OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1940-41 / 1940-02-25

Sonntag, 25. Feb.

Schönes Wetter. Kühl, aber doch schon der warme Strahl der Sonne. Kurz entschlossen ging ich reiten. Erstes Mal in diesem Jahr & wohl seit 10 Wochen! Noch sind die Pfade tief & die Pferde soft (& ich auch!), aber was für ein schönes Gefühl im jungen Walde! Die Pferde – ein junger Mann ritt mit, um neue, trockenere Wege zu zeigen – waren ganz wild & oft kaum zu bändigen. Hoffentlich wird es nun öfter möglich sein auszureiten; ich spüre am ganzen Körper, wie gut mir dieser kurze Ritt getan hat.

Jetzt versuche ich, die Schump. Rez. zu schreiben. Viell. bekomme ich sie heute fertig. Lutz’s habe ich schon lange nicht gesprochen; aber ich sehe nicht ein, warum ich immer die Initiative ergreifen soll. Ich glaube, es besteht irgend eine Art Eifersucht; ich bin aber wirklich unschuldig. – Gestern Abend kamen einige grad. Studenten; es war aber ein magerer Ersatz für Mi – !

Ich bin so unzufrieden mit der intellektuellen Trockenheit, ja Dürre, die hier herrscht. Im Angesicht der erschütternsten Ereignisse, die 1000 der tiefsten wiss., soziologischen, ökon. Fragen aufwerfen, bleibt hier alles, – ich kann nicht sagen: kühl – dull ist das Wort. Was müssen das zum grössten Teil für schlechte Wissenschaftler sein, die nicht merken, was unter ihrer Nase vor sich geht. Und wo sind die Fragen, die 1000e, die die Studenten haben sollten? Ob nicht viele hier viel zu submissive sind?! „Drunten in der Türkei …“ Dabei denke ich gar nicht nur an den Krieg, sondern viel mehr an alles was dahinter steht, was ihn gebracht hat & was noch vieles andere, schreckliche bringen wird. Wells sieht vieles; aber er ist so voreingenommen betreffs Sozialismus; von dem er doch nur dunkle Vorstellungen zu haben scheint (was kein Vorwurf sein muß, weil er niemals ein klares Programm war, sondern nur eine vage humanitäre Idee; wo er am besten ist.)- Ich hoffe, wir werden diese Dinge doch diskutieren, ich muß den grad. Stud. Lesezirkel aufstacheln. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1940-41, Eintrag 1940-02-25
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.23)