OSKAR MORGENSTERN TAGEBUCHEDITION //
[home]––[info]––[tagebücher]––[personenverzeichnis]––[impressum]
diary-page
diary-page
diary-page
diary-page
tagebücher / 1959-60 / 1960-06-11

Sa. 11. Juni

Gestern Vorlesung, die ganz gut ging. Nun muß ich die 1-2 über Spektralanalyse ordnen & das ist keine Kleinigkeit. Um ½ 2 bei Dr Fahrländer für einen allg. Check-up. Do. war List Gesellschaft wo ein Min. G. Bauer lang, endlos lang über die OEC sprach, gemildert durch das Französische. Disk. nichts bes. Nachher Supper im schönen Wildt'schen Haus, sass mit Beckenrath & den Zimmermanns, sprach länger mit Guedin (Präs. der BIZ), dem am. Konsulat etc. Donnerstag. auch bei Guth's zum Lunch, sehr nett & freundlich. Ihr Vater, Dreyfuss, war gestern in meiner Vorlesung.

Gestern abend, auf Drängen Beckeraths, im Kino: La dolce Vita. Viel zu lang, sehr gut & grässlich zugleich. Was für Degeneration gezeigt wird & dabei doch so primitiv (natürlich die potentielle Zensur setzt Grenzen). Immerhin: Für das plagen sich so viele Leute, um diese Welt zu erhalten. Ist sie es wert? (Aber drüben gibt es das gleiche Gesindel, halt andere Leute & Komposition.)

Die internat. Lage ist ganz verworren. Hagerty in Tokio blockiert, doch Eisenhower geht. McMillan hofft auf weitere Summit Conf.; Khruchew tobt maßlos, Herter ist hilflos, Rockefeller kandidiert wieder, Streiks in Frankreich now.

Ich traf einen Herrn Pratt (?) ex Öst. Nationalbank: Ende Juni wird Kamitz ihr Präsident.

Heute ist Empfang der BIZ.

Hoffe sehr auf weiter Briefe aus Princeton. Mir gehen alle sehr ab; ich kann diese langen Trennungen nicht ertragen, habe es niemals gern gehabt, aber jetzt immer weniger. Es ist als ob ich nur zum Teil lebte. Meine Arbeit geht auch nicht so gut, trotzdem ich mehr Zeit habe.

Heute bei Dr Fahrländer gewesen. Check-up. Ich finde er ist viel besser als DeWitt Smith. Gründlicher, weiss mehr. Er fand mich in guter Verfassung. Wert über Blut, Cholest., etc. erst Dienstag. Ich erzählte von Dorothy's Anfall im Spital. Er sagte sofort, dass dies gar nichts mit Hysterie zu tun hat (wie der Spitalsarzt angab), sondern lediglich "overbreathing" gewesen sei, das nach Operationen oft vorkommt, dem Patienten grosse Angst einflösst. Es kommt zu einer Verschiebung der Kohlensäurebasis & des Mineralgleichgew.; jeder gesunde Mensch kann den Zustand (mit Versteifung der Hände & allem) binnen 5 Minuten hervorrufen. Es freut mich zu hören, daß Dorothy keine weiteren Beschwerden hat, aber sie ist ganz falsch informiert worden. Ich will sie zu ihm schicken. Sie soll "Librium" nehmen, von dem er viel hält, ein neues Präparat von La Roche-Hoffmann. Es regt während des Tages an & produziert besten Schlaf bei Nacht.

Ich wünschte Dorothy & Carl wären hier. Und die kleine Karin – die mich sicher schon ganz vergessen hat! Ich habe nicht einmal anständige Photos.

Jetzt komme ich mit den nächsten 2 Vorlesungen zu Rande, bes. Spectraltheory. Salin sagt, daß die Studenten sehr zufrieden sein, auch folgen konnten. Das wird etwas schwieriger werden.

Jetzt gehe ich zu einer Cocktail Party der BIZ, die M. G. Guindey im Wildschen Haus gibt.

Habe mir ein Buch über Lichtenstein gekauft, über den ich schon lange mehr wissen wollte.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1959-60, Eintrag 1960-06-11
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.36)