OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
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tagebücher / 1950-53 / 1950-12-29

Freit. 29. Dez.

Gestern Früh kam ein Kabel, daß Muttel am Weihnachtstag gestorben ist – so wenig wussten wir, als wir hier beisammen waren. Wir hatten noch einen Brief gehabt, der Besserung meldete, meist als Folge einer Bluttransfusion, die Hannchen gab. Aber es war das letzte Aufleben. Nun ist die Arme von ihrem langen, schweren Leiden erlöst. Wie gut, daß sie noch Carl erlebt hat & daß wir 1948 in Wien waren. Heute ist das Begräbnis am Hietzinger Friedhof (offenbar am evang. F., da sie im evang. Hospiz war). Dort wollte sie es selbst. Ich weiss nicht, warum sie 2 Tage mit dem Absenden des Kabels gewartet haben. Hoffentlich halten Hannchen & Vatel den Kopf hoch und erleiden nicht zu viel. Die Armen werden eine grosse Leere fühlen & Vatel wird es am meisten spüren. Für H. wird sich auch das Leben sehr ändern und wieder normaler werden können, nun die grosse Last der Verantwortung gewichen ist. Hier ist uns das alles fern. Aber es kommen mir alle die vielen Erinnerungen, von Kindheit an und ich sehe was für eine gute, wohlmeinende Mutter sie uns gewesen ist. Ich glaube, daß wir immer unsere Pflicht erfüllt haben. Vielleicht hätte man noch mehr aus sich herausgehen sollen um Liebe, Zuneigung & Dankbarkeit mitzuteilen. –

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1950-53, Eintrag 1950-12-29
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.32)