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tagebücher / 1944-45 / 1944-12-11

Mo. 11. Dez.

Wieder weiter geschrieben. Es gefällt mir nicht sehr, wird aber werden. Teile müssen neu geschrieben werden. Viell. wird das kein ganzes Kap., sondern nur der 2. Teil des siebten. Morgen nach N.Y. Miss Green zu sehen, die ev. meine Assistentin wird; ich bin auf Frauen nicht sehr erpicht. Mag sie überhaupt nicht besonders; fremde Tiere; oder noch fremder als das. –

Budapest in Flammen. Es ist schauderhaft. Hoffentlich bricht Deutschland zusammen, ehe die Russen nach Wien kommen. Wien könnte lang vor dem Kranz der Berge verteidigt werden und würde dann ganz vernichtet werden. Heute haben 1600 Forts & Liber. mit 800 Fighters Eisenbahnanlagen um Frankfurt angegriffen; nachher noch 500 Lancaster. ca. 7-8000t!! Und trotzdem halten die Deutschen. Nicht zu begreifen. Und doch sollte der Bruch bald kommen. Es kann noch immer jeden Tag sein; in der Tat, das wird immer wahrscheinlicher. – Aber was für ein Grauen nachher; man sehe nach Italien & Griechenland. Irgendwie bekomme ich ein dumpfes Gefühl der Wut und tiefen Ärgers über menschliche Torheit & Brutalität. Es entgeht mir immer mehr an Dingen teilzunehmen & ich scheine mich immer mehr von Menschen zu entfernen; mir ist so vieles so stark, fast visuell, gegenwärtig & ich leide sehr. Man schaue sich die Gesichter der Leute auf den Photos an; ich meine das zivile Volk & nicht die Soldaten. Was für Hilflosigkeit.

Nun, so ist es.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1944-45, Eintrag 1944-12-11
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.26)