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tagebücher / 1940-41 / 1940-01-25

25. I.

Es wäre viel zu berichten.

Z. B. das nicht sehr befriedigende Weekend in N. Y. mit Mimi. Die arme ist ganz aus dem Gleichgewicht geworfen. Wir sprechen uns schon sehr gut, aber die Hindernisse im Wege sind so gewachsen. Vielleicht brechen sie rasch zusammen. Alles ist so schwierig & keine Lösung kann einen befriedigen. Jetzt hat sie sich gegenüber der Wilchemco auf 4-5 Monate verpflichtet. Was kann bis dahin alles geschehen!!

Schönes Konzert am 17. Vorher Dinner bei Morgans (noch: Helen Fay, Mary Dana, etc). Letzt. Sonntag mit Shep & Barbara im Konzert: Beeth., Moz., Brahms Trios (Busch, Serkin, Feuermann) dann zu Jaeger & 840, wo wir zu 3 eine Flasche Rheinwein tranken & heim (mit Arnschaw & Post.).

Di. hatte ich Lunch mit John D. Rockefeller Jr. & David. D. hatte mich Sonntag angerufen. John 3rd sah ich auch. Wir assen im Rainbow Room. J.D. Jr. ist ein reizender Mensch. Er war so natürlich freundlich & hörte mit grosser Aufmerksamkeit zu. Die Bibliothek in Genf hat er nie gesehen. „They showed me some photos of it“; warum es in Dole eine Avenue Rock geben sollte, wusste er nicht. Dann fiel uns ein, daß Pasteur dort geboren ist. „I think I gave some money for his birthplace“; usw. Er fragte mich ausführlich über das Brookings Institute. David hat eine schlechte Meinung davon & ich sagte, daß mit einigem Personalwechsel sehr viel erreicht werden könne. Williamsburg wurde diskutiert; das scheint ihm sehr am Herzen zu liegen. Der Blick vom Rainbow Room faszinierte uns alle; bes. macht er mich aufmerksam, daß man durch Blumen hinunterschaut. Als wir das Mus. of Modern Art sahen, lachte er & sagte: „It still looks like a factory to me.“ Auch Nelson’s Gästehaus in Pocantico hat er noch nicht verwunden. Wir waren fast 2h beisammen & es war besonders angenehm. Die Fellowships besprachen wir lange. Ich sagte ihm, wie oft & oft wir alle sagten, was sie für jeden bedeuteten. Es freute ihn offenbar. Wir gingen dann noch in sein Zimmer, das ich schon kannte. Sehr schöne Möbel, 1630, engl. Er zeigte mir bes. einen geschnitzten Tisch: „It is walnut, not oak“. (1632) & schöne Stühle. Einer der interessantesten Tage in N. Y. David ist sehr nett; so wirklich höflich, & so gut erzogen, wie man aus dem Verhältnis der Söhne zu ihrem Vater sieht.

Nach dem Nat. Bur. bei Myrdal. Nett, aber nichts von Bedeutung. Er sieht auch eine fürchterliche Verarmung in ganz Europa. Einer der wenigen, die das verstehen. Er sagte auch, daß das Öst. von 1925-30 als reich scheinen werde, gegenüber der späteren Armut. Was wahr werden wird. (Schon ist.) Die armen Eltern--.

Dann zu Noel, die jetzt in Dianas Wohnung lebt (bis D. aus Florida zurück ist). „Silence“, die unbezahlbare Köchin, aus Father Divine’s Gefolge, war auch da. Sehr gutes Essen. Dann ins Konzert (Ormandy & Phila. Orch.: Brahms Klav. Conc. (Serkin) & Bruckner 5th.) Noël heim gebracht & dann mit Lovasy nach Princeton (an 12.30). Noël ist sehr nett & ich komme gerne mit ihr zusammen.

Gestern wurde der Zahn gezogen. Nachher war es etwas unbequem. Gerade als ich heim kam, noch blutete, noch Novocain spürte, ging das Telephon: Mimi liess „Happy Birthday to you“ von der Western Union singen. Ein Mann mit krächzender Stimme! Es war eine komische Situation!

Sa. bei Weyls zum Tee; gerade aus Florida zurück. Neumanns waren auch da & nahmen mich zum Nachtmahl mit. Am Abend hörte ich mit Lutz’s & Lovasy die NBC Übertragung. Vorher sprach übrigens Churchill; gut, wirksam, aber die Neutralen aufreizend. Man hat den Eindruck, daß man die Nazis zum Angriff locken will. Er wird schon kommen, & nicht so einfach sein, wie ihn sich die Alliierten vorstellen dürften. In 14 Tagen ist das 2. Semester wieder in Gang.

Haberler rief heute früh an. Leider konnte ich ihn nicht heute sehen; ich kann nicht fortwährend n. N. Y. fahren. Aber viell. nächste Woche. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1940-41, Eintrag 1940-01-25
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.23)