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tagebücher / 1940-41 / 1940-02-11

11. Feb.

Sonntag. Verschiedenes hatte ich eintragen wollen. Vorigen Sonnt. war Mimi hier & Weyls kamen. Es war sehr nett. Mimi blieb bis Montag Mittag. Wieder sehr bewegt & beide nicht im entferntesten im Glgew. Wir müssen fast mit Bewusstheit darauf achten, uns nicht gegenseitig noch unstabiler zu machen. Es ist nicht leicht. Nachricht von den Eltern; vom 10.I. Die Armen. Es muß wohl grässlich sein. Was für ein Gästenachtmahl: Karotten, Kartoffeln & Wr. Wald Tee. – Grosse Kälte & Muttel nicht einmal Schneeschuhe. Von mir haben sie schon lange nichts gehört. Viell. werde ich Vatel ein Kabel zum Geburtstag senden.

Di. in N. Y. & Abend in schrecklichem Nebel wieder zurück. Im Büro; & mit Wald beisammen. Dazwischen die seltsame und komische Geschichte mit E. Schmidt. Ich bin mir gar nicht im klaren.

Eine Woche Vorlesungen. Alles ging gut; die Studenten müssen aber erst richtig hineinkommen. Mir ist bei der Arbeit dieses Sem. viel wohler als bisher, weil alles meine eigene Arbeit ist. Die Vorles. machen aber doch sehr viel Arbeit.

Do. bei Weyls zum Nachtmahl; noch Dr. Neugebauer (Hist. der Math.); mit Fr. Weyl nach New Hope ins Kino zu Dr. Caligari.

Freitag sprach ich in der League of Womens Volero über die Gründe des Zus.bruches v. Versailles. Dann ins Inst. zum Tee & n. Phila, was ganz zwecklos war.

Mimi rief ich gestern an; sie hat eine Erkältung & konnte nicht ausgehen. Offenbar wäre sie gerne wieder gekommen.

H. Thomas, Mrs. Riefler & Mrs Carter Goodrich waren gestern p.m. hier. Recht nett. Am Abend 2 Lutz & Lovasy. Der Lutz ist fad. Lovasy recht klug.

Heute – Sonnenschein nach gestrigem Guß & Nebel – besuchte ich die Pferde. Bald hofft man wieder reiten zu können. Nicht nur wird mir die körperliche Betätigung wohl tun, sondern insbes. glaube ich, daß es seelisch auf mich eine gute Wirkung hat. Ich brauche diese, denn ich habe gar keine rechte Lust zum Leben. Mit Haberler Sa & Freit. voriger Woche in Hillside. Auch die italien. Meister im Mus. of mod. Art gesehen. Da sind herrliche: Boticelli, Raphael, Tizian, Del Vecchio usw. Und diesmal haben sie mich etwas kalt gelassen. Ich verstehe es einfach nicht. Dagegen hätte mich Picasso mehr erregt. Was ist das bloß. Milieu??

Die Beschäftigung mit Wissenschaft ist dann nicht befriedigend, wenn man das starke Bedürfnis hat etwas persönliches auszudrücken. Man drängt es in den Hintergrund, aber es bleibt. Könnte man schreiben, malen, musizieren, so wäre die wichtige Ergänzung gegeben. Ich komme immer mehr zur Überzeugung, daß ich eines Tages einmal etwas ganz anderes schreiben muß, und ich glaube, daß ich etliches zu sagen habe.

Ald. Huxley: After many a summer dies the swan ist oberflächlich, leer, wenn auch amüsant.

Ich glaube, daß ich hier in P. ziemlich diskutiert werde & daß sich die Leute etwas den Kopf zerbrechen. Mit der ungewöhnlichen Wohnung hat es angefangen. – David Rockefeller rief vorhin an; ob wir nicht wieder zus.kommen möchten. Viell. nächste Woche.

Jetzt habe ich etwas Kopfweh. Es war „föhniges“ Wetter.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1940-41, Eintrag 1940-02-11
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.23)