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tagebücher / 1938-39 / 1938-09-26

Montag, 26. Sept.

Dies sind wieder einmal ganz dunkle Stunden. Krieg scheint noch näher zu sein als vor 10 Tagen. Hitler ist wahnsinnig & muß beseitigt werden. Aber er hat sich übernommen: entweder muß er weichen d. h. die Godesberger Forderungen fallen lassen, oder er richtet das ganze deutsche Volk durch einen Krieg zu grunde. Was soll bloß mit den Eltern & Hannchen werden! Ich habe noch schnell Geld überwiesen, aber ob es überhaupt ankommen wird? Und ihre Sicherheit. Wegen Mimi blutet mir das Herz: am 21. Okt. will sie von N. Y. London abreisen, zu spät vielleicht. Aber was kann ich bloß machen. Ich war 6 Tage im Spital; die Fußinfection kam wieder, die ich 1936 in Wien hatte. Jetzt ist es wieder besser, aber Vorsicht ist nötig. Von Mittw. - Samstag in N. Y. Viele Wr. getroffen: 2 Mintz, Fürth, Hula. Am Sa. kamen Haberlers & brachten etwas von der Stimmung mit sich, die in Frankreich herrscht. Aber noch aus der Zeit der Furcht, während jetzt eine ganz andere Stimmung zu herrschen scheint.

Freitag lunchte ich mit David R., & John D. 3rd ferner war noch Mr. Perkins dabei, Sohn des Chairm. der Nat. City Bank. Es war ein bes. angenehmer & sehr animierter Lunch. John D. erzählte auch von 1919 in Paris, wo Beneš erklärte, man wolle das Sudetenland nicht, was aber von Clémenceau gefordert wurde. John D. wird Oktober in Princeton sein, wenn die Trustees Sitzung haben. Er hofft, ich werde mit Doug Brown gut Freund werden; das ist aber am besten Wege. David ist munter, sehr natürlich & recht gescheit. Er geht n. Chicago & will eine Diss. über Excess Capapacity schreiben & mich dabei manchmal konsultieren. Wir 2 hatten nach dem Essen noch eine Unterhaltung im Zimmer seines Vaters, das ganz wunderbar eingerichtet ist. Ein Vermögen, allein in diesem Raume. –

Lutz’s sind hier; beide nett. Er ist ein guter Ökonom. Ich las seine Abhandlung über Savings & Investment sehr genau & sie gefiel mir sehr gut.

Jetzt beginnt der Betrieb hier. Morgen feierliche Eröffnung, Fakult. Sitzung, & Dep. Sitzung. Meine Vorlesungen aber erst nächste Woche. Viel, viel Arbeit kommt jetzt, jedoch, es wird schon gehen. Der Grad. Kurs ist keine Kleinigkeit. Dazu wird viel für die Precepts zu lesen sein. (das ist aber immer nur Vorbereitung für eine Stunde wöchentlich. Wenn die Kriegsgefahr nicht wäre, würde ich ja durch nichts weiter gestört sein, bes. jetzt, da nun Mimi in 5 Wochen hier zu sein beabsichtigt. Wenn das zu erreichen ist! – Und dann noch meine Bücher, die ich sehr entbehre. –

Alas, wir leben nicht in einer Welt, in der Pläne gemacht werden können.

Um meine First Papers habe ich am 8. Sept. angesucht; es dauert meist 6 Wochen. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1938-39, Eintrag 1938-09-26
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.22)