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tagebücher / 1949-50 / 1949-08-20

Mesa Verde, Col. 20. Aug. 1949.

Morgen fahren wir nach Ouray; waren dann 4 Tage hier in einer Cabin, wo D. auch kochen konnte, was sie heute Abend bes. gut tat. Wieder die Ruinen gesehen, mit etwas bess. Verständnis, nachdem ich nun anderes Indian Country gesehen habe. Es ist paleolitisch, keine Geschichte, daher viel weniger interess. als die Mayas oder Incas wären. Es wäre so fein, nach Yukatan reisen zu können.

Unsere Reise ging glänzend. Es war schön in den Smoky Mts durch Texas, in Taos was wir via den herrl. Red River Canyon erreichten. Dann 2 Tage in Los Alamos, das eine erstaunliche Veränderung erfahren hat. Viel mit Ulams beisammen & mit Bradbury, dem Direktor. Becks auch gesehen; sie wollen ihr Lot in P. verkaufen. Ich denke ernstlich daran, es zu erwerben; liegt an Ellen Rd (100x200) und dann müsste man bald bauen, denn in der Colonie wird es nicht auf die Dauer gehen. Ich will mir das sofort in P. ansehen.

Wir waren auch am Grand Canyon, wo D's Geburtstag war. Ich gab ihr eine Parker 51 die sie sich sehr gewünscht hatte, & in L.A. eine Kette von Turkuisen die ihr blendend steht. Sowie einen Strohhut & ein Büchlein über moderne Architektur. Die Wüste hat mir wieder sehr zugesagt. Das Auto hat sich wunderbar benommen und man kann weit & viel ohne grosse Ermüdung reisen.

Ich lese meistens Geschichte und denke viel darüber nach. Man wird sehr skeptisch. Los Alamos trägt bes. dazu bei: Ich bin mehr denn je davon überzeugt, daß noch in den nächsten 25 Jahren ganz phantastische Umwälzungen in der Welt kommen werden. Interessant ist es aber, etwa für 500, 10000 Jahre vorauszuspekulieren. Wie doch sofort die Vorstellungskraft versagt – schon bei 50 oder 100. Man denke bloss, daß die Biologie Fortschritte von der Art derer der Physik macht und daß sie ähnlich angewendet werden. Die ökon-sozialen Umwandlungen auch werden von unvorstellbarer Natur sein. Man muß sich fragen, ob die Ausarbeitung von "Theorie" für unser so sicher einer tiefen Umwandlung ausgesetzten Wirtschaft viel Sinn hat. (Was man hat, bezieht sich ohnehin auf etwas das passé ist oder nie existierte – ganz abgesehen davon, daß es auch dann falsch ist.) Die Th. der Spiele jedoch wird diese kommenden Zusammenbrüche überleben.

Ulam hat einen Ruf nach Harvard. Er möchte, daß ich in ein Comité in L.A. kooptiert werde, dem er, Johnny, Bradbury angehören. Sie haben keinen Ökonomen darin & er spekuliert über allg. Consequenzen der Atomenergie in beiden Verwendungen. Das wäre ausgezeichnet, aber ich kann nichts dazu tun. Er kommt nach Boulder & dort können wir das besprechen.

Wir fühlen uns beide wohl. D. hat keine Schwierigkeit mehr mit der Höhe (ca. 7500): Ouray ist etwa dasselbe. Von Los Al. machten wir mit Ulam einen Ausflug nach Frijoles; bezaubernde Fauna. Hier hatten wir 2 x Picknick bei Sonnenuntergang bei wolkenlosem Himmel. Unvergesslich. Ich bin sehr an Süditalien erinnert & dachte an De Viti in Apulien in 1934. – Am 28. werden wir in Boulder sein; das ist nicht sehr weit.

Ich habe nichts in Ökon. gearbeitet, nur etwas über die Modelle nachgedacht. 2 Kapitel meines MSS haben die Reise mitgemacht-.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1949-50, Eintrag 1949-08-20
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.31)