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tagebücher / 1943-44 / 1944-07-04

Di. 4. Juli 44.

Der Krieg nimmt immer schnelleres Tempo an. Minsk ist gefallen. Im Osten scheint ein vollständiger Zus.bruch der deutschen Armee in Gange zu sein. Die Russen sind 110 Meilen vor Ostpreussen! Im Westen macht man auch Fortschritte & wenn man Caen hat, liegt der Weg nach Paris offen. In N.Y. an der Börse wettet man seit 2 Wochen 1:1 daß der Krieg in Europa Ende August vorbei sein wird. Es ist gewiss nicht unmöglich.

Johnny ist wieder nach Shangri La gefahren. Sa. war ich bei ihnen zum Nachtmahl. Es war sehr nett. Er freut sich nun auch schon auf das Buch. Die Press will noch ein Statement von uns, für ein weiteres Publikum geeignet, da sie glaubt, daß weit verbreitete Zeitschriften etwas bringen könnten. Ich werde versuchen etwas aufzusetzen.

Gestern in Columbia angefangen. Ca. 30 (!) Leute, was leider bedeutet, daß ich mehr Vorlesungen als ein Seminar halten muß. Sehr gemischt, & das macht es immer schwierig. Morgen wieder. – Ich bin noch nicht an die Ntl Bur. Arbeit zurückgekehrt, weil mich die Hautgeschichte irritiert; aber es wird jetzt besser; das kühle Wetter hat geholfen. Aber es juckt schon noch. Ich habe einmal etliches gelesen: Punische Kriege; Pelloponnesischer Krieg; Mises's Buch, (z.T. interessant, z.T. ganz blind). –

So. war Mimi hier; ihre Wohnung ist klein, aber viell. ganz gut. Ich werde sie mir einmal anschauen. So. war sehr schönes Wetter, aber ich war stark behindert überhaupt zu gehen. Am Abend bei Waldron's zum Dinner; Dorothy Riefler war auch da. Das Haus (30 Bondinot) gefiel mir. Ich sollte doch in 3-4 Jahren mir ein Haus kaufen. Man hat so viel davon, obwohl es grosse Umständlichkeit bringt. Es wird nicht leicht sein etwas zu finden; viell. kommt das neue Bauen. –

Manche Leute sagen mir, daß ich müde aussehe. Dabei fühle ich mich nicht besonders müde. Aber ich brauche schon etwas Erholung.

Sa. sah ich Dodds. Er war sehr nett. Ich sollte doch tun, veranlassen etc. was ich für nötig halte. Er will sich um Ellis bemühen. Die Graduate Studenten seien sehr schlecht gewesen, während der letzten 8-10 Jahre. Das Dep. sei zu sehr auf die Undergraduates eingestellt etc. Stimmt alles. Er scheint auf "publicity" aus zu sein, damit bessere Graduates herkommen. Aber ein wirklich funktionierendes Dept. lässt sich nur allmählich aufbauen. Und dann gibt es so wenig wirklich erste Leute in der Ökon., die man haben möchte & bekommen könnte. Das hat sehr tiefe Gründe. Gestern sah ich das wieder im Ntl. Bur. Dort ist ein Mann, ca. 35-40, Kendrick, aus Cornell. Er lehrt Theorie & Finanzwiss. Für Theorie benützt er Davenport; ca 30 Jahre alt! Was soll man sagen. Und Burns (A.F.) in Col. lehrt Marshall. Ein Buch, das alle intelligenten Menschen mit seinen Platitüden & Vagheiten (wo es keine Platitüden sind) abschrecken tut & muß. Es ist ein grosser Jammer. Denn auf der anderen Seite sind die math. Ökonomen, die sich für Spielereien interessieren.

So viel für heute. Am Nachmittag war ich müde & schlief (!) zwei Stunden!-

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1943-44, Eintrag 1944-07-04
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.25)