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tagebücher / 1935-38 / 1935-11-10

Sonntag, 10. Nov.

Gestern blieb ich den ganzen Tag zu Hause. Es hat sich auch gelohnt, denn ich habe endlich, nach längerem Überlegen, die Dispos. & den Charakter des Aufsatzes über „Logistik & Sozialwissenschaften“ gefunden. Heute habe ich die einzelnen Abschnitte schon im Detail festgelegt, so daß ich den Aufsatz von ca 20-25 MS-Seiten wachsen sehe. Ich hoffe rasch vorwärts zu kommen. Es wird mehr eine eindringliche Rede, denn eine ganz scharfe Abhandlung sein. – Otto Conrad hat mir für die ZfN eine Abhandl. gegen meinen Voraussichts-Aufsatz geschickt. Er hat das ganze entweder nicht verstanden, oder will nicht verstehen, denn er fühlt sich von meinen Argumenten, obwohl ich gar nicht an ihn gedacht hatte äusserst in Verlegenheit gesetzt. Ich werde eine Miszelle bringen & muß selbst einige Seiten dagegen polemisieren. Aber das wird sehr kurz sein. Das nächste Heft der Zeitschrift macht mir noch etwas Schmerzen. – Wie schön es ist, einmal 2 Tage ganz der Arbeit & dem Nachdenken widmen zu können.

Heute vor 8 Tagen hat übrigens Mayer einen skandalösen Artikel über Dobretsberger geschrieben. Er ist ihm mit lautem Geschrei in den Hintern gekrochen. Diese Vorstellung hat auf alle Leute den schlechtesten Eindruck gemacht.

Meinl, der neulich im Büro bei mir war, hat mir „etwas für mich äußerst wichtiges“ vom Fin. Min. Draxler mitzuteilen. Daher bin ich morgen zum Lunch bei ihm. Gewöhnlich ist das irgend ein Plan zur Ermässigung des Caffee-Zolles! – Joham schlug neulich vor, wieder einen „Kobenzl-Abend“ zu machen. Draxler hat Erscheinen zugesagt. Mit Hryntschak habe ich schon telephoniert

Gestern war Mi zum Tee bei mir. Sehr lieb. Auch heute, - ich war bei ihr zum Schwarzen - - war sie sehr verliebt. Wir gingen durch ihre Wohnung & sprachen von den Möglichkeiten der Adaptierung …! Die Semperit hat ihr geschrieben, daß ihre Produkte (die also die neue Ges.m.b.H. herstellen wird) sehr gut sind & sie kaufen will. Also kommt alles in Fluß. Nur das Kammer-Gesetz! Jetzt sollte es sich schon rühren! – Kienböck hat übrigens schon vor einiger Zeit einen Brief an Stockinger gerichtet, in dem er für Aufrechterhaltung der Kammern eintritt & vor allem den Einbau des Konj.forsch.-Institutes für sehr wünschenswert hält. Das wird sicher helfen! – Ich werde diese Woche wieder zu Kienböck gehen & auch F... dabei besuchen. – Mr. Bertram Marx, der einen Plan zur Finanz- & Geldmarktreform ausgearbeitet hat, sekkiert mich; er ist aber ganz nett & wohl auch als Financier seriös. Andrews ist leider nicht gekommen; ich muß ihm schreiben. Myra Tiarks hat sich übrigens in England gut verlobt. Frank sollte mich zur Hochzeit einladen, als Entschädigung für die Wirtschaft die ich hier hatte!

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1935-38, Eintrag 1935-11-10
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.21)