OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
[home]––[info]––[tagebücher]––[personenverzeichnis]––[impressum]
diary-page
diary-page
diary-page
tagebücher / 1938-39 / 1938-11-22

Dienstag, 22. XI.

Mimis Besuch war ganz reizend. Ich holte sie an der Junction ab; wir waren dann bei mir, beim Tee bei Thomas, wieder bei mir, speisten gut in der Tavern & gingen zu dem Tanz, der eine magere Affaire war. Schliesslich sassen wir noch in der Tavern beisammen, ehe ich sie heim brachte. Die ganze Zeit goss es in Strömen, was aber unsere Stimmung nicht beeinträchtigte. Sie war sehr herzlich. Nun hat sie auch zugestimmte, sich eine Maske nehmen zu lassen, was nächsten Sa. geschehen soll. Sie kommt auch sonst mehr & mehr „herum“, d. h. sieht, daß es hier sehr angenehm zu leben wäre, etc. - ! Wir wollen noch eine gemeinsame Sendung aus Wien veranstalten: Teppiche, Silber, Bücher etc. von ihr an mich. Das wird dann alles eine schöne Grundlage für gemeinsamen Haushalt bilden. So. trafen wir uns bei Renwock um 11h, sie „brunchte“, es war herrliches Wetter & wir gingen viel spazieren; nach dem Essen hinaus Mercer Street zur Olden Farm, wo wir in der Sonne sassen. Dort wird das Institut gebaut werden & auch die weiteren Häuser. Zum Tee waren wir bei mir, & um 804 fuhr sie ab. Ein sehr schöner Tag, in angenehmster Stimmung & bestem Verstehen verbracht. –

In der Welt schaut es wieder viel düsterer aus. Ein neuer, schwerer Konflikt braut sich zus. Eben heisst es, daß Göbbels & Göring ganz über Kreuz sein sollen. Das wäre schön. Alles in D. bereitet einen neuen 30. Juni vor, wie mir scheint. Chamberlain dürfte viell. doch einsehen! Die Franzosen sind so entsetzlich blöd & können ihr Land nicht in Ordnung bringen. Was ist bloß mit ihnen geworden.

Gestern kurz bei einem Tee zu Ehren Deweys. Aber er ist schon zu alt. Ich hatte keinen grossen Eindruck.

Viel über Under Kons.th. gearbeitet. Ein schlimmer Fall; aber interessant. Ich sehe, daß ich mit meinem Buch heraus kommen muß. Ich werde nächstes WS auch Theorie lesen, statt Konj.th., so daß ich kontinuierlich vom Feb. an, an dem Buche arbeiten kann. Später die öst. Wirt.geschichte.

Mimi, Du darfst Dich nicht in Gefahr begeben! Die Reise zurück ist gewagt. – Ihre Familie leidet sehr; die Villa wird verkauft werden müssen; alle Cafés gehen schlecht. Kein Wunder, bei diesen Störungen. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1938-39, Eintrag 1938-11-22
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.22)