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tagebücher / 1935-38 / 1937-12-17

17. Dez. 1937. Freitag

Es müssen einfach einige Zeilen geschrieben werden; nur Schlagworte, um Daten festzuhalten. Die Amerika-Reise steht vor der Tür; am 10. I. nach Paris, Donausitzung, am 15. mit der Bremen nach N. Y.

Im Nov. war viel los; ich kann aber nichts weiter aufschreiben, als daß ich nach Genf gefahren bin, wo 4 Tage Sitzung des Finanz.statist. Subcomités waren. Vorsitz ...; gute Mitglieder waren Lindahl, Clay, Riefler. L. hielt im Club einen Vortrag über Dyn. Ökon., der gut war. Ich fühlte mich in Genf nicht sehr wohl, hatte irgendwie meinen Magen beleidigt. Es wurde aber bald besser. Mit Loveday eine lange Besprechung, er sagte mir, daß ein Econ. Policy Committee gemacht werde, aus Mitgliedern des Fin. Com. nebst einigen Experten; ich sei auch dazu ausersehen. Tatsächlich ist das später beschlossen worden. Vor dem Sommer 38 wird die Arbeit kaum beginnen, weil möglichst viel von Tinbergens Untersuchungen fertig sein soll. Sir Fred Philips (...) oder Leith Ross sollen Vorsitz führen. Zu lernen wird es auf alle Fälle wieder eine Menge geben.

Sonntag d. 28. Nov. kurz in Paris; um 9h frühst. ich mit Kittredge, der wieder ganz reizend war. Viell. kommt er vor weihn. noch nach Wien. Sonst sehe ichihn in Paris unmittelbar vor der Amerikareise. Am selben Tag nach London; Brown's Hotel. In London also Kienböck, Neumayer, Rizzi, Stangelberger; beim Gesandten et. Montag war mein Vortrag über Clearings im Chatham House. Vorher Dinner mit Sir Kenneth Wigram (General etc.) & Mr. Logic (Schotte, Lazard) im United Service Club. Nach Vortrag & Diskussion mit Andrews & Kald... in den Brooks's Club. Di. in der City, Mittag Lunch v. Sir J. Stamp im Savoy; dabei waren Sir John Simon, Ashton-Gwatkin, Kindersley, Catterns, Bellman, etc. etc. (List in der Times). Dann bei Leith-Ross eine angenehme Unterredung; hauptsächlich wegen der Halifax Geschichte & Times (Lothian & Astor) & Garwin. Dann Kienböcks Vortrag in der Grocers' Hall; vorher Tee. Alles, was die City an Persönlichkeiten bieten kann, war erschienen. Über 300 Zuhörer. K. sprach gut, nach gutem MS. Stamp & Hon. Brand votierten den Dank; beide sehr sympathisch eingestellt. Mont. Norman hatte sehr aufmerksam zugehört. Ins Hotel zurückgekehrt, fand ich Mimi vor. Wir gingen gleich ins Theater Lime-light, ein mässiger Reisser & dann Nachtmahlen in einem Grill-Rest. in Jermynstreet. Mittw. war ich bei Niemayer, ... Mynors, Clay; alles B. of E. Niemayer war ... nett, was ich bei ihm gar nicht für so weit möglich hielt. Wieder Lunch im Savoy, gegeben von der Regierung. Simon Vorsitz (Liste im Büro). Leith-Ross brachte mich ganz bes. mit Simon zusammen: "Chancellor, I wish you .. meet particularly Dr. M., it is more important you … to him than to some of these so-called Cabinet Ministers" etc. Woraus folgt, was Neumayer, der ein ... Hascherl ist, für einen Eindruck gemacht hat. Am Abend Dinner beim Gesandten: u. a. Lord Hailsham, Lord Swinton, Hove-Belisha, Lord St. Jast, Rothschild, A. Guiness, Schröder, Hau... etc. etc. 28 Pers. Nachher Empfang; Mimi kam auch; ebenso Hayek & Frau. Königin v. Spanien, Herzogin v. Kent etc. Ich kann nicht pro Tag nachtragen. Aber so viel, daß ich Donn mit Mi & Becker (Metall) im London Casino war; recht nett. Mi. war reizend, auch bei mir besonders so! Wir fürchten uns beide vor der Trennung & haben viel darüber gesprochen. An den anderen Tagen bis Montag sahen wir uns häufig, waren Samst. im Kino bei Carnet de Bal; Tee mit Ashton Gwatkin im Hotel. Sonntag in Westminster Abbey & Lunch im Savoy. Samstag war sie bes. zärtlich. "... Floor! Und wie stolz sie geradezu war! Sehr spassig. –

Freitag ab. bei Hayek; ganz nett. Robins kam nach dem Essen.

Montag um 2h fuhr ich. Mi war wirklich bekümmert. Im Zug, am Bahnhof mußte ich sie küssen, sie, die sonst so scheu ist! – Heute, endlich, wird sie wiederkommen & morgen Abend sind wir beisammen.

Der Bahn-Bericht ist fertig. Am Mittw. wird er Taucher überreicht, der ihn über Weihn. lesen will. Es ist ein Monstrum geworden. Meine Zus.fassung & Vorschläge sind sehr genau überlegt & ich glaube auch wirklich objektiv; daher werden sie nur bei wenigen Anklang finden. Momentan meutert deas Ministerium wegen Umfang & Eile der Schreibarbeiten.

Di. war ich bei Taucher, dem ich von England erzählen mußte. Endlich einmal eine fruchtbare Unterredung. Stockinger als Präsid. hat er doch verhindert. Bravo! Jetzt soll es Oberst Stepski werden; ein anständiger Mensch. Meine Tätigkeit will er über Amerika hinaus fortsetzen; er hat mit Guido Schmid gesprochen wegen meiner vorgeschlagenen Gespräche über einen ost-amerik. Handelsvertrag. Ich werde demnächst zu Schmid gerufen werden.

Mit Kienböck einige male beisammen. Meine Beschwerde in London, daß man sich hier zu wenig um die Engl. Öffentlichkeit kümmere, ist auf fruchtbaren Boden gefallen. K. hat mir Schuschnigg & Schmid gesprochen. Man wird jemanden aus London einladen. Ich sollte einige Vorschläge machen. Rob. Boothby wäre ... (Hobson, Gaitskell, Bullock, McCartney etc).

Später: Neulich ein Vortrag von Scholler; schlecht. Nachher im Imp. eine Diskussion, wo ich auch einige Worte sprach, die Hayek so radikal fand. H. hielt gestern einen Vortrag in der Nat.ök.Ges. über die Anwend. der Theorie, der auf einem Trugschluß beruhte, sonst aber ganz nett war. Lebhafte Disk., bei der meine Herren sich hervortaten (bes. Kozlik hatte eine treffende Bemerkung anzubringen).

Vor meiner Reise war ich beim Bürgermeister Schmitz zum Lunch geladen. Nur er, Frau & Tochter. Daher eine sehr offene, intime Diskussion aller möglichen Dinge. Die Sache geht auf Kienböck zurück, der möchte, daß wir uns besser kennen lernen. Sch. ist schlau, energisch & hat gute histor. Bildung. Er ist sicher ein guter Verwalter. Daß wir einmal bei meiner Habilit. Differenzen hatten, habe ich vergessen.

Am selben Abend war Josefstisch-Empfang im Rathaus; ich mußte natürlich gehen. Dort führte mich der Zufall mit Schuschnigg zus., dem ich sagte, daß ich nach Amerika fahre. Worauf er sagte, daß er mich vorher sprechen wolle; am besten gegen Weihnachten; ich solle anrufen. Nun wird sich zeigen, ob die Unterredung zustande kommt, oder ob die Sekretäre ... Camarilla wieder sabotieren werden.

Grosse Schwierigkeiten macht die Fortführung des Buchentwurfes. Es liegen ca. 300 Seiten vor (bis 1926!). Gerschenkron ist ein ausgezeichneter Helfer. Mir macht es nicht einmal so viel Mühe, mich zu konzentrieren, als einfach die Zeit kontinuierlich genug zu finden. Jetzt habe ich sogar noch zugesagt, am 7. I. einen Vortrag in der V.F. über die Lebensfähigkeit Öst. zu halten. So eine Art Testament. Ich will viele Förderungen aufstellen; alle kurz auf die Formel gebracht: Wenn das Land leben soll, so muß mana es von innen heraus leben lassen, so müssen die wirtsch. Fesseln fallen! Als gegen die Ständephypertrophie! –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1935-38, Eintrag 1937-12-17
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.21)