Dienstag. 18. Juni.
Tage so kritisch, daß von einer Steigerungsfähigkeit der Bezeichnung nicht mehr gesprochen werden kann. Die blossen Tatsachen selbst, sind so gewaltig, daß sie gar keiner qualifizierenden Bemerkungen bedürfen. Vollkommener Zus.bruch Frankreichs; ich glaube, jetzt wird in Erscheinung treten, daß die Einheit doch nicht ganz so fest war, wie man glauben durfte, & wie bei jedem geschlagenen Volk wird man das Morsche & Faule mehr sehen, als das Brave & Tüchtige. Was wird erst in England zu Tage kommen?! Ich glaube, daß der Gestank dort noch grösser sein wird; ich denke an die Mosleys, Londonderrys, Tiarks, M. Norman usw. Und an die Kommunisten. Vorhin sprach Churchill; aber diesmal nicht sehr wirkungsvoll; bedrückt; warum muß er immer noch so betonen, daß ihre Luftwaffe der deutschen unterlegen ist? Damit raubt er doch Mut & Zuversicht. Hier dürfte ja die Aufrüstung wirklich vorwärts gehen, allein ich möchte sicher sein, daß nicht nur, wie in England Geld ausgegeben wird, sondern daß die Dinge auch in Erscheinung treten & die Produktion nach wirklich großem Plan in die Wege geleitet wird. Jetzt empfinde ich es als bitter, daß ich nicht mit-tun kann.
Samstag wurde ich etwas krank; hohes Fieber, grässliche Kopfweh & war bis heute Mittag zu hause. Dr Rainer fand eine Halsinfektion, aber ohne Schmerzen. In Wirklichkeit war es wohl einfach Ausdruck für das abscheuliche Geschehen in Europa. Der dortige Weltuntergang greift eben über
Solmssen war Sa. hier wegen Martindell. Ich habe es ihm aber nicht leichter gemacht. Ich werde auch nichts tun, als bis ich mit Mimi gesprochen habe, die Anfang nächster Woche einen Abend herkommen wird. Sa/So ist sie bei Mr. Howe in Washington eingeladen & ich habe ihr geraten zu gehen.
Ich lese jetzt R. v. Mises Positivismus; ein Buch das mir besser gefällt, als ich erwartet hätte. Ich wünschte, ein solches Werk wäre mir 1920 in die Hände gefallen. Was hätte ich mir da nicht an Plage erspart. Bes. wäre meine Abwendung von Spann & dem wilden Idealismus rascher vor sich gegangen & ich hätte viell. an der Univ. Math. als Nebenfach studiert & wirklich etwas gelernt. Ich will gar nicht sagen, das ich Ms Ansichten alle teilen werde. Aber die meisten hatte ich mir ohnehin erarbeitet. In diesem Sinne jetzt viell. etwas wertvoller. Was für ein Gegensatz in der Grundeinstellung der beiden Brüder Mises! Aber beide haben den klaren, angenehmen Stil gemeinsam. Es wäre wirklich notwendig, daß unsere Studenten auch etwas von Methodenlehre & Wiss.theorie hörten; selbst die Undergraduates. Aber im Philos. dep. wird nur wildeste Metaphysik betrieben & sie denen in die Arme zu jagen hätte wieder keinen Sinn. Der Mangel einer solchen Schulung zeigt sich aber in der Ökon. sehr deutlich & reflektiert insbes. in der platten Art der Diskuss. in uns. Seminar (wenn überhaupt!), die meist nur Asking Questions sind.
Neulich einen Sprung bei Weyls, wo die Margarete X, aus Stockholm eingetroffen ist. Sie war einmal in Torpa, wo sie Gast des Inspektors war. So klein die Welt.
Die 2 Lutz fahren, fahren nicht, fahren etc. an die Westküste. Jetzt fahren sie nicht. So etwas an Schwanken im Winde kann man nicht bald wieder sehen. Wie Mrs Hunsberger heute sagte: er ist um 10 Jahre gealtert. Warum muß er fortwährend am Radio sitzen, alles 10 x hören etc. Da muß ja jeder verrückt werden. Das wird erst arg werden, wenn es gegen England ernsthaft los geht.
Jetzt gehe ich essen. Später kommt Siegel hierher. (Ein merkwürdiger Mann; soll ein eminenter Math. sein; kann Sanskrit, malt & ist Sohn eines kleinen Briefträgers & hat noch die ganze, muffige Kleinbürger Atmosphäre um sich.) Mit Neumann ist es ganz etwas anderes; aber Siegel taut auf, wenn er will & die Math. führt manchmal dazu.-
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.23)



