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tagebücher / 1941-43 / 1943-01-30

Sa. 30. I. 43

Es ist also vieles geschehen, nicht alles unerwartet. Zunächst Madeline: Wir trennen uns, d.h. sie möchte schon weiter mit mir verkehren, aber mir würde das zu schwer fallen. Sie will bald heiraten, einen Mr. Fleming, 32, Advertising Executive. Das ist natürlich das beste für sie, punkto Alter, Milieu etc. Es mußte zu so etwas kommen. Sie war noch bis zum Schluß sehr nett & ich werde sie nie vergessen. In einigen Jahren (oder viell. Mon.?) können wir viell. doch wieder als gute Freunde weiter zusammenkommen. Es tat mir schon weh. Ihr ist es auch nicht leicht geworden, aber alles tendierte in diese Richtung. Ich habe sie wohl meiner Arbeit geopfert. Wenn ich in N.Y. gelebt hätte, wäre es viell. noch anders gewesen. Sie hat mich in eine neue Welt schauen lassen; und sie ist ganz entzückend gewesen. Es geht mir näher, als ich gedacht habe. Im Jahre 1941 hätte ich sie heiraten können; da wollte sie, aber ich war nicht bereit. Ich wollte sicher sein. Leider hat mich auch ihr Daheim mehr gestört, als ich mir zugestehen wollte; ich mußte mehr mit Vernunft als Gefühl darüber hinwegkommen. Der Vater ist allerdings ein werter Mann. Sicher auch die Mutter, aber es gab keine Berührung. Wir wären auch in die ökon. Verengung hineingekommen, die der Krieg bringt und das wären keine guten Auspizien gewesen bei allen anderen Umständen. Ich hoffe, sie wird glücklich werden und – bleiben! –

Mimi war 2 x hier. Brachte mir als Weihnachtsgeschenk u.a. 2 Leuchter (Glas), Buch, und: Chines. Braut. Ein Porträt, viell. Ming Dynastie. Aus Dank für meine Hilfe in Gloucester. Ein sehr schönes Bild. Jetzt will sie mir auch noch den dazugehörigen Mann geben. Das Bild ist aus einer Sammlung eines verstorbenen Sinologen. Dr. Yin war hier, neulich Abend, mit Dr. Chung, gerade als Mimi zufällig hier war. Er ist sehr von dem Bilde eingenommen und wird sich weiter darüber erkundigen.

Mimi ist wieder viel mehr wie früher, seit sie ihre Scheidung in Gang gebracht hat. An mir scheint sie doch sehr zu hängen. –

Johnny ist noch hier. Gestern war er einige Stunden in P. Wir besprachen noch gewisse Kleinigkeiten, incl. das Vorwort. Wir haben es zerlegt, aber heute gefällt mir das nicht. Ich werde ihm morgen schreiben. Er fährt am 8. oder 9. Feb., nachdem es unsicher geworden war, weil Alexander zurückkam, der gegen das Verbleiben ist. Wenn es ihm bei der Army in England gar nicht passe, kann er sich von der Navy, die ihn der Army borgt, zurückberufen lassen. Er wird mir sehr abgehen. Jetzt ist Kusaka als Assistent tätig und das MS wird jetzt für den Drucker fertig gemacht. Es wird viel Zeit damit vergehen & der Druck wird mindest. 6-8 Monate dauern. Es ist schwierig gewesen, sich psych. von der Theorie frei zu machen (und von der Math. überhaupt), aber ich muß mich nun in die Ntl. Bureau Arbeit verbeissen. Ich habe ernstlich begonnen, es macht schon Spaß, ist kompliziert & mühsam, ist aber im wesentlichen eine Sache des Fleisses & der Ausdauer. Am 20. sprach ich im Staff Meeting; es war sehr erfolgreich, alles wollte sich gleichzeitig an der Discuss. beteiligen. Mitchell sah sofort, daß sich jetzt wirkliche Perspektiven eröffnen. Die Schwierigkeiten liegen alle bei Burns. Ich habe die ersten 40 Seiten des MS, das ich schon habe (vom "Occ. Paper") neu bearbeitet; sie werden jetzt abgeschrieben und ich sende das MS an Viner; Das J.P.E. wird das hoffentlich annehmen und bald bringen (Juni). Ich will auch das andere MS über Konj.th. hernehmen & in 2 Teile zerlegen. Der erste wäre "Logic of Decomposition of time series" (49-50 MS Seiten). Da ist aber noch Nachdenken & Umschreiben nötig. Aber ich glaube doch schon einiges zu sagen zu haben. Von nun an will ich wirklich bei konzentrierter Arbeit bleiben, solange es der Krieg erlaubt. Hauptsache ist das (neue) Buch. Schliesslich erscheint dann in nächster Zeit eine ganze Menge von mir (oder z.T.).

Haberler sah ich vor 2 Wochen nach langer Zeit. Er kommt mir gelangweilt vor. Ich glaube, er fühlt, daß er nichts bes. neues zu sagen hat. Jetzt will er seinen intern. Handel umschreiben. Er ist ein ausgezeichneter Lehrbuchverfasser, kann darstellen, kritisieren, zus.fassen. Das ist sehr wertvoll. Ein bisschen zu festgefahren. Viell. passt im sonst etwas nicht, was man nicht weiss. Die Frau soll wieder ganz in Ordnung sein. Der Geiz ist krankhaft & es macht keinen Spaß, das anzusehen; diese Kleinlichkeit. Mises war bei uns. Lunch dabei. Er hat ein Buch über die Nazis geschrieben; heute weiss man aber schon, wer sie sind. Er ist 100% für Habsburg; das ist unbegreiflich. Mit Wiss. hat er noch weniger zu tun als je. Unser Buch ist ihm schon jetzt höchst zuwider.

Siegel's "Simplectic Geometry" ist erschienen. Das "schöne MS", das Weyl unter Glas im Institut aufbewahren sollte. Es soll ja eine ganz grossartige Arbeit sein. Er kommt Montag aus Lake Placid wieder; er wollte, daß ich ihn dort besuchen sollte, aber es ging nicht. Ich war 2 Wochen sehr müde, von allem. Jetzt geht es wieder; ich will wieder reiten gehen. Das Auto habe ich in 2 Wochen 2 x benützt! Restrictionen.

Asher Hinds ist gestorben; Herzschlag. Er war einer der nettesten Leute hier, ich aß so oft mit ihm im Klub. Er geht mir ab.

Am 20. in N.Y. mit Barbara Hebbard Cocktails im Plaza & Dinner bei Pierre. Sie ist sehr hübsch (eben auch Powers), aber ganz anders. Sie will ein Week-end hierher kommen; das könnte nett werden und wird mich auf etwas andere Gedanken bringen. – Ich muß jetzt aufpassen, nicht "alter Junggeselle" zu werden, mit allen üblen Merkmalen. Ich neige schon sehr dazu, mich sehr zurückzuziehen.

Oft mit recht: Heute Commencement Lunch, um Grew & Winant zu hören. Es war wirklich schade um die Zeit. Diese Erfahrung macht man immer wieder. Ich bin halt viel allein. Diese Alternativen sind nicht sehr anziehend. Was man braucht, ist eben der lose, aber häufige Kontakt, mit Leuten mit denen man wirklich gut ist.

Lovasy war wieder operiert worden. Es scheint aber wieder zu gehen. Ihre Überschwänglichkeit irritiert mich oft; und warum soll ich sei beim Vornamen nennen? Ich mag Vertraulichkeit nicht. Sie mißversteht meine Freundlichkeit.

Die Eltern und Hannchen? Was kann man sagen? Ich denke täglich an sie und es wird immer Ärger, was man sich vorstellen muß. Wie müssen sie leiden, und was muß ihr Zwiespalt der Gefühle sein bei den jetzigen Nachrichten. – Heute Hitler 10 Jahre an der Macht. Nun beginnt sein letztes. Er hat es nicht einmal gewagt eine Rede zu halten. Berlin wurde bombardiert während Göring & Göbbels sprachen. Endlich einmal eine solche Störung. Eine schöne Blamage. In Russland sind die Nazis mehrfach tüchtig geschlagen worden. Tripoli erobert. Casablanca Konferenz. Ich glaube übrigens, daß Churchill zu Stalin geflogen ist. Bestimmt hat man grosse Pläne gemacht; viell. von Tunis nach Italien & gleichzeitig Nordnorwegen. – Bes. wenn die Russen gleichzeitig von Leningrad vorstossen können. – Es ereignet sich wieder so viel, daß man kaum mitkommen kann – genug für heute. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1941-43, Eintrag 1943-01-30
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.24)