OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1941-43 / 1942-09-30

Sept. 30. 42, Mittw.

Stalingrad steht noch. Es ist unglaublich, was die Russen leisten. Hitler hat heute gesprochen & eine richtige defensive Rede gehalten. Was für kleine Ziele er darlegte, verglichen mit anderen Jahren. So geht es nun weiter mit ihm bergab. Hoffentlich beschleunigt sich das Tempo. Ich bin der alliierten Planlosigkeit & Zerfahrenheit sehr unzufrieden.

Freitag in N.Y., sehr nett & ausführlich mit Mitchell gesprochen. Das Bureau verliert mehr & mehr Leute. Ich will mich nun an ein weiteres Kapitel machen.

Dann sah ich Madeline, die etwas erkältet war. Sie war so lieb zu mir. So wie sie mich neulich im Stark Club küsste, tat sie es da auch auf der Straße! – Wir hatten einen sehr netten Abend. Nun lernt sie etwas deutsch von mir & sagte mit Gusto "Ich liebe Dich". Sie hat Talent & gute Aussprache. In Cincinnati hat sie öfters deutsch gehört. Dieselben 3 Worte sagte sie Samstag früh übers Telephon & gleich gestern Abend, als wir telephonierten. Wir kommen so gut & reibungslos aus. Ihre Offenheit ist so schön. Anzuschauen ist sie schöner als je; sie ist auch munterer als früher und ich glaube, daß sie mich wirklich sehr gern hat. Sie sagt, die Leute fänden mich so jung & bescheiden. – !

Sa. nach Washington, bis Mo. früh. Ich hatte fast 2h mit Max W. Thornburg, Petroleum Adviser to the State Dep., der möchte, das ich etliches mithilfe. Er gab mir Dokumente mit und wir werden bald wieder konfererieren. Ein interess. Mann (Texas Co & StO of Calif) gehört zur Sproul Gruppe; wie ich mir gedacht hatte. Persönlich sehr nett. Viell. wird etwas aus der Sache.

Neumanns wohnen schäbig; Clari ist nervös und stört Johnny sichtlich. So schade. Wir arbeiteten so viel als es ging, aber etwas gehemmt. Chpt. XI. begonnen (teilweise Ordnung etc. Acyclicity etc.). Es wird ausnehmend interessant. Dies Kap. dürfte nicht so lang werden. Dann eines über ? = 0; dann das ökon. – Viell., viell. bis Weihnachten fertig. – Es goss in Strömen; mein Bett war in einem Winkel, aber das ist halt der Krieg. – Das Buch hat nun wohl 820-840 Seiten MS bereits!

Heute eine Red Cross Nachricht von den Eltern wieder; vom 14. Juli. Es geht offenbar ganz gut, denn sie schreiben aus der Ramsau, Hannchen hatte 3 Wochen Urlaub. – Morgen werde ich eine Antwort senden. Es kommt halt alles so spät & die tiefe Bekümmernis, mit der ich an sie denken muß, hebt sich nicht. –

Gestern & heute reiten (heute mit Fr. Weyl). Herrliches, kühles Wetter. Mir tut es immer so gut. – Vorlesungen unterwegs. Auch ein kleiner Grad. Course, wo ich Theorie der sozial. W.rechnung bespreche. Es ist aber möglich, daß ich die Hälfte der Studenten verliere wegen Armee.

So viel für heute. Freitag nach N.Y. zu Madeline; Sonntag auf einen Abend n. Wash., Mo. wahrsch. im State Dep. – Das Wochenende darauf werde ich hier bleiben, weil Johnny Mo. in 8 Tagen kommt. Hoffentlich kommt Madeline mich Sa. in 8 Tagen besuchen. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1941-43, Eintrag 1942-09-30
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.24)