OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1950-53 / 1950-10-30

Princeton, N.J. 152 Westcott Road Tuesd. 30. Okt. 1950

So viel Zeit vergangen seit der letzten Eintragung. Dieses Heft habe ich durch 6 Staaten Europas herumgeschleppt & keine Zeit zu Eintragungen gehabt. Das ist sehr schade, weil es viel zu bemerken gegeben hätte. Aber es war so anstrengend, daß ich kaum genug Schlaf fand und totmüde wiederkam. Ich fuhr am 20. Sept. ab, & hatte schon Halsweh. In England wurde daraus ein schrecklicher Schnupfen und Husten. Das ging so in Holland weiter. In Frankfurt hörte der Husten etwas auf aber los bin ich ihn erst in Italien geworden, wo es mir besonders gut ging. In Salzburg traf ich Hannchen und Vatel, und wir verbrachten einige besonders angenehme Tage. Sie freuten sich unbeschreiblich. Mit Muttel habe ich telefoniert & sie schien sichtlich zufrieden sein, daß wir 3 uns treffen konnten.

Nun wieder hier, wie geplant 3 Wochen & 2 Tage abwesend. Dorothy geht es gut, aber sie muß sich manchmal zu sehr abhetzen. Sie schaut aber blendend aus und so viele Leute sagen, wie schön sie bes. jetzt ist. Carl wog heute über 13 ¾ Pfund und blüht & gedeiht. Er folgt uns mit den Augen & dreht den Kopf nach uns, lächelt, hat die ersten Tränen, macht Laute, als ob er sprechen möchte und bewegt sich kräftig. Alle Leute die ihn sehen scheinen sehr zufrieden zu sein und finden ihn weit über sein Alter entwickelt. Er wacht etwa um 6h früh auf & Abends um 10h geht er schlafen, so daß es nicht zu schlimm ist. Ich füttere ihn oft in der Früh, so dass D. länger schlafen kann. Aber es ist immer schwierig sie dazu zu bringen. 4 Wochen hatte sie eine Nurse, aber jetzt ist sie schon 2 Wochen allein; es ist viel Arbeit mit dem Haus. Dazu kam, daß ich so müde war als ich heim kam und erst jetzt anfange mich normal zu fühlen. Es zeigt sich auch, daß ich keinen Urlaub hatte & die ganze Zeit so viel los ist. Zu viele Besuche etc. Jetzt fängt es sich aber zu lichten an. Ein Bericht an die Navy (Gutachten über Munitions Bd. Schema) gemacht, morgen Bericht an Rigby (pro forma), die meiste Korrespondenz aus dem Wege, Schumpeter Obituary Notizen angefangen), so daß dann die Rückkehr zur Organiz. Theory möglich ist und ich mich laufend mit dem Bande des Proj. beschäftigen kann. (Mögl. Titel: "Economic Programming: Theories and Techniques".) Das grosse MS muß nach N.Y. geschafft werden, sowie ich mir die neuen Seiten angeschaut habe & die Liste der Graphika abgeschrieben ist. Viell. nächste Woche.

Später mehr. Nun Dinner.

Ich flog von Westover Field nach Burtonwood etwa 15 miles von Manchester (via Azoren). Dann nach Amsterdam & via Utrecht nach Driebergen, wo die Conf. war, die Tinbergen arrangiert hatte. Etwa 25 Leute nahmen teil u.a.: Frisch, Leontief, Koopmans, Divisia, Stone, Barna, etc (Schneider). Es war ziemlich Propaganda für Leontief und etwas bes. ist nicht dabei herausgekommen. Ich sprach 3-4 mal, mit Schwierigkeiten, wegen meines Hustens. DeWolff machte viel Aufhebens mit meiner "Accuracy". Von den Spielen hatten sie gehört, aber Tinbergen, Frisch etc. wollen davon nichts wissen, weil es sie stört. Tinbergen & seine Schüler machen die wildesten Modelle; auf 70 variablen oder so kommt es gar nicht an. Es ist beängstigend das zu sehen. Das Wetter war scheusslich, die Zimmer kalt, das Essen grässlich, kurz es tat mir gut von dort wegzukommen. Ich war kurz im Haag beim US Nav. Attaché & im Mauritzhaus, wo es viele schöne Bilder aber keine Beleuchtung gibt. Dann in Amsterdam übernachtet und am morgen mit Flugzeug nach Frankfurt (Hotel Charlton). Dort sah ich Vosslers. Er lag im Bett mit Magenverstimmung, aber es ging eine Unterhaltung zu haben. Sie war sehr nett & ich hatte 2 Mahlzeiten dort. Die Wohnung ist nicht ideal, aber interessant.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1950-53, Eintrag 1950-10-30
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.32)