OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1940-41 / 1940-11-04

Mo. 4. Nov.

Nur einige Worte (in Wirklichkeit, um ins Schreiben zu kommen): Die für mich wichtigste Tatsache der letzten 5-6 Monate ist, daß ich meine ständigen Kopfweh verloren habe. So klar & frei im Kopfe habe ich mich – für solche Dauer – noch nie gefühlt. Ich will es nicht verreden; aber es verwundert mich fast. Ich glaube, es kommt vom Reiten (und sonst vom vernünftigeren Leben; unvernünftig nur die sex. Enthaltsamkeit). – Sa. war Haberler hier & wir hatten Sitzungen: Loveday, Riefler, Nurkse, Pollak. Mein Einwand ist, daß sie alle viel zu sehr entlang traditionellen Linien denken & glauben, daß dann so einfach "Frieden" sein wird & man mit Diskontpolitik, Finanzierungen etc befasst sein kann. Zu wenig Phantasie. Es wird ganz anders ausschauen: Besetzungen, Militärwirtschaft, Arbeitsdienst etc. Ich weiss nicht, ob dem allen Rechnung getragen werden wird. Ich glaube nicht, daß man so weiterkommen dürfte. Ich möchte gerne diese Gedanken zu Papier bringen; es sollte ein Aufsatz z. B. für Harper daraus werden.

Lutz hat einen Teil des MS über Konj. gelesen & fand es schwierig! Das wundert mich. Wir sollten eine Diskussion darüber haben, schlug er vor. Viell. erst, bis ich wieder die Arbeit daran aufnehmen kann.

Gestern & Sa. ab. war Mimi hier. Sa. bei Mrs. Bryan, wo Nurkse musizierte. Es war ein bes. netter Abend. Gestern reiten, dann bei Weyls zum Dinner & um 5 bei Roberts zum Cocktail. Es war ein nettes Week-end. Do. mit Neumanns im Kino; nachher waren sie noch 3h bei mir & es war bes. nett. Er brach manchmal los; über Math. & über Dschingis Kahn. Sehr lustig & doch in vielem so richtig (d. h. ich bin eben derselben Ansicht!).

Morgen die Wahlen. Es steht 50:50. Ziemlich aufregend. –

Jetzt kommt das MS an die Reihe. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1940-41, Eintrag 1940-11-04
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.23)