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tagebücher / 1940-41 / 1940-02-18

Sonnt. 18. Feb.

Kein weiterer Brief von den Eltern; ein Brief von der CA v. 25. I.; ich hoffe, daß sie wieder Nachricht von mir bekommen. Oder wenigstens die Pakete.

Das Dinner mit Kittredge war sehr nett; wir waren 14 Personen & die Diskussion nachher war ganz gut, obwohl die Erzählungen über die Grausamkeiten in Polen kaum jemanden aufzuregen schienen. Es ist psych. sehr merkwürdig, wie wenig die Leute sich Leiden vorstellen können & wollen. Meist ein Mangel an Phantasie & Beweis dürftigen Seelenlebens. (Sicher auch nicht sehr hervorragende schöpferische Wissenschaftler).

Freitag bei Mimi in Wilmington (die mehrf. telef. hatte). Nette, grosse Wohnung, etwas altmodisch, aber sonnig, luftig, Balkon. – Mimi in einem Schlafanzug (Air-raid), etwas fiebrig, aber besser, als ich gedacht hatte. Ein Bild von Maxwell an der Wand (sonst nichts über ihn). Mimi war sehr nett; nach Florida kann sie nicht. Sie ist sehr instabil, die Arme. Ich glaube sie fühlt sich ganz in der Luft. Diese Heirat wird mir immer rätselhafter. Auch als blosses Entkommen aus England wäre es keine gute Maßnahme gewesen; denn jetzt geht man auf solche „Ehen“ los. Wo fühlt sie ist ihr Platz? Warum so viel Unklarheit in der Welt? – Ich war um 7h wieder hier & hatte Dinner bei Mrs. D. Brown mit 2 Whitton, 2 Robertson & Mrs. Errera (Belgian).

Gestern Cocktail party: 2 Morgan, 2 Morse, 2 Thomas, David McAlpin, 2 Kittredge, Kemmerer, Fr. Weyl. – Kitt. erzählte, daß er gerade von Einstein gekommen sei der in höchsten Tönen von mir (!) gesprochen habe. Beide Kitt. waren offensichtlich „beeindruckt“, während ich nur lachen konnte. Immerhin sollten solche Ansichten dazu beitragen, daß ich anständig „settled“ werde. Shep. erzälte mir, Monroe habe ihm gesagt, ich sei für die demnächst zu vollendende 1913 Professorship ausersehen. Ich weiss nichts davon.

Später: Bei Morses zum Essen (mittag). Veblens waren noch dort. Morse & Veblen haben die naivsten Ansichten über Ökonomie. Es ist ganz merkwürdig. Nicht nur wissen sie nichts über den Mechanismus der Wirtschaft, sondern sie sind auch voreingenommen & hassen (u.a.) Banken, Direktoren etc.; gleichzeitig diskutieren sie Börsenkurse. Es ist recht komisch. Auch macht keiner eine Anstrengung sich wirklich zu informieren. Trotzdem sind sie beide sehr nett! Fr. Veblen gefällt mir; mit Louise (Morse) kenne ich mich noch gar nicht aus.

Veblens kamen nachher zu mir, sich das Radio anzusehen. Er hat ein 6 Jahre altes Scott & will ein neues. Dann kamen noch: Mrs. Bryan, 2 Neumanns, 2 Roberts & Mrs. … (ihre Schwester), Lovasy, 2 Rieflers. Es war recht nett. Lovasy weiss nicht den Mund aufzumachen. Hoffentlich wird sie sich in Wellesley vernünftiger benehmen. Neumann – nach Weyl & Robertson – versicherte mir auch, daß Eddingtons Ansichten über Philos. der Physik von niemandem geteilt werden; & daß insbes. auch seine „Bestimmung“ der Zahl der Partikel, die die Welt ausmachen Humbug ist. Und das Apriori ist überhaupt nicht zugelassen. Trotzdem kann das Buch viel Verwirrung bei den Sozialwissenschaftlern anrichten (z. B. durch Hayek).

Kittredge erzählte mir gestern von einem Plan, während des Krieges Ökonomen aus Europa hierher & von hier nach Europa zu bringen, damit sich diese künftigen, maßgebenden Männer (heute 35-45-50) einen klaren Kopf bewahren können & beide Seiten sehen. Gute Idee. Europ. Zentrum soll Genf sein, amerik. Zentrum hier beim Institute (aber Riefler & Stew. scheinen nicht zu wollen). Wir dachten an: Robbins, V. Stuart, Iversen, Wagner, etc & an Mason, Marget, etc.

Der Krieg wird wohl bald mehr & mehr in Bewegung geraten.. Für Finnland sieht es sehr kritisch aus & die dummen Engländer verstehen nicht, worum es geht. Man muß endlich Chamberlain loswerden.

Lese Schumpeter, den ich in den nächsten Tagen rez. werde. Ferner ist Mittw. Conf. im Nat. Bureau über Mitchells Buch. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1940-41, Eintrag 1940-02-18
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.23)