OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1941-43 / 1943-07-02

Freit. 2. Juli.

Hannchens Geburtstag. – Die Arme. Daß ich gar nichts höre, ist unerklärlich. Viell. bekommen sie wenigstens meine Rote Kreuz Nachrichten.

Seit Mo. schönes, kühles Wetter. Ich habe mich nicht sonderlich wohl gefühlt, weiss nicht, was es war: Heute aber wieder gut beisammen. War 2h mit Miss Mazek reiten bis auf den Mt. Rose. Sehr schön. Das erste Mal dort seit vorigem Herbst.

Gestern in N.Y. Alles mit Oshima besprochen & die Arbeit macht Fortschritte. Die Chronik ist fast fertig, bis auf den Economist. Ich lese die Volksw. Chronik der Jahrb. f. Nat.ökon.

Mit Johnny alles über das Buch besprochen, es gibt noch immer Geldschwierigkeiten. Die Univ. gibt nur $ 1.000,-; falls Aydelotte aber $ 1.500,- aufbringt, klappt alles. Wir hoffen das in 8 Tagen zu willen. – Wir waren gestern in der Inn nachtmahlen & dann bei mir. Heute beim Tel. im Institut (für Beveridge). J. glaubt übrigens, daß man den Kontinent erst 1944 angreifen wird, die Inseln aber heuer (wie Otto). Tatsache ist, daß die gefangenen deutsch. Generäle alle vollständig gegen Hitler sind. Hitler soll in alles dreinreden und sehr brutal vorgehen. [Es könnte natürlich ein Trick der Generäle sein, um sich ein Alibi für die Kaste zu verschaffen.] – Johnny meint, daß auch ein Math., der sich im allg. ein Bild über unser Buch machen will, 4 Monate dazu braucht. Deswegen wird es bei den Ökon. 10 Jahre dauern, bis die Theorie eindringt. –

Die Deutschen scheinen die schweren Luftangriffe immer schlechter zu vertragen. Es hat eben alles eine kumulierende Wirkung. Daß der Kölner Dom z.T. zerstört ist, ist eine der Tragödien des Krieges – wie viele andere. Es ist übrigens nicht so, daß es nur ein 20jähriger junger Mann ist, der, indem er auf einen Knopf drückt, in Sekunden zerstört, was in 600 Jahren gebaut wurde: Hinter dem steht schliesslich die ges. moderne Zivilisation, Wirtschaft & Wissenschaft, die ihn in einem Bomber genau dorthin bringen & in die Lage versetzen. Es ist eben so, daß die moderne Kultur die alte zerstört. Schade, daß die Entwicklung nicht so geht, daß sie das alte aufrecht erhält, auf ihm weiterbaut; nun das behält, was zu dieser Situation führt. Es liegt wohl eben daran, daß man viel mehr weiss & tun kann, aber daß man nichts besseres weiss, mit alledem anzufangen. Warum sollte das nach diesem Kriege anders werden. Es gehört mehr Optimismus dazu, daran zu glauben, als ich imstande bin aufzubringen. Im Gegenteil, mir scheint die fernere Zukunft als sehr düster. Unmittelbar nach der Nachkriegszeit (die konfus sein wird & blutig & voller Revolutionen) dürfte viell. eine Pause von 20 Jahren eintreten, die uns eine bessere Welt vortäuschen wird, ohne sie uns wirklich zu geben. – Wer sagte: "Wenn ihr eure Augen nicht zum sehen benützt, werdet ihr sie zum weinen brauchen."? Das wird wohl lange wahr bleiben.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1941-43, Eintrag 1943-07-02
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.24)