OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1935-38 / 1936-04-12

Ostersonntag, 12. April 1936.

Ein unmögliches „Tagebuch“ in dem man nicht häufiger einträgt. Dabei gäbe es wieder so viel eigenes & allg. zu berichten. Eine schöne & interessante Reise wieder hinter mir: mit Kittredge am 26. Feb. nach Budapest – Bukarest – Budapest, Belgrad – Budapest – Prag. Er dann nach Berlin & ich nach Wien (10. III.) Wir haben uns glänzend verstanden. Die Reise galt der Organisation der Donau-Untersuchung. Am 30. & 31. III. hat dann auch die Expertenkonferenz in Wien stattgefunden. Kitt., Malcolm Davis & Gross kamen her, ebenso C. Major Wright, der als sécret. rapporteur fungieren soll. Ob er aber geeignet ist, bleibt offen; ich habe Zweifel. Er wird ein Jahr in Wien wohnen & bei mir arbeiten. Wenn er glaubt, daß er sich auf die faule Haut legen kann, wird er sich täuschen.

Meine Arbeitsüberlastung war grässlich; dazu kam noch, daß eine verschleppte Grippe mich sehr mitgenommen hat. – Vielerlei Besprechungen mit Draxler. Die Phönix-Sache ist also aufgeflogen, genau wie ich ihm im Nov. 35 voraussagte. Manche Memoranden für ihn ausgearbeitet (z. B. über Arbeitsbeschaffung). Jetzt hat er mich als Berater für die neue Gesetzgebung Auto-Eisenbahn berufen. Ich muß mit M.Rat Schilder ein neues Gesetz ausarbeiten. Wir werden bis Ende Mai mancherlei Sitzungen haben. Knight & Ellis schrieben, ob ich nicht dauernd nach USA als full.prof. kommen möchte. Draxler sagte darauf hin, ich solle bleiben & ihm sagen, was ich hier wolle. Ich denke, daß ich ihm das nächste Mal vorschlagen werde, er möge die eheste Einordnung des Institutes in die Kammer verlangen. Kostet ihn nichts & wäre mir angenehm. Dann kann ich nämlich noch leichter fort als jetzt, z. B. wenn ich auf ein Jahr gehen soll. Ein solches Angebot habe ich jetzt auch & war von Prof. Bogart (ein Freund Tetters) von der U. of Illinois (Urbana). Bogart ist einige Wochen in Wien. Aber kann ich im Sept. schon fort, wo John geht, die Donau-Arbeit im Schwung ist etc? Die Sache Knights ist anders, weil es da erst später zu etwas kommen dürfte. Ein Jahr ginge ich sehr gern nach USA, zumal ich Californien 32 ablehnen mußte.

Die League Conf. findet ab 29. VI. statt. Unmittelbar anschliessend ist eine Conf. der Rockefeller Foundation über ihr weiteres Arbeitsprogramm. Dann die Conf. in Wien. Anderson hat ein unbrauchbares Exposé f. die Found.-Conf. geliefert.

Walds Buch über Saisonschwankungen geht in den nächsten Tagen in Druck. Es soll unbedingt bis Mitte Juni vorliegen, wegen der Konferenzen. Ich möchte auch unbedingt die Studie über die Zinsfüsse machen, weil ich fest davon überzeugt bin, daß dort manche Überraschung harrt & daß mit dem bisherigen Gerede über die Zinsrate Schluß gemacht werden muß. Tintner dürfte anfang Mai wieder da sein. Er wird gleich tüchtig arbeiten müssen.

Mein Vortrag über Auto-Eisenbahn hatte im Feb. im dichtgefüllten grossen Saal der Kammer stattgefunden. Jetzt ist er in Druck erschienen. (Bankenverl.) Die ital. Übersetzung vom Zeitmoment ist schon lange überfällig; wird mit Sanktionen erklärt.

Die intern. Lage wird immer verworrener. Ich bleibe so pessimistisch wie ich je war. Bes. die Spannung Italien-England scheint dem Höhepunkt nahe zu sein. Dazu noch Deutschlands Rhein-Besetzung. Öst. hat unbedingt die Dienstpflicht einführen müssen! Bald wird Ungarn damit folgen; was wirklichen Krach bedeuten wird u.s.w.

Vatel ist noch immer sehr krank. Ich bin ernstlich besorgt. –

Mimi ist reizend & wir sind sehr gut. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1935-38, Eintrag 1936-04-12
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.21)