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Der »Luckate Stein«
Von
Arnold Krizsanits
2012
Das
Vorhandensein dieses seltsamen Steines wird uns erstmals im Urbar über
die Herrschaft Unterwaltersdorf im Jahr
1571
gemeldet. Dort heißt es auf Seite 44:
»Erstlich
herdishalb der Vischa
(rechts des Fischaufers; Anm.
A. K.) gegen den Leittaperg werts, da ligen
bey
dem löcherten Stain so Waldersdtorffer vnnd Mitterndorffer gründt
tailt, gegen der Vischa hinab etliche feine Wißfleckhl, ungevährlich bey
zwelff tagwerch, die sollen eingfridt vnnd jährlichen ain benente anzall
Felber, Albern, Erla, vnnd Aschpen darein gesetzt werden von wegen
erziglung holz zuerhaltung des Mosprunner weg.
Dis
wismadt ist mit ainem graben umbfangen, vnnd zw Ziglung ainer Auen mit
allerley Päumben, von Felber, Albern und Aschpen vnnd Erlen übertausend
besetzt worden, vnnd sollen die Päumb fleissig gehait werden.«
So manche Geschichte rankt
sich um diesen Stein, der seit dem Jahr 1976 seinen Platz gefunden hat,
also im Jahr seiner
Versetzung an die Stelle neben der Landesstraße 4043, auf dem Weg nach Unterwaltersdorf, im Zuge der Zusammenlegung von landwirtschaftlichen
Grundstücken in Mitterndorf a. d. Fischa.
In früheren Jahrhunderten grenzte er die »Obere
Erlauchwiese«, welche die letzte Flur auf Mitterndorfer Gemeindegebiet
bildete, gegen das Gemeindegebiet (den »Hotter«, so nennen die Bauern
das jeweilige Gemeindegebiet) von Unterwaltersdorf ab. Was wohl sein
eigentlicher Verwendungszweck gewesen sein dürfte. Eben bloß ein
Grenzstein.
Sein eigenwilliges Aussehen, geprägt durch die zwei fast
gleichförmigen, ovalen Löcher, durch welche ein Mensch seine Hände
durchreichen kann, gab Anlass für zum Teil schaurige Spekulationen über
seinen vermeintlichen Verwendungszweck.
Zum Beispiel sollten hier Verbrecher zur Bestrafung bei
Wind und Wetter über Nacht angebunden worden sein, um sie wehrlos den
Angriffen wilder Tiere (Wölfe und Bären) zu überlassen.
Ein anderes Mal wird vermutet, dass hier Grenz- und
Feldfrevler (also Bauern, welche die Grundgrenzen zu den Nachbarn
verletzt hatten, oder solche Personen, die sich die Feldfrüchte der
Bauern unerlaubterweise aneigneten) als verdiente Strafe bei jeder
Witterung angebunden wurden, um sie dem Spott und der
Verachtung der ehrlichen Leute preiszugeben. Damit hätte dieser Stein
aber die Funktion eines Prangers erfüllt.
Soviel wir aber wissen, befand sich der Pranger meist im
Zentrum eines Dorfes oder einer Stadt, auf Haupt- und Marktplätzen,
keineswegs aber auf weiter Flur. Der Übeltäter sollte ja von
möglichst vielen Menschen gesehen und vor ihnen »angeprangert« werden
können.
Wenn es nun heißt, dass hier Feld- bzw. Grenzfrevler
angebunden wurden, so war das für die Betroffenen meist eine äußerst
schmerzhafte Prozedur, die der »Freymann« dem Malefikanten durch ein
heftiges Umschnüren der Arme zufügte, wobei sich die Schnüre tief in das
Fleisch eingruben. Dies war eine gefürchtete Strafart, bei der der
Delinquent durch das »Tormentum (d. i. die Folter;
Anm.
A. K.) des Schnürens
die am Handgelenk apleciret wird« höllische Qualen
durchleiden musste.
Wenn man nun annimmt, dass der Feldfrevler zu einer
milderen Strafe verurteilt wurde, so genügte es, ihn nur symbolisch zu
binden: sozusagen als Ermahnung. Oft reichte dazu nur ein Garnfaden aus.
»Einen ähnlichen Stein finden wir in der Wiener Vorstadt
Währing. Die Auslieferung der Verbrecher an den Wiener Stadtrichter fand
in früherer Zeit beim ›Burgfriedenstein‹, dem ›Luckigen Stein‹, statt.
Erschien der Richter nicht rechtzeitig, um ihn zur vereinbarten Zeit
abzuholen, so wurde der Beschuldigte mit einem Zwirn oder auch nur einem
Strohhalm an dem Stein festgebunden, wobei man den Strohhalm durch das
Loch des Steines zog. Gelang es nun dem Malefikanten, sich loszureißen,
so war er ein freier Mann.«
(Mitteilung von Herrn Michael Landrichter, dem ehemaligen
Kustos des Bezirksmuseums Wien-Wieden, im Jahr 1980.)
Es wäre also gut möglich, dass es hier Parallelen zu
unserem »Lucketen Stein« gibt.
Tatsache ist jedenfalls, dass die Inhaber der Herrschaft
Unterwaltersdorf aufgrund der Landgerichtsordnung von Kaiser
Maximilian I. nur die Voruntersuchungen gegen die verdächtigten Personen
durchzuführen und Beweise für ihre Schuld zu finden, nicht aber
das Urteil über deren Verbrechen zu sprechen hatten. Das war dem Stadtrichter
zu Wien vorbehalten. Der Grund dafür war, dass sich die
Landrechtsinhaber auf diese Weise die oft nicht unbeträchtlich hohen
Kosten für das Gerichtsverfahren ersparten konnten. Meist war so ein
Gesetzesbrecher ohnedies mittellos, sodass man von ihm die Kosten nicht
ersetzt bekommen konnte.
Beim Einsetzen eines Grenzsteines wurden zuerst unverrottbare
Gegenstände wie Glasscherben oder Kohle in die Grube gelegt, damit man
auch nach einem mutwilligen Versetzen des Steines die Stelle wieder
finden konnte.
Ein Grenzfrevler wurde nach der alten Rechtsprechung hart
bestraft. Er wurde anstelle des Marksteines bis zum Hals eingegraben,
worauf ein Ochsengespann Pflugscharen über seinen Kopf zog. Der skelettierte Schädel sollte
von nun an das Grenzzeichen darstellen. So
grausam sollen Strafen damals gewesen sein.
In der »Peinlichen Gerichtsordnung« von Kaiser Karl V.
aus dem Jahre 1532 lesen wir über die Art dieser Bestrafungsweise
allerdings Folgendes: »Vom lebendigen vergraben: § Lebendig vergraben vnd gepfelt werden soll.« Für den Feldfrevel, also für
den Diebstahl von Feldfrüchten, war wohl aber die »Abhawung der finger«, das Abschlagen von zwei Fingern der rechten
Hand, und anschließender Landesverweis wohl gerade noch eine »milde«
Form der Bestrafung.
Copyright © 2012 Arnold Krizsanits, Mitterndorf a. d. Fischa

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