OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1944-45 / 1944-10-18

Mi. 18. Oct. 44.

Zu viel zu berichten, bes. wenn ich in Einzelheiten gehen wollte. – Einsteins Vortrag war sehr interessant. Er behauptet, die Relativitätsth. sei "im groben Sinne" falsch, wenn man nachweisen könne, daß die Welt älter sei als 109 Jahre. Das sei sie aber nicht, da es Uranium gäbe & dies habe eine viel kürzere Zerfallszeit. Scheint mir ein schwacher Schluss. Warum soll Uranium nicht erst später entstanden sein? Oder jetzt in gewissen Teilen des Weltalls entstehen? (Es soll dafür Gründe geben, daß es nicht gehe meint Johnny, den ich fragte; aber Pauli ist skeptisch). E. sprach 1 ¾h!

Freitag in N.Y. einen möglichen Assistenten interviewed. Er ist bloß 20 & hat sehr wenig Erfahrung. Nun warte ich auf Antwort von einem Mann, den mir Ted Anderson genannt hat. Sehr schwierig diese Zeit. Habe seit Do. nichts geschrieben, weil die Depress-Deleg. Sitzungen waren: Sa-Di. pro Tag 6-7 Stunden! Es ging aber vorwärts. Am 4. Nov. neue Sitzung. Es wird dann bald zur Publik. kommen; ca 250 Seiten & ich glaube, sehr nützlich, bes. auch für den Unterricht.

Halte Vorlesungen über Dogmengeschichte. Das scheint sich zu bewähren; die pre-med. sind ganz gut.

Haberler's waren hier. Er & Leontieff (der das Buch fürs Q.J. rez.) haben Einwände gegen die Nutzenmessung. Wagen der Möglichkeit eines +,-Nutzens des Spielens. Das haben wir ja berücksichtigt; aber H. sieht das nicht wie es mit der Widerspruchsfreiheit beschaffen ist. Wir werden dies – u. anderes! – noch oft hören. – Sonst hat H. nichts gesagt, z.B. über die Max & MinMax Seite etc.

Montag waren sie hier und Weyls, Neumanns, Lovasy. Hermann leidet wieder etwas an Asthma, aber es geht schon besser.

Ellis war eine Enttäuschung: macht einen müden, vertrockneten Eindruck; aber die Diskussion war gut. Er ist kein geeigneter Dir. & ich glaube er will auch gar nicht kommen. Gestern hatten wir Dep. Sitzung. Nun wollen wir es mit Staley versuchen. Graham ist sehr verärgert über die ganze Sache & ich kann es ihm nicht verargen. Ich habe ein "statement" gemacht, über meine Position betreffs Lehrtätigkeit – Krieg – etc im Hinblick auf meine Unterredung mit Dodds, auf den ich wütend bin. Ich lasse leicht durchblicken, daß ich viell. nicht hier bleiben werde. Ich werde wirkl. viell. Columbia annehmen. Ich mag die Stadt; bin sehr froh Johnny hier zu haben, aber die Univ. ist nicht sehr befriedigend. Natürlich können sich die Verhältnisse ändern. In einigen Wochen werde ich Root schreiben & um Def. der Verpflichtungen eines Professors ersuchen.

Johnny kam Sa; wir lunchten Sonntag bei ihnen. Er ist netter denn je & in glänzender Verfassung. Weyl & Siegel lesen das Buch. Weyl meinte, man hätte das Min Max Prinzip aus pädagogischen Gründen voran stellen sollen & die Def. (Chpt. II) später geben; letzteres sei schwer. Aber das ist eine Geschmacksache. Morgen werde ich viell. mit Siegel essen; er dürfte (bei 10 Seiten täglich!) etwa die Hälfte gelesen haben. – Kaufmann schrieb einen enthusiastischen Brief: "wiss. Leistung ersten Ranges", "von unübersehbarer Tragweite" etc Ich solle Aufsätze schreiben etc. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1944-45, Eintrag 1944-10-18
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.26)