Wien, 2. Okt. 65.
Wir wohnen in Grinzing, Lotheisseng. 25, einem netten Haus (4 Jahre alt), mit Garten unter den Weingärten. Die Besitzerin, Fr. Demmer, geschieden, etwa 40, wohnt auch im Haus das sie in Ordnung hält & wenn nötig Babysitter ist. Miete ist hoch ($ 400,- = 10 000,- Sch.!) Aber alles andere war abscheulich oder gar nichts sonst zu finden. Nachteil: ich habe keinen Arbeitsplatz; aber der ist im Institut. Täglich um ½ 9 ins Büro. Dorothy begleitet mich zur Grinzingerstr. zu Fuß. von wo ich mit Frau Pawloff ins Büro fahre & um 5h wieder dort abfahre (mit Ausnahmen). Die Arbeit mit Kolb geht gut, ich bin optimistisch daß das Inst. funktionieren wird, aber ich finde alles etwas eintönig. Das Leben in Princeton ist interessanter. Dorothy ist zufrieden, Carl mit der Schule ebenso, Karin guter Dinge & lernt fleissig. Carl hat noch Russisch privat & nimmt das sehr ernst; hatte 2 Math. Stunden mit Dr Baron (Diendome's Buch) aber irgend etwas klappt nicht. Der Mann inspiriert nicht, was Dr Küssel tut, der ihn Russ. unterrichtet.
In Le Havre fanden wir einen Opel "Diplomat", ausgezeichneter Wagen. Dinner in Yvetot, Übernachtung in Ronen, L. in Geauvais, Nachts in Bar-le-Duc, wo ausgezeich. Essen (ich brach einen Zahn!) & sehr primitives Hotel (wo Otto v. Habsburg auch gewohnt hat ("Duc de Bar"). Nancy, sehr schön, ebenso Strassbourg, Übern. in Baden-Baden, L. in Augsburg, Nacht am Wolfgang See; dann Wien über St. Gilden, Gmunden, St. Florian (prächtig). Die Kinder waren sehr gut trotz üblicher Häckelei & alles gefiel uns sehr.
Im Institut viel Arbeit, viele Leute, mehrere Reden (noch weitere zu halten). Anfang der Pläne & Kontakte. Kolb macht keine Schwierigkeiten, die jungen Leute von rührender Aufnahmefreudigkeit. Sagoroffs Erbe ist z.T. übel, Geldverschwendung & alberne Dinge, aber immerhin ein Grundstock ist da. Mit Pfanzagl gesprochen; er ist interessiert, würde auf 1 Jahr auf Urlaub gehen & ausprobieren. Gute Möglichkeit. Kein besserer Kandidat ist mir eingefallen. Die Studenten sind aufgenommen, Vorlesungen beginnen Montag, bleibt die Anlegung einiger Res. Projekte worüber ich nachgedacht habe & glaube gute Ideen. Sodann Wahl eines Lehrplanes & die Prof. für 66/67 on. Stone werde ich wohl sehr positiv raten können. Er sagte daß es ganz von mir abhängt ob die F. F. mehr Geld gibt.
Heute von Dr. Minc (Warschau, Ak. der Wiss.) besucht & eingeladen. Werde im Nov. hinfliegen & Vortrag halten & über Inst. verhandeln. Sie wollen mitmachen, auch 2-3 Hörer senden. Das wird Stone sehr zusagen. Ebenso Reisen nach Prag & Budapest geplant.
Kamitz kurz gesprochen; Er flog zum IMF. Kreisky wollte mich diese Woche zum Lunch (allein), aber ich fliege nach Düsseldorf, Disk. in Mommsens Haus über "Wandlungen d. Gesellsch. Struktur der US"). Von Prinz Carl Alfred gehört (war verreist) & wir sollen ja nach Vaduz, der Fürst ladet uns ein. Mein Buch ist im Physica Verl. erschienen (DM 42,-!!), sieht gut aus.
Vor 8 Tagen alle plus Hannchen auf der Rax, dann Südbahnhotel, Hirschkogel. Sehr schön alles. Hans Wolf in Breitenstein besucht. H. ist schwierig, leicht beleidigt & etwas konfus. So waren z.B. alle ihre Wegangaben falsch. Ich fürchte, sie ist nicht gut beisammen; ihre wesentliche Beschränktheit & ihr Eigensinn kommen mit dem Alter (60) mehr zum Ausdruck.
Mit Dorothy einige bes. nette Lunches in der Stadt (Sacher (am besten), Cog d'Or (so-so), Imperial (gut)). Ich bin sehr froh, daß es ihr so gut gefällt seit wir P. verlassen haben. Ich denke oft an P. & Bluff Point Cove; ich wäre lieber dort. Viell. wird es hier noch interessanter in einem positiven Sinn. Die geistige Einöde ist erstaunlich, obwohl etliche Oasen. Ich will versuchen wenigstens im Institut etwas wie eine Atmosphäre zu schaffen & es gibt Zeichen, daß dies gelingen könnte. Ich bin froh, daß ich von der F. F. bezahlt werde & nichts vom Institut nehmen brauche. Eine großartige Stärkung meiner Stellung.
Carl wird sehr unabhängig. Die Stadt lockt ihn; er fühlt sich wohl in der Schule (hat interessantere Mitschüler). Ich kaufte ihm eine Guitarre. Nun braucht es nur mit der Math. zu klappen. Und zuerst hasste er die Idee auf 3 Mon. nach Europa zu gehen. Die vielen Eindrücke werden ihn sehr befruchten.
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.39)



