OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1947-48 / 1948-03-29

Montag, 29. März

Buckhill Falls. Vorgestern früh in regnerischem Wetter mit Dorothy abgefahren & hier Mittag angekommen. Gestern war es stürmisch & Schnee, der aber nicht liegen blieb. Heute strahlende Sonne & kühl, aber wir konnten doch einige Stunden, in Decken gehüllt, auf der Terrasse sitzen. Dorothy ist ganz entzückend & mir so innig zugetan. Ihre Herzlichkeit ist so erfrischend & wir finden unendlichen Gefallen aneinander. Das zärtliche Spiel ist ihr sehr natürlich & sie geht rasch auf alles ein. Sie ist viele Personen in einem; so jugendlich! Wir gehen spazieren, lesen fast nichts, reden viel, essen gut, fahren etwas spazieren (gestern zu einem grossen See) etc. Waren bei einem Konzert, wo eine Frau die Apassionata mordete & wir gingen deswegen bald weg. Ich nahm Cocktails mit (die man hier nicht zu kaufen bekommt) & wir trinken immer etwas vor dem in D's Zimmer, das netter ist als meines. Leider werden wir keine ganze Woche bleiben, da Do. versprochen hat Fr./Sa. in Washington zu sein; aber wir werden zusammen hinfahren & Sa. zus. nach Princeton. Da kann ich die Gemälde des Kaiser Friedrich Museums sehen, viell. Somary besuchen etc. Das wird auch alles sehr nett werden & wir haben eine gute & abwechslungsreiche Woche. Mir tut das Ausruhen sehr gut; ich war in letzter Zeit sehr müde. Ich will deswegen auch gar nichts arbeiten, oder selbst lesen. Es wird eine rasche Belebung eintreten. Dor. war über das Imprimé sehr erstaunt & erfreut. Es passt & sie schaut glänzend aus darin. Viell. kann sie es hier einmal tragen. Es ist natürlich für den Sommer, aber zum Dinner kann sie es anziehen. Es wäre wunderbar, wenn sie nach Europa mitkommen könnte –.

Die polit. Lage ist grässlich & wird immer schwieriger. Am 18. Ap. sind die ital. Wahlen. Man sollte die Kommunisten überhaupt nicht zulassen.

Johnny einige Male gesprochen. Er hatte mich für die Navy vorgeschlagen, wo es ein etwas unklares Projekt gibt, über ökon. Gleichungen etc nachzudenken, sie auszurechnen etc. Er interessiert sich sehr dafür & meint, ich solle das ganze Projekt übernehmen, die Navy wolle das. Am 9. April ist deswegen eine grosse Konferenz in Princeton, wo wir alles hören & besprechen werden. Er will offenbar mitmachen, wenn mit der Sache überhaupt etwas anzufangen ist. Das ist sehr schön & könnte wieder etwas werden. Aber mein MS!! Es ist doch noch eine ganze Menge zu schreiben. Broch zitierte jedoch André Gide: "On ne finit pas un livre, on l'abandonne." Das werde ich wohl auch bald tun müssen. Mir ist eingefallen, dass ich im Wr Institut allerlei ausrechnen & nachprüfen lassen könnte. Ein Carepacket kann da viel ausrichten. Da hätte ich Zeit & könnte alles überwachen & brauche keine voluminösen Papiere mitnehmen. Das werde ich vorbereiten. In der Schweiz könnte ich über die Navy nachdenken & etwas früher im Sept. zurückkommen.

Genug. Der graue Anzug ist superb. Werde jetzt aber den blauen, doppelreihigen zum Dinner anziehen, den Dorothy besonders mag. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1947-48, Eintrag 1948-03-29
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.29)