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tagebücher / 1947-47 / 1947-10-29

Mittw. 29. Okt.

Endlich zu schreiben begonnen. Die Schwierigkeit liegt in der Kürze & die Theorie lässt sich einfach nicht so komprimieren.

Sa. reiten mit Dave; sehr schön. Am Abend bei ihnen zum Nachtmahl, wo auch Ansel Adams war. Dave ist reizend: er gibt mir seine 2 Karten für Openingnight der Oper am 10. Nov. (gerade wenn Winnie nach N.Y. kommt). Ich habe sie sofort angerufen, damit sie sich diesen Abend frei macht & sie wird es schon können, obwohl sie schon eingeladen ist. Gespielt wird Verdi's Maskenball. Sie freute sich & es sollte sehr nett werden.

So. war Lunch bei Neumanns mit McAlpins, Viners, Morses, Hua, A. Adams, Mrs. Stace. Sehr gut; aber wieder – unter den Männern – Pessimismus über die Weltlage. Der kam (jedoch ohne Erwähnung der Kriegsgefahr) Mo. im Seminar im Institut zum Ausdruck. Viner sprach (schlecht & uninformiert) über den Marshall Plan. Allan Sproul war auch da. Alles sehr pessimistisch (1) daß man nicht weiss was zu tun & (2) daß eine grosse Nahrungskrise nächstes Jahr droht, in der ganzen Welt. Was man aus Indien hört ist grässlich, sicher 1 Mill. Menschen in 4 Wochen getötet. Was für eine Zeit!

Schon lange nichts aus Wien gehört. Hab geschrieben & wieder Pakete bestellt. Aber sie scheinen so lange zu brauchen. Ich werde viell. eines telegrafisch bestellen.

So.abend waren Mimi & Mr A Reid (Sidney) hier. Ich zeigte die Photos & es war passabel. Er war in Europa gewesen & hatte auch üble Eindrücke speziell von England.

Lese etwas weiter über Neurologie & Psychologie. Es hat keinen unmittelbaren Wert für die Ök., ist aber geradezu aufregend. Lese auch Sherrington. Freitag war Gödel hier; wir assen bei Fowlers. Er war bes. reizend. Viel über Philosophie bes. Erkenntnistheorie & Zus.hang mit Neuropsychologie. Es liegt ein tiefes Problem in der Synthese des "Mind" gegenüber dem "Brain". Wenn man es nur noch erlebte zu sehen, was da wirklich dahinter ist. Wie viel tiefer die Probleme sind als sich die Philosophen je haben träumen lassen! Wir sprachen auch über Genie. Er stimmt zu, daß es in höchstem Masse Energie ist; er meint, daß das Genie aber auch vor allem sich von der Welt abschalten könne "um ganz nach innen zu hören". Er hat ja gar keine Schwierigkeit sich zu konzentrieren; das hat er mir oft gesagt. Man könne ihn gar nicht stören.

Morgen p.m. nach N.Y.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1947-47, Eintrag 1947-10-29
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.28)