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tagebücher / 1938-39 / 1938-09-10

Samstag 10. Sept.

Die europ. Lage verschlechtert sich fast von Stunde zu Stunde. Jetzt stehen die Heere schon gegenüber; aber trotzdem glaube ich noch nicht an einen Krieg. Göring hat heute eine tolle Rede gehalten & davon gesprochen, daß Deutschl. auch einen 30jähr. Krieg auf sich nehmen würde! Ich glaube die Tschechen werden das Randgebiet abtreten müssen & dann wird Hitler wo anders von neuem anfangen, z. B. wegen Kolonien, bis einmal der Krieg doch da ist. Es ist entsetzlich. Was soll bloß mit den Eltern unter diesen Umständen werden. Am besten, sie gingen in die Berge oder kämen hierher.

Ich bin jetzt schon etwas fleissiger, weil eingewerkelt. Ich arbeite an den Bus. Cy. Vorlesungen, die immer mehr Gestalt annehmen. Außerdem sind mir einige allg. theor. Dinge eingefallen, die mir noch viel zu schaffen machen werden. Es handelt sich um eine Unbestimmtheit in der Analyse der Indifferenzlinien. Das kann auch mit der Kritik an der Einkom.th. verknüpft werden. -

Gestern am Delaware River, Wash. Crossing. Eine sehr schöne Stelle, wie überhaupt die Umgebung ganz reizvoll ist. Man müsste aber einen Car haben.

Vorgestern bei Douglas Brown, mit dem ich mich gut vertrage. Whittlesey ist Vater geworden, die arme Mrs. hat einen Kaiserschnitt erdulden müssen. Sie ist eben 36 & da ist das erste Kind oft ein Risiko, aber sie war überhaupt schwach, wie er selbst sagt.

Jetzt wird Lutz & Frau (Vera Smith) bald kommen, was nett sein wird.

Meine Pflichten: 3h Graduate Vorl. 3 x 1h Preceptorial in Money & Banking (d. h. 3 x dasselbe) & ev. 1h Thesis supervision. Das ist sehr angenehm & ich werde viel für mich arbeiten können.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1938-39, Eintrag 1938-09-10
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.22)