OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1940-41 / 1940-09-07

Sa. 7. IX.

Mi kommt morgen; sie rief gestern & heute an. Wieder Sorgen in ihrer Firma. Ihr Gehalt auf $ 200.- herabgesetzt. Ich werde das alles hören, aber fürchte, daß sich wenig machen lässt. Wie froh sie dennoch sein muß, hier sein zu können; so wie jeder (& nicht jeder versteht das!). Heute bei Lovasy eine Österr. gesprochen, Frl Adler, die eben aus London gekommen ist, wo es schon vor den grossen Raids, die sie nicht mehr mitgemacht hat, übel zuging. Bes. die planlosen Massenverhaftungen. Und viele naturalisierte Engländer. – Gestern Abend bei Frieds & L. zum Dinner. Das Kahler-Haus ist wirklich sehr gemütlich. Im übrigen stark gestört; allerlei Besuche, so z. B. Dr Friedrich mit seinen Econograms; oder Dr. Bunzl, unangenehmer (dummer) Sohn des alten Hofrates. B. ist gelegentlich als Koch tätig & das ist besser – denke ich – als seine Soziologie.

Weyls gestern kurz gesehen. Der Arme hat wieder stark unter Astmah zu leiden. Dort war noch ein Math. Prof. Schönberg, Schwiegersohn Landaus. Er unterrichtet in Maine.

Mit dem albernen Aufsatz-Vortrag über Arbeitslosigkeit komme ich noch gar nicht vom Fleck. Ich muß aber die allg. Dispos., zu der ich Ansätze habe, bis in 8 Tagen fertig bringen. Heute war herrlichstes Wetter, jetzt sehr kühl. Aber ich bin nicht reiten gewesen, weil ich morgen eh mit Mimi gehe. Dagegen "spielte" ich gestern (allein) 1h Golf & es ging passabel. Und gleichzeitig geht die europäische Tragödie immer schneller weiter! Massenangriffe auf Lond.; & jetzt brennen deutsche Wälder, die Hitler geschändet hat mit Öllagern & dergl.

Heute nach fast 9 Mon. die Smyth's wiedergesehen. Sehr nett, wie immer & ich bin froh, daß sie wieder da sind, weil ich sie beide sehr mag. – David Rockefeller hat heute geheiratet & ich schickte ihm & Margaret ein Telegramm.

Bloomfield las mein MS, wusste aber nichts dazu zu sagen. Das Wort "acerbe", das ich verwendete, gibt es genau in meinem intendierten Sinne, obwohl fas alle seine Existenz abstritten.

Ich bin heute recht unruhig gewesen. Ich glaube, ich spüre wieder in mir, was in der Welt vor sich geht, in jener eigenartigen Weise, die mir schon gelegentlich an solchen Tagen der Entscheidung Unruhe & qualvolle Nacht gebracht hat.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1940-41, Eintrag 1940-09-07
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.23)