OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1944-45 / 1945-04-19

Do. 19. April

Wien vor einigen Tagen gefallen. Gestern war ein Bild in der Zeitung: russ. Tanks vor dem Parlament, das ganz war; den Turm des Rathauses sah man auch unversehrt. Viell. ist es nicht so sehr zerstört. Bald sollte man es wissen. Bryant ist schon in Rom & ich hoffe dann bald zu hören. Sa. kam eine Nachricht von den Eltern (Ende Nov.). Sie können immer in die Ramsau. Haben ein Ehepaar aufnehmen müssen. Was jetzt mit ihnen allen ist? – ?

Deutschland geht völlig zugrunde in Selbstzerfleischung. Man muß sich jeden Tropfen deutschen Blutes schämen, wenn man von Buchenwalde & den anderen Konzentrationslagern liest. Es war auch das schlimmste Gerücht keine Unwahrheit. Es ist so unbeschreiblich. – Man kann es mit Gefühlen gar nicht bewältigen; nur mit rationalem & da muß man die strengste Bestrafung denken; Ich kann gar nicht sagen wie mir ekelt. Ich weiss nicht, ob ich je einen Fuß nach D. setzen werde. Und dabei das schreckliche Geschick aller – die massenhaften Selbstmorde & der Wahnsinn aller Zerstörung. Und dabei glaube ich, daß sich Hitler & andere dieses Unterganges erfreuen. So wird er eben für 1000 Jahre Spuren hinterlassen. Im positiven konnte er es nicht.

Hayek war vor 10 Tagen hier. Ich gab eine Party. Er ist ziemlich unverändert; leider in den Händen einer üblen Gesellschaft. In Col. hörte ich ihn, nach einem Dinner. Ich kann einfach nicht mehr mitmachen. Weder mit ihm noch seinen Gegnern; das ist alles keine Wissenschaft. Ich konnte alle seine Antworten voraussagen. – Viell. sieht man ihn Ende April noch einmal. – Er sprach viel von der Verarmung in England & der Furcht vor Russland. – Ich habe keine Zeit alles aufzuschreiben. –

Do. vor. Woche starb Roosevelt. Ich hörte es, als ich ins Plaza ging mich mit Reves zu treffen. Grosser Verlust. – Man wird das erst allmählich bemerken. R. war ein Gentleman. Truman kann gut sein; ich fürchte die Inflationsgefahr ist gestiegen, wegen des Optimismus von "Bus.“ & den grossen Kassenhaltungen etc. – Am Abend das Dinner des Council on For. Relations für die Delegation. Kein grosser Erfolg; auch Fraser's Selbstmord & Brand hatte seinen einzigen Sohn im Felde verloren. –

Haberlers & Ellis getroffen & gute Aussprache. Mitchell war auch zurück. Im Bur. gearbeitet & MS überprüft, aber noch nicht ganz fertig.

Gestern war Mimi einige Stunden hier. Wir gingen 2h spazieren & es war nett. Nach dem Nachtmahl bei Lahiere fuhr sie weiter.

Doug' Brown ist Dean of the Faculty geworden. Wenn er nur ein wirklicher Gelehrter wäre! Man wird sehen müssen, was mit ihm wird.

Viel mit Johnny über Fourier Analysis diskutiert etc. Sind etwas vorwärts gekommen mit unseren Plänen. –

So long –. Müde. Es ist spät & ich habe viel gearbeitet. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1944-45, Eintrag 1945-04-19
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.26)