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tagebücher / 1941-43 / 1943-03-06

Sa. 6. III. 43.

Das Tempo des Krieges nimmt zu. Ein ganzer jap. Convoy von 22 Schiffen versenkt; ausschliesslich von Fliegern. Ein wichtiges Ereignis. Rzev, Ghaz gefallen; grössere Kämpfe in Tunis, wo es bald einen Climax geben wird. Tag & Nacht Luftangriffe auf das Reich & besetzte Gebiete; das ist Vorbereitung der Invasion. Essen hatte gestern einen der grössten Angriffe des ganzen Krieges.

Do. mit Clari & Siegel in der Inn, dann bei mir. Clari ging um 10.30. Siegel blieb noch bis nach Mitternacht. Er ist ein wunderbarer Mensch. Jetzt hat er auch das Waringsche Problem gelöst. Die Präzision seines Denkens – sichtbar in jeder Bemerkung, die er macht – ist einzigartig. Ich war ganz stolz, als er bemerkte, ich hätte eine ganz mathem. Denkweise! Ich bin eben etwas angesteckt (Johnny würde sagen: verdorben). Viel über Mathem. gesprochen. Ich sagte ihm, daß mir am stärksten auffalle, daß man bei der Math. ganz konkret den Problemen in die Augen schauen muß. Er stimmt zu. – Es gibt eben kein "schwindeln" & herumreden. Das muß in die Ökonomie, mehr als der Formelkram der Leute. Siegel macht sich etwas Sorgen, was '44 mit ihm werden solle. Aber das wird sich alles finden. Er ist sehr pessimistisch über die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten der Math. Ich sagte ihm, neuer Anstoß könne von der empir. Seite her kommen, z.B. der Ökonomie, wo ganz neue Arten von Problemen zu sehen sind. Es machte ihn nachdenklich; er will ohnehin unser Buch lesen – wir müssen ihm ein Exemplar schenken.

Heute an Johnny geschrieben. Er dürfte Ende April oder Mai zurück sein. Ich habe nun eine Mrs. Weber aufgenommen, die ca. 300 S. schreiben wird. Blake ist zu langsam. Von Eisenhart hoffe ich $ 100 zu bekommen. Dann können wir viell. in 4 Wochen fertig sein.

Am MS weitergearbeitet. Gestern mit Mitchell gesprochen. Nun will Riefler auch R. Young nach London ziehen. Das Bureau verliert fast alle Leute, was ihn sehr unglücklich macht. Mitchell glaubt, daß mein Buch für die Nachkriegszeit wichtig sein könne, indem es die Komplexität zeigt & dadurch gegen "einfache Pläne" ist. Jetzt fehlt mir ein Assistent. Es ist niemand da. Ich hoffe bis Ende des Jahres ein Roh-MS beisammen zu haben. Wenn das Buch nicht mehr als 250-300 S. hat, wird es auch nicht schaden.

Lutz hat also ein Angebot vom Fed. Res. Board bekommen; ich hatte ihn sehr empfohlen. Er weiss nicht, was er machen soll. Er möchte am liebsten sein Buch über die Geschichte der Zinsth. beenden (in 1 Jahre). Er hat, seit er hier ist (38) nur 1 Aufsatz veröffentlicht, & in the long run, ist ein Buch sehr wichtig für ihn. Er ist ein bes. netter Mensch; sehr genau usw., aber natürlich zu positiv zur existierenden Ökonomie, nach meinem Geschmack.

Ich denke so oft an meine Leute in Wien -. Es muß ihnen ja grässlich zu Mute sein & man kann gar nichts tun.

Mimi ist zurück, schrieb & telephonierte. Sie wollte heute kommen, aber sie haben eine Konferenz. Wahrscheinlich baut die Regierung eine grosse Fabrik für sie. – Was für ein schöner Erfolg!

Maimie ist seit über 2 Wochen krank (& niedriger Blutdruck). Hattie hat mir 2 x ausgeholfen, von Clari geschickt.

Gestern in N.Y. mit Barbara Hebbard zus. gewesen. Trafen uns im Plaza für Cocktails, assen bei "Gaston à la bonne Sonja", & nahmen Café im Pierre. Ich fuhr um 11.25 heim. Es war nett, aber nichts besonderes. Sie ist sehr hübsch, gebildet, gereist, etc. Aber ich erwärme mich nicht, wohl weil ich mich an Madeline erinnere; wir haben sie mit nicht einem Worte erwähnt. Ich wollte nicht. –

Garr gestern gesehen. Er ist schon unangenehm. Er hat 2 Bücher auf Französisch veröffentlicht. Eines "Histoire d'unchien d'émigrés" gab er mir. Es scheint ganz nett zu sein.

Das ist alles für heute.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1941-43, Eintrag 1943-03-06
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.24)