OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1935-38 / 1935-12-20

Freitag, 20. XII. 35.

Hoare zurückgetreten, grosse Debatte im Unterhaus, Baldwin blamiert etc. Die Lage verschlechtert sich weiter. Italien hat sich in eine schreckliche Lage gebracht; jetzt senden sie weiter Truppen nach Abessinien. Finanziell wird das allein schon schlimm ausgehen. Ich glaube, daß es doch noch zu einem Zus.stoß Italien-England kommen wird. Die Engländer erkundigen sich schon offiziell bei den Mittelmeermächten, wie sie sich auf einen Krieg vorbereitet haben!

Heute bei Karwinski, Sturm & Klezl. Man möchte so gern das Institut schlucken. Sturm hat mit Strobl, Dobretsberger & Buresch gesprochen. Aber es ist ja kein Geld da. So wird das noch hübsch lange dauern & bis dahin wird die Kammer umgeformt sein. Jedenfalls habe ich den Eindruck, daß ich nicht leicht arbeitslos werden dürfte. – Karwinski ist nett, aber müde & sagt selbst, daß er von Statistik keine Ahnung hat.

Im Büro sehr viel Arbeit. Es ist mir ganz unmöglich gewesen, den Aufsatz für die Review of Ec. Statist. zu schreiben.

Ich habe eine Menge Sachen überlegt. So glaube ich jetzt noch einige Punkte der Frage der Voraussicht aufgefunden zu haben, ebenso wie den Ansatz zu einer wirklich exakten Theorie des Risikos. Was es bisher darüber gibt ist kläglich & vor allem logisch so unbefriedigend; ferner bin ich nunmehr endgültig zur Überzeugung gekommen, daß das Reden von „dem Zinsfuߓ (ganz zu schweigen vom „natürlichen“) ganz unbrauchbar ist. Absolut vorwissenschaftlich. Zuerst müssen wir einmal wissen, was es überhaupt für Zinsfüsse gibt. Dann kann man weiterreden. Daher will ich unbedingt die Zinsuntersuchung machen & sammle schon Material

es dauert nur alles so lange! Ich möchte sehr gern eine systemat. Einführung in die theor. Ökon. schreiben, aber vorher das andere Buch & noch viel, viel mehr Mathematik. Wald muß zur Lösung der Walras’schen Gleichungen sogar den Fixpunktsatz der Topologie verwenden! Und Alt kommt zur Gruppentheorie bei seiner schönen Untersuchung über die Meßbarkeit des Nutzens! – Dazu die Typentheorie i. der Lehre von der Voraussicht & vom Risiko. Allmählich wird die Ökon. eben wirklich eine strenge Wissenschaft & muß dem Plauderton & Geschwätzcharakter ablegen.

Um die Tatsachen festzuhalten: Noch vor kurzer Zeit hat Mayer (der sich jetzt niemandem unter die Augen traut) Haberler aufgefordert an Spiethoff & Schumpeter zu schreiben, sie sollten ein Manifest unterzeichnen, damit Dobretsberger nicht Prof. in Graz werde. 3 Jahre später solche Artikel wie in der Wr. Zeitung. Das ist offenbar jener Charakter, den man nach Mayers eigenen Worten (1925) unbedingt haben müsse, um ein wirklich großer Wissenschaftler zu sein oder zu werden. –

Heute mit Mi kurz Mittag beisammen. Ich kaufte mit ihrer Hilfe einen Anhänger für Muttel Im Cafe trafen wir zufällig Knoll & Dr. Klein, der kürzlich aus Rom kam, wo er jetzt Berichterstatter der Basler Nachrichten ist.

Leider stockt die Übersetzung der „Grenzen“, weil die Mrs. Bongoyne versagt hat. Sie hat meistens einfach sachlich, die Dinge nicht verstanden.

Nach Mr. Tont (Schwager von Douglas Sharp) ist jetzt ein Schüler Fetters, Mr. Wittlesey hier (bis April).

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1935-38, Eintrag 1935-12-20
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.21)