobbin; 1898-1990), seit 1923 Ehefrau von Paul G.A. Hermberg; sie blieb während des Kolumbienaufenthaltes ihres Mannes mit den vier Kindern in den USA. Anm. R.M. [3] Contralor (spanisch): Rechnungsprüfer. Anm. R.M. [4] Robert Ulich (*Riedemühl bei Lam 1890, †Stuttgart 1977), deutscher Pädagogikhistoriker und Philosoph; emigrierte 1934 in die USA; 1934-1937 Lecturer, 1937-1961 Professor of Philosophy and History of Education an der Graduate School of Education der Harvard University in Cambridge, Mass.; 1970 Rückkehr in die BRD. Anm. R.M. [5] Paul Howard Douglas (*Salem, Mass. 1892, †Washington, D.C. 1976), amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. Anm. R.M. [6] D.s. Anna Sophie (später: Ann Sophy) Manheim (geborene Vitters; *Osnabrück 1899, †Kansas City, Mo. 1988), seit 1928 Ehefrau von Ernest Manheim, und Tibor (später: Frank Tibor) Manheim (*Leipzig 1930), Geochemiker, Sohn von Anna Sophie und Ernest Manheim. Anm. R.M. |