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tagebücher / 1935-38 / 1936-06-21

Sonntag, 21. Juni 36.

Nur einige Schlagworte. Ich bin in grosser Eile, weil so schrecklich viel Arbeit & ich will doch am Dienstag fahren.

Also: Di. hat Mimi ihre Prüfung bestanden. Sie war totmüde von den Anstrengungen der letzten Wochen. Wir sahen uns manchmal flüchtig in der Frühe. Gestern war sie hier, wir aßen im Paradeisgartl, & waren dann noch bei mir. Heute vormittag ist sie auf 8 Tage nach England gefahren. Promoviert ca 6. VII.

Do. bei Kienböck. Wieder sehr animiert. Ich sprach wegen Strigl; er will mit dem Min. Resch sprechen. Über Kerschagl sagte er u.a.: Ein Mann, der sehr viel herumgeht, schrecklich viel schreibt. „Er ist imstande, in 5 Bierminuten über jedes beliebige Thema in jeder gewünschten Länge zu schreiben.“ Er (Kienb.) habe von ihm noch nie (z. B. in der Bank), eine wirklich solide & durchgedachte Arbeit bekommen. etc. – Gut zu wissen, daß Kienböck über K. nicht anders denkt als wir. Er erwähnte noch, daß Draxler der Ansicht sei, Kersch. sei gar nicht dazu berufen, alles zu machen. – sic. Am Abend Schuschnigggs Vortrag. Es war eine politische Auseinandersetzung wegen Zus.arbeit mit der Industrie. Urban antwortete, es war eine richtige Ausein Diskussion. Es ging um den angebl. unsozialen Charakter der öst. Unternehmer. Schusch. war sehr verschwommen. Der Abend war aber sehr eindrucksvoll. Die Zeitungen haben nichts berichtet. Alles was gut & teuer ist, war dort. Fast das ganze Kabinett.

Gestern Mittag ¾h bei Draxler. Vorher hatte ich noch einmal mit Schilder gesprochen; der Minister wollte Auto-Bahn sprechen, nahm mir den Gesetzentwurf weg, den er noch nicht kannte. Bis Ende dieses Monates muß eine Entscheidung fallen. Ich teilte ihm die neuen Drohungen der Bahn mit (Tariferhöhung, Verweigerung von Bestellungen etc). Dann machte ich den Vorschlag bez. meiner Berufung in die Verw. Kommission. Er explodierte vor Begeisterung. Sagte minutenlang: das hätte mir einfallen müssen! Danach suchte ich doch! Das ist doch die gegeb. Sache etc. Ich sagte, ich würde sofort nach Ernennung Vorschläge über Kompetenz-Erweiterung der Kommission machen. Er wusste, daß Plätze frei sind, & war sehr interr., daß jetzt nur Agrarier drinnen sitzen. Ich würde zu Sir J. Stamp fahren, neue Statist. machen, die Sache finanziell anpacken. Ich müsse Spezialmandat bekommen. Viell. solle ich Vizepräs. werden? Das sei ein Detail für später. Er werde gleich mit Stockinger sprechen, der wenige Minuten nach mir kam. Ich könne doch schon an der Sitzung von 14. VII. teilnehmen. Aber ich will und kann die Entlastung nicht geben. – Ich war selbst überrascht, wie schnell er darauf eingegangen ist. Es scheint, daß ihm diese Idee wirklich wie gerufen kam. Jetzt bin ich aber wirklich schon neugierig, ob aus dieser Sache etwas wird. Sie wäre ja vorzüglich; ganz unpolitisch, grosser Renoméerhöhung, glänzende Stellung in d. Kammer, wodurch die Eingliederung von selbst erleichtert würde. Also: wir werden ja sehen - .

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1935-38, Eintrag 1936-06-21
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.21)