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tagebücher / 1955-57 / 1955-11-30

Mittw. 30. Nov.

Die Pause hat einen bitteren Grund: Am 18. Nov. sagte mir Dorothy, daß Klari telephoniert hatte: Johnny's Krebs ist wieder ausgebrochen, man hat 4 Stellen im Rückgrat gefunden. Er hat bereits Gehbeschwerden. Dorothy hatte die Nachricht 2 Tage von mir ferngehalten, da ich gerade dabei war den HWB Aufsatz fertig zu schreiben. Ich rief ihn sofort an. Man hat es nun auch seiner Mutter mitgeteilt. Klari war Do. ganz gebrochen, aber Freitag etwas zuversichtlicher, nachdem sie wieder mit Shield Warren gesprochen hatte. Montag flog ich nach Boston, wo Johnny im Deakoness Spital war. Es war jammervoll! Zeitweilig ganz der Alte, dann ganz düster. Die Tests strengen ihn an. Man glaubt nun, daß der Herd in der Prostata ist & gibt ihm Hormone dafür, & bestrahlt den Rücken. Als ich etwas zu Johnny sagte, antwortete er: "Der Zeitpunkt für das Tragische ist noch nicht gekommen." Ich verbrachte Mo. & Di. viele Stunden mit ihm. Jetzt will er nächsten Sommer von der AEC zurücktreten & ein Angebot von MIT annehmen. Er habe noch so viel zu tun (Math.; Automata). Falls die AEC Zeit nur 4-5% seines verbleibenden Lebens sei, wäre es ihm recht dort zu bleiben, aber nicht 40%. Wir besprachen alles ganz offen. Er weiss aber nicht (?), daß die neuen Stellen im Rückgrat sind. Er ist sehr gefasst. Manchmal, häufig, wenn man mit ihm spricht, vergisst man ganz was los ist. Dann ist der Schock jedesmal wieder da. Warren sagte (wörtlich) zu Klari, Marina und mir: "We must hope that the progress now being made in the Laboratories, will be in time to help him." (Warren ist aber ein Schwarzmaler, sagt man.) Di. assen wir mit Johnny Nachtmahl im Hotel, aber nach 1 ½h wollte er wieder ins Spital & Bett. Mittw. Abend fuhren sie nach Wash.; er schlief die ganze Nacht & am Tage wieder 5-6 Stunden. Freitag fuhr ich nach Wash. zur AEC. Johnny und ich sprachen, aber er konnte sich offenbar nur mit Schwierigkeiten konzentrieren. (Ich sah auch andere.) Dorothy kam Sa. Mittag & am Nachmittag gingen wir zu Neumanns wo noch Marina, Bob Whitman (ihr Verlobter), 2 Domanyis waren & bald kamen Libby & Frau. Johnny war in sehr guter Form, ermüdete aber sichtlich. Er nahm mich noch mit in sein Zimmer, sprach über seine Krankheit, über die Zukunft, & wollte mich irgendwie nicht gehen lassen. Ebenso als Dorothy ihm adieu sagte.

Die Katastrophe ist immens. Noch besteht Hoffnung und man denkt an viele Fälle wo alles gut ausgegangen ist. Aber der Schleier, der sich über unser Leben gelegt hat ist dicht. Ich tue, was ich kann, um Johnny zur Seite zu stehen. Klare sagt, daß er immer nach mir verlangt & ihm von seinen Freunden keiner näher stünde.

Thanksgiving waren Dorothy's Elter hier & es war bes. angenehm. Am Abendkamen Kemeny's zum Supper. Nachher auch noch Gödel auf eine Stunde.

Sonnten fuhren wir um 2h aus Wash. ab & gingen am Abend zum Supper zu Kilgores (etwa 20 Leute) (darunter ein bes. dummer Mann, Lee, Advert.s bei McCall). Kilgores sind beide sehr nett. Das W.S.Journ. ist sehr erfolgreich; jetzt drucken sie es auch in Wash.

Lunch mit Wigner, den ich auch So. vor 1 Woche sah. Wir sind uns in den letzten Wochen viel näher gekommen. Viel über Johnny & die AEC diskutiert. Wigner meint die AEC brauch ein internes Permanent Policy Committee. Er hat das schon Johnny vorgeschlagen & würde sogar selbst auf 2-3 Jahre hingehen. Er hat etliche Notizen, die er mir geben wird. Heute rief Mr. Thornton an (Chef of Op. Res. in AEC); ich werde Montag nach W. fahren; sprach mit Johnny dessen subj. Befinden gut ist. Wir verabredeten uns für Montag.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1955-57, Eintrag 1955-11-30
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.34)