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tagebücher / 1935-38 / 1936-06-13

Samstag, 13. Juni 1936

Es begeben sich interessante Dinge. Heute früh suchte ich Garhofer auf, & erzählte ihm von dem bevorstehenden Besuch bei Stockinger: Er war sehr dafür, ich solle dem Minister sagen, daß wir konform vorgehen & schon gesprochen haben. Er, Garhofer, habe schon wegen des Institutes mit der Industrie gesprochen, diese sei sehr für Eingliederung, bei gewisser Selbständigkeit als Verein schon wegen der Gelder & Schmidt glaube, die Mandatare würden der gleichen Ansicht sein. Becker hatte gestern wieder den Standpunkt vertreten, das Institut müsse zur Gänze K.Abt. werden, kein Verein mehr. Aber das passt mir nicht, weil zu wenig Selbständigkeit. Es scheint, daß Becker glaubt, ich würde sonst in der Kammer eine Sonderstellung haben & zu gross werden - .

Dann zu Stockinger, wo ich – oh Wunder! – nur 20 Min. warten musste. Wir sprachen eine halbe Stunde. Er freue sich, endlich meine persönliche Bekanntsch. zu machen, beobachte mich & Institut seit längster Zeit; wisse wie wertvoll etc. Auch ich habe Feinde (Verkehrssektion??) wie er. Aber er habe sich nicht beeinflussen lassen, jetzt wolle er mehr Kontakt. Ich sprach von unserer Konferenz & dann von der Eingliederung. Das sei sehr vernünftig, fände seine vollste Zustimmung. Nur rate er mir, Selbständigkeit zu bewahren, keine restloses Aufgehen, denn wisse man, ob ich dann so wie bisher von ihm von anderen in Ruhe gelassen werde? Ich soll bald mit Garhofer in diesem Sinne verhandeln. Ausserdem werde er ich ja auch nicht immer dort bleiben, sondern zu der oder jenen Sache berufen werden. Schmidt fehle ihm; mein Bestreben, Gen.Sekr. zu werden, habe er gern gesehen; Die Beamten seien brav, aber er brauche mehr als das. Ich solle doch alle 3-4 Wochen zu ihm kommen, vorher schreiben, was ich diskutieren wolle, damit er sich die Unterlagen verschaffe & mir dann alles aufklären könne. Auf diese Weise bessere Berichterstattung & gegenseitige Anregung. Gegen die Zus.legung aller Statistik beim Bundesamt sei er; namentlich lasse er sich die Handelsstat. nicht wegnehmen. Dort sei Verkalkung, Karwinsky sei nett, verstehe aber nichts und werde auch nichts fertig bringen. Jedenfalls sei zunächst die Kammer-Sache weiterzuführen. Gut, Auf Wiedersehen!

Merkwürdig also. Offenbar hat er von Draxler über mich gehört. Was er eigentlich will, ist mir nicht klar. Viell. will er mich ins Min. berufen? Aber das möchte ich nicht; auch brauchte er dazu nicht die Instituts-Sache so forcieren. Wir werden ja sehen was wird. Viell. weiss Schmidt etwas darüber zu sagen. Jetzt heisst es nur, vor der Abreise in der nächsten Woche noch mit Garhofer das meiste zu besprechen & festzulegen. Viell. ginge jetzt die Bund. Bahn Ernennung? Wenn Draxler & Stockinger für mich sind - !

Strigl’s Chancen an der Welthandel dürften sich auch gebessert haben. Mittw. wird der Vorschlag schon ins Plenum gebracht.

So viel jetzt. Walds Buch ist fertig umbrochen, geht Montag zum Druck. Es soll am 25. d. fertig vorliegen; hoffen wir!

Ich wollte noch sagen: Stockinger ist ein Mann von unleugbarem Charm. Ich verstehe jetzt vieles. Wieso er sich so lange halten kann. etc.

Noch etwas ist nachzutragen: Vor 3 Wochen war ich bei Kienböck, der plötzlich von Dobretsberger anfing, von dem sonst zwischen uns nie gesprochen worden war: „Ich sage Ihnen, es war ein Trauerspiel! D. weiss heute noch nicht einmal was ein Minister ist!“ Erzählte, wie D. die Live-Claine Geschichte aufgehalten & die Verhandlungen wegen des Pensionsfonds der CA verwirrt habe, weil er es einfach nicht verstanden habe. Immerzu habe er zwischen Entscheidungen hin & her geschwankt, ja gesagt, dann widerrufen etc. Im Ministerium sei völliges Durcheinander gekommen etc. Was bei Kienböck „dem Faß den Boden ausgeschlagen habe“, sei D.‘s Verhalten in der Phönix-Sache gewesen. Da habe ja Starhemberg ein viel grösseres Verständnis bewiesen. D. habe immer wieder aus dem Ministerrat davonlaufen wollen; er habe weder ja noch nein sagen können (Kollektiv-Vertrag). usw. – In dieser Weise sprach er über D. mindestens 20 Min. Warum? Zu mir, einem gleichaltrigen Kollegen. – Dagegen lobt er Draxler sehr, den er sich offenbar als seinen Nachfolger erzieht. Auch für Strobl fand er gute Worte; nur sei er zu wenig energisch & habe den Reitler zu sehr hochkommen lassen, mit seiner Opposition. Auch diese Erinnerung ist wert festgehalten zu werden. Wieder ein Stückchen Zeitgeschichte.

Heute kommt Mimi wieder einmal her; die Prüfung ist nun für Dienstag festgesetzt.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1935-38, Eintrag 1936-06-13
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.21)