OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1947-48 / 1948-02-20

Freit. 20. Feb.

Di. war Oppenheimers 1. Vortrag. Sehr klar, intelligent, aber auch so eine quasi-philos. Einleitung, die mir nicht gefiel. Ich halte ihn (bei allen Qualitäten) in Hinsicht auf seine "künstlerische" Natur für einen Poceur. Er ist nicht echt in dieser Hinsicht. Johnny passte der Vortrag gar nicht, aber: ich weiss (noch) nicht, warum. Weyl fand lediglich, daß es ihm wieder so profunde klar wurde wie so ganz eigenartig der Übergang von der Welt der Mechanik zur Quantenmech. eigentlich ist. Wir sprachen lange darüber, als wir & Hella Mittw. am Delaware 1h spazieren gingen. Es war herrliches, warmes Wetter & man ahnte das kommende neue Leben. Vor einem Jahr wurde Hella operiert, und wie lebendig sie heute ist. – Hoffentlich hält es an.

Unterricht geht passabel; grad. Course macht nicht zu viel Arbeit. Bin auch am MS vorwärts gekommen.

Mi. hatte ich das Dinner im N. Club: Viners, Diracs, De Wald, Johnny & Clari. Dann zu mir. Alles ging sehr gut & alle schienen sich unterhalten zu haben. Zwischen J. & Dirac kein warmer Kontakt. Ich sehe, daß ich immer zu sehr geglaubt habe, Johnny öffne sich leicht gegenüber anderen. Das ist nicht der Fall. Ich sehe dann erst den Unterschied bei uns. Er ist mit anderen auch oft gloomy, oder zumindest sehr ernst. Wogegen er in meiner Gesellschaft fast immer ausserordentlich heiter ist. Dirac konnte sich über die Atmos Uhr nicht beruhigen & inspizierte sie immer von neuem. Viner war nett; er ist kürzlich Mitgl. der Acc. die Lineei geworden, was schön ist. De Viti war dort Mitglied gewesen.

Gestern in N.Y. bei Goldschmidts zum Dinner. Noch: Heiligher, Mme Esteban, Dr Rondinesco, Mr & Mrs M. Newton (Hallgarten & Co), Mr & Mrs Hechler (Inhaber der Knödler Galleries). Ausgezeichnetes Essen, Champagner; Rheinwein, etc. Dann noch in die Bar. Ich konnte den letzten zug nicht erreichen, blieb im Savoy-Plaza über Nacht & mußte im Smoking heute mittag hier ankommen. War noch bei Knize für Probe des Reißeanzuges gewesen. Heute war Exc. Com. Sitzung der Foundation. Da wird es sich wegen Wien entschieden haben. – Hatte 2 Briefe; passabel. Aber Muttel ist schwer krankt & hält sich nur durch viele Medikamente.

Vossler hat beide Pakete, schrieb einen reizenden Brief. Möchte nun Leim & Beize haben. Werde ihm das schicken.

Nun wieder ans MS.

Habe die Korr. des Chicago Vortrages gelesen. Dieser & der Q.J. Aufsatz sollten in 3-4 Wochen erscheinen. – Habe eine Geschichte Russlands gelesen; vor allem über Iran IV & Peter d. Gr. Keine erfreuliche Zeit. Und was es noch immer für Parallelen mit heute gibt.

Preise fallen weiter. Ich glaube es ist eine Abschwächung im Gange. Aber Stahlpr. sind hinaufgesetzt worden. Es sind die typischen Konflikte beim oberen Wendepunkt. –

Lutz sehe ich fast gar nicht; es ist sehr merkwürdig. Er meidet mich wohl, aber ich weiss nicht warum. Gar kein wiss. Kontakt; die Ökon. suchen einfach keine Diskussionen; nur Viner. Habe nun endlich H. Simons' "Econ. Policy in a free Society" bekommen. Seine gesam. Aufsätze. Da wird z.B. von Büchern geschrieben, die heute erst 5-10 Jahre alt sind, damals als tiefreichend & programmatisch angesehen wurden. Nichts ist davon übrig geblieben! Mit heuten Büchern wird es auch so sein. Aber eine solche schnelle Überalterung ist doch eigenartig; es geschieht meist im Bereiche der Policy (z.B. Hansen, Keynes, Beveridge). Man sieht eben, daß man sich mit fundamentals beschäftigen soll. Kann man dort auch nur einen kleinen Beitrag machen, ist es etwas bleibenderes als diese Eintagsfliegen die viel Aufsehen erregen. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1947-48, Eintrag 1948-02-20
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.29)