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tagebücher / 1940-41 / 1940-04-09

Di. 9. IV.

Dänemark & Norwegen von den Nazis okkupiert! D. hat sich unterworfen (was sonst hätten die Armen tun können? Hoffentlich entkommt Niels Bohr!). In Norwegen wird gekämpft, aber die Nazis sind doch hingekommen, trotz der brit. Flotte. Aber es werden sich wohl doch Seekämpfe entwickeln. Es ist schwer zu sehen, ob das den Nazis wieder zum Vorteil gereichen wird. Die Engländer können sie doch zur Gänze vom Erz abschneiden (das sie selbst ebenso dringend brauchen). Die Nachrichten sind noch zu sporadisch. Eine schöne Welt.

Das Dinner bei Stace war recht nett. Sa. war ich bei Morse’s zum Lunch (ausgezeichnetes Essen). Er erzählte von $ 35.000 für je 3 Jahre für die Ökon. des Institutes; gerne hätte er mich dort, zumal weiter 35000 aufgebracht werden müssen. Ich sprach gestern – nach längerem Nachdenken – mit Weyl über die Sache & erzählte ihm auch von der kommenden Berufung nach Californien. Er möchte mich sehr gerne ans Institut haben, glaubt aber nicht, daß jetzt dauernde Ernennungen gemacht werden & etwas anderes für mich nicht vorteilhaft wäre. Er will aber genau mit Aydelotte sprechen. Vielleicht wird doch etwas aus der Sache. Ich muß nun einfach meine Aufsätze publizieren. Neumann las „Zeitmoment“ & fand es sehr interessant & voller schwieriger Probleme. Sagte es sei sehr gedrängt & exakt geschrieben. Ich müßte dies, Risiko, Voraussicht, Einkommen etc. zusammenfassen zu einem Buche von ca 150-200 Seiten. Das könnte nicht sehr lange dauern, wenn ich sonst nichts zu tun hätte.

Sa. früh sprach ich mit Diana, die sehr amüsant war. Wir sehen uns übermorgen, wann ich sie zum Dinner ausführen werde. Sie drängte mich; ich sollte Reiten gehen, was ich auch tat & es war gut so. Ich fühle mich viel wohler als vor einer Woche. Am Abend nachtmahlte ich mit Johnny.

So. kam Mimi & wir gingen reiten. Es war das herrlichste Frühlingswetter. Sie tut sich nicht leicht & hat noch gründlichst zu lernen; zunächst einmal muß sie richtig sitzen lernen. Aber es machte Spass. Dann fuhren wir zu Solmssen & besprachen die ganze Lage der Corporation. Es ist nicht sehr schön, wie es dort aussieht, aber viell. lässt sich doch noch einiges daraus machen. S. war ein ungeeigneter Präsident. Mimi sieht jetzt ein, daß sie mehr auf mich hätte hören sollen, aber was nützt das jetzt. Sie hätte ja auch in anderer Hinsicht erkennen können, was ich bin. Jetzt scheint ihr manches zu dämmern; aber es ist zu spät, ich kann nicht mehr, selbst wenn wir es wollten. Sie tut mir schrecklich leid. Wenn sie nur wenigstens in einer Linie glücklich wäre. Ihr Bruder Wolfgang steht an der Westfront, Maxwell auch. Solche eine Welt –. Warum sie sich so fürchtet vor mir? Immer schon; & ich habe ihr doch nie dazu Anlaß gegeben. Seltsam.

Gestern Semin.: Disk. des letzten Zyklus. Schwach (Mr. Wood). W. Stewart nahm auch daran teil. Am Abend kamen Erich Roll (Hull) & Frau hierher. Er ist ganz nett & wird bis Juni hierbleiben.

Später: Ich habe mich heute so geärgert über die Entwicklung des Krieges, das ich fast gar nichts gearbeitet habe. Es wäre besser gewesen nach N.Y. zu fahren (ich rief Barbara an, aber Noël ist krank & so konnte sie mich nicht sehen, ausser ich hätte dort diniert, was ich aber nicht wollte, wegen Zeitmangel), oder ins Kino zu gehen, um Pinoccio zu sehen. So war ich nur beim Tee im Institut; die Dummheit der Engländer kennt keine Massen. Earle ist halb zersprungen; die Schlagkraft der Nazis imponiert vielen Leuten. Es ist nicht einzusehen, wie die Engländer jetzt genügende Gruppenmengen in Norwegen landen können. Ihre Flotte soll durch Luftangriffe schweren Schaden genommen haben. Das Ganze ist zum Kotzen. – Eben hörte ich einige Worte gesprochen vom dän. Gesandten; was für eine traurige Stimme. Ich muß auch an die vielen Freunde in Skandinavien denken; die armen. –

Wie unsinnig es erscheint, jetzt über das Accel. Prinzip & den Multiplier nachzudenken & Vorlesungen darüber vorzubereiten. Seit 1933 muß man einen solchen Satz doch in allen meinen Tagebüchern immer wieder vorfinden. Und mit anderen Hinweisen, auf Math., Kunst, Classic etc. in 1000enden anderer Leute. So soll die Welt sich entwickeln? Das schlimme ist, daß man gar keine Methode angeben kann, die es den Wissenschaftlern leichter machen würde. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1940-41, Eintrag 1940-04-09
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.23)