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tagebücher / 1935-38 / 1936-11-21

Samstag, 21. XI.

Gestern an dieser Stelle unterbrochen: Kienböck sprach sehr eingehend über alle Fragen, so vor allem über die Reg.Umbildung. Ich fragte, warum Rizzi nicht Minister geworden sei: Dazu sei er kaum der geeignete Mann, zu verschlossen, zu empfindlich, obwohl sachlich gut. Neumayer sei brauchbar, aber Draxlers Durchschlagskraft habe er nicht. Taucher sei auch gut, bes. ehrlich; hoffentlich werde er sich fest setzen. Dann erwähnte ich spasseshalber, was man mir über mich bez. Finanzminister gesagt habe. Kienböck: „Natürlich wird das kommen. Mir ist schon lange klar, daß Sie Minister werden müssen. Es ist jetzt viell. noch eine Kleinigkeit zu früh. Vor allem darf es nicht sein, daß Sie nur kurze Zeit Minister sind, das wäre zu schade. Daher muß man die Sache in einem Zeitpunkt machen, wo die Dinge günstig liegen. Ich will, daß sie lange Minister sind. Viell. ist das nicht sehr freundlich Ihnen gegenüber, denn angenehm ist das Geschäft nicht. Aber ich spreche keineswegs nur aus persönlicher Freundschaft, sondern ich bin sachlich davon alleine schon restlos überzeugt. Wir brauchen Leute, die alle nötigen Kenntnisse haben & die auch eine gewisse Kämpfernatur mitbringen. Lassen Sie sich jetzt nicht zu weit vortreiben, sondern arbeiten Sie fest & gleichmäßig weiter. Der Zeitpunkt wird kommen.“ – Voilà! Die intermin. Com. ist so eine Art Seminar für mich, wie es scheint. Man lernt dort tatsächlich allerhand! Meist ist es niederschmetternd. Wenn Kienböck nicht jedesmal dabei wäre, so wäre die ganze Sache Null wert. Die öst. Wirtschaft ist ein Morast.

Do. bei Taucher. Er scheint auch die übelsten Entdeckungen zu machen; Stockinger hat fürchterliche Zustände einreissen lassen. Taucher spricht von den phantastischen Arbeitsbeschaff.plänen im Kabinett. Man möchte so etwas wie in Deutschland oder Italien. Er bremst; das ist aber eine schwierige Position. LKV wieder eingeführt!

Do. war Meinl-Abend. Er war einmal sehr gelungen. Draxler war dort & sprach viel & sehr vernünftig. Herbert dagegen dumm. Nachher gratulierten mir viele nicht nur zu dem was ich selbst gesagt hatte, sondern auch zu Draxler, der doch sehr viel von mir während seiner Ministerschaft gelernt habe. So z. B. Hofr. Becker!!

Mein Aufsatz über Devis.bew. wird nochmals im Bankenverband erscheinen. Für die Lloyds-Bank schreibe ich etwas neues bis Ende Dez. für das Februar-Heft.

Heute & morgen muß der Anhang zu meinem engl. Buch endlich fertig werden. Viell. auch das Vorwort. Anfang Jän. soll es heraus sein; es ist schon im Umbruch. 0/7/6/

Ich habe eine Einladung, ausser in Kopenhagen auch in Oslo, Stockholm etc. Vorträge zu halten. Das wäre im Februar.

Nach Weihnachten muß ich in Rom mit Gini sprechen.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1935-38, Eintrag 1936-11-21
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.21)