OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1938-39 / 1938-10-16

Sonntag, 16. X. 38.

Nachmittag mit Lutz’s spazieren. Sehr angenehm. Warm, strahlende Sonne & herrliche Farben der Bäume. Ein ganz leichter Duft von den gefallenen Blättern. Der Herbst in Amerika hat etwas fröhliches an sich; er ist die Krone der Jahreszeiten. Man hat kein Gefühl des Verfalls, der Verwesung, wie in Europa. Fast ist das wieder symbolisch. Aber daran mag man gar nicht erinnert werden. Jedoch, bei mir tranken wir Tee und hörten dann Churchills Antwort auf Hitlers Saarbrückener Rede, die eine Herausforderung war. Ch. sprach maßvoll, ernst, aber pessimistisch. Niemand scheint in England Kampfgeist zu haben; nicht einmal für seine eigenen Ansichten. Der Verfall der Labour-Party ist bes. tragisch; sie hat überhaupt keine Führer & die Opposition ist in die Hände der diss. Tories übergegangen.

Müde. – Ich habe ein lästiges, kleines Geschwür im Mund. Die Dienst. Vorles. habe ich noch nicht ganz beisammen; ohne daß sie mir aber Schwierigkeiten machen wird. – Leider ist es hier im Coll. manchmal sehr laut; da wird etwas geschehen müssen.

So lästig viele Briefe zu schreiben. Immerzu für andere Leute. Helfen, helfen. – Natürlich tue ich es, wo es einigermaßen einen Sinn hat. Aber meine Wr. Erfahrungen waren nicht gut & ich werde mich öfters daran erinnern.

Ich will zeitig schlafen gehen. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1938-39, Eintrag 1938-10-16
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.22)