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tagebücher / 1945-47 / 1945-09-11

Di. 11. Sept. 1945.

Gestern kam ein Brief aus Wien! Vom 24. Juli & 14. August, von einem Am. Soldaten aus Linz geschickt (Flugpost). Vatel schrieb 4 Seiten, Muttel 1, Hannchen 2. Wie ich mich freute, alle 3 Handschriften zu sehen! Sie leben also & ihre Wohnung ist unbeschädigt & ihre Sachen in der Ramsau sind auch sicher. Aber: Hunger. Es ist entsetzlich, daß sie jetzt am Ende noch so gefährdet sind. Ich hoffe, daß Marget sich schon in Verbindung gesetzt hat & ihnen helfen kann. Es gibt eine "Americ. Association" in Wien mit Mittagstisch & Lebensmittelzuschüssen & auch Heizmaterial. Sie sind aber nicht angenommen worden. Marget sollte das oder etwas ähnliches ermöglichen können. Ich habe ihm gestern gekabelt & geschrieben; ferner an DeWald geschrieben, der auch in W. ist, wie ich gestern hörte. Rosenborg hatte vor 3 Wochen an seinen Sohn geschr., der dort Dolmetsch ist. Ferner setze ich das State Dept. in Bewegung um Carter Bryan zu erreichen. Am 15. darf man dann Pakete an Soldaten senden & ich werde an Marget schicken, der es weiter geben wird. Das wichtigste ist für die nächsten 2 Monate etwas zu finden. Ab 25. Sept. werden die Rationen wenigstens auf 1500 Kal. erhöht. Aydelotte geht morgen in N.Y. zum Centr. Com. der Quaker & wird dort auch etwas versuchen; das wird Erfolg haben (sofort) falls die Q. schon in Wien sind. Einer dieser Versuche wird Erfolg haben. Auch wird der Besuch von diesen Leuten ihren Lebensmut heben. Der ist aber nach dem Briefe zu urteilen ohnehin erstaunlich. Die Handschriften völlig unverändert; sehr klare Beschreibungen etc. Geplündert haben die Wiener! Die brit. Truppen sind schon in der Zone, einige Am. Soldaten haben sie auch gesehen. „Sehr willkommen“. Über die Russen keine bes. Klagen. Sie sind froh nicht in die Ramsau gegangen zu sein; sie hätten wahrscheinlich die Wohnung verloren & die Ramsau wimmelt vor 1000den Flüchtlingen & nichts zu essen. Man sieht, man kann nichts voraussehen. Ich bin nun schrecklich auf weitere Nachrichten gespannt. Sowie sie nur einmal eine Intervention spüren & es etwas besser wird, muß es ja ganz allg. für sie sich enorm verbessern. Mit der Zeit wird es auch hier Organisationen geben, die Pakete befördern werden. Da werde ich auch Seife, Stoffe, etc. schicken; später alte Kleider etc

Natürlich möchte mich Muttel noch dieses Jahr sehen. Das wird wohl nicht möglich sein, ausser durch das War Dept. Viell. Bringt Friedrich etwas fertig. Oder im Frühjahr. Nächsten Sommer sollte es eine Flugverbindung geben & ich werde alles versuchen –.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1945-47, Eintrag 1945-09-11
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.27)