OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1940-41 / 1941-05-02

2. Mai, Freitag.

So eine zerrissene Zeit. Ich hätte Berge zu schreiben. Es ist aber nur zu vielen Notizen für das Buch geworden, zu Plänen für die Ntl Bur. Broschüre, Arbeit an Vorlesungen etc. Den Studenten mußte ich mich widmen. Noch 2 Wochen Vorlesungen, in denen ich viel tun muß, bes. im Grad-C. will ich aus dem Buch vortragen. Dazu der Krieg in Griechenland, die Unruhe im nahen Osten etc. Sorge um Mimi, die ich 3 Wochen nicht gesehen habe (aber sie kommt morgen). Gestern mit Clari gesprochen (nach dem Film: Money & unempl., den ich hier zeigte); das erste Mal in meinem Leben, jemandem etwas über mich gesagt. Sie & Johnny sind mir sehr zugetan, so wie ich ihnen auch. Was für ein Lichtblick ist Madeline, die letzten Sa/So hier als mein Gast war. So lieb & zärtlich. Wir stehen sehr gut miteinander, wenn auch zögernd & unklar in vieler Hinsicht. Vorgestern in N.Y. beim Ntl. B., nachher mit ihr im Café de la Paix & im Canari d'Or, wo sie so schwelgte beim guten Essen. Es macht so viel Freude sie initiieren zu dürfen; oft überrascht sie mich, was sie selbst für Initiative ergreifen wird. Wie hübsch sie ist, erstaunt mich immer wieder; und auch andere. Ich hatte eine Cocktail Party. Auch mit Diana mich getroffen, aber seltener. Ich mag sie; aber kann nicht warm werden, obwohl sie nett ist.

Ich lege mir seit einiger Zeit die Frage vor – ganz allg. – ob ich nicht doch heiraten sollte, weil man hier nicht alleine leben kann, ausser man legt sich viele Entbehrungen auf, die viell. nicht nötig & wertvoll sind. Ich sehe nicht ein, warum ich weniger arbeiten könnte; viell. sogar viel intensiver. Die ökon. Verknappung wird viell. ausgeglichen. Ich brächte mehr zustande, wenn ich mich wohl fühlte & konzentrieren könnte. Aber was sind das für trübselige Gedanken im Zush. mit einem solchen Vorhaben. Ich muß auch erst ganz sicher sein, daß ich mich wirklich frei gemacht habe, sonst wäre es unverantwortlich gegenüber dem Partner. –

Wieder Reiten. Z.B. mit Ernst Herzfeld, mit dem ich recht gut stehe. Ein interess. Mensch. Und was für ein Reiter! Jetzt war ich schon 2 x mit Andy Jones, die die herrlichen Vollblütler in Mt. Rose haben. Ich reite "Prince"; 4jähr. Sohn des Halbbruders von Man of War, den sie dort besitzen. Sie haben ca 30 Pferde! A's Mutter ist sehr nett & ich hoffe, wir können öfters gehen. Morgen wieder, falls es nicht regnet, was im April kaum getan hat.

Ich überlege, ob ich mir noch einen Homespun (ganz echt) machen lassen soll; noch ein Handgewobener, riechend, "Heather". – Das gibt es schon nicht mehr & wird jahrelang nicht kommen.

Noël Hall war Mittw. hier; ist jetzt Minister in Wash. Zt. Schönfärber, aber im grossen & ganzen gut. Trotzdem: ich vermisse fast überall Einsicht, in das, was wirklich vor sich geht, bes. in die Technik der Deutschen Nazis, in ihre Phantasie, Ambitionen. Auch bei Earle, wo das sonst am besten ist. Immer etwas Leisetreterei. Das irritiert mich zusehends.

Viele Leute gratulierten zum Prof. Ich bin hier damit ganz "akzeptiert" & irgendwie wird sich das auf mein Gemüt auswirken. Ich glaube aber ohnehin zieml. ausgeglichen zu sein. Madeline fand auch Traurigkeit in mir, tief verborgen. Richtig: aber es ist wohl mehr wegen der Welt & den Menschen im Krieg, als wegen etwas persönlichem.

Die Eltern schreiben. Die Armen führen ein trauriges, eintöniges Leben. Die Möglichkeit, sich bald wiederzusehen, rückt auch für sie in die Ferne.

Ich möchte die "Maxims" schreiben. Johnny wird viell. nächste Woche zu den Ök. sprechen. Howard macht Schwierigkeiten, "es sei zu viel los"(!!). Er ist quasi anti-intellektuell. Man braucht sich nur den Sohn anzusehen. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1940-41, Eintrag 1941-05-02
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.23)