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tagebücher / 1965-66 / 1965-12-28

28. Dez. Dienstag

Heute reiten gewesen; Bingo. Das erste Mal seit Juni, seit vor meiner Operation. Es war sehr schön, Sonne, kalt aber nicht zu kalt; das Pferd eifrig; zuerst bis zum Hangar, dann zu Aalls. Nach dem Bad & Lunch angenehme Müdigkeit & Schlaf. Viel in Sorensens Buch über Kennedy gelesen (schon in P. über die Cubakrise). Das Schlesingerbuch habe ich auch (in P.); er kommt auf 4 Monate ans Institut. S. ist gut, gleitet aber über vieles hinweg & macht ihn grösser als er wohl war – begreiflich. Ich frage mich wie K. & ich aufeinander reagiert hätten, oder falls ich ihm wenigstens die "Question" geschickt hätte. (Ich schickte die Accuracy, auf die Heller dumm antwortete.) Es gab doch eine grosse Parallelität unserer Auffassungen, & ich habe vieles viel früher gesagt.

Noch über Wien: Der Univ. Vortrag ging gut, ebenso in Mannheim (wo mir Borchardt bes. gefiel & ich Waffenschmidt sah, der alt ist, aber anhänglich & noch immer ganz bei der Mechanik) & in Cöln, mit Pfanzagl viel diskutiert – er wird das Institut sehr in die Hand nehmen, aber leider nur 1 Jahr bleiben. Adam war auch z.T. mit uns, beide sind sich über die Wr Univ. im klaren, insbes. über Sagoroff, Winkler etc. Ich werde Ende März wieder nach Wien fliegen & Pfanzagl zu der Sitz. des Comités einladen. Stone kam nach Wien, hielt einen guten Vortrag über Priv. Stiftungen (aber werden sich die Leute das merken? Warum kann der dumme Unterrichtsmin. nicht?!), war sehr froh über das neue Instit.leben (seine grosse Investition erscheint gerettet), meinte ich solle Herbst 66 ins Kuratorium statt Burkhardt der zurücktreten will, & weiter im wiss. Beirat. Dieser tagte auch. Aber Toman & Lazarsfeld, bes. letzterer, machen wenige Vorschläge.)

Kolb bewährt sich, hat aber viele kleinliche bürokrat. Züge, jedoch viel besser als die furchtbare Konfusion die Sagoroff hinterliess. –

Dann in Basel gesprochen. Vor dem Offiziersverein; sehr gut besucht, erstaunlich lebhafter Beifall & nachher noch viel Kommentar. Sogar Dr Zschokke, der Reg. Rat für Univ. Angelegenheiten, kam & wir diskutierten nachher noch lange. Salins gesehen; es geht ihm wieder besser nach Beinhautentzündung. Bei Prognos zus. wo es lebhaft weiter geht. Salin will ein Gehalt haben & verdient es. Im April kommen beide nach USA; ich will ihm 2-3 Vorträge verschaffen. Sie möchten gern Blue Mt. Lake sehen.

Ich fuhr die Fam. von Wien via Salzburg n. Frankfurt wo wir 2 schöne Tage mit Vosslers hatten. Die Kinder gefielen ihnen sehr. An einem Tag fuhren wir via Lich nach Laubach zum Tee. Sehr schön das grosse Schloss wiederzusehen. Der Graf ist leidend, aber war sehr nett. Er hat 20 000 ha Wald allein (Langau ist 13 000 ha); dazu noch Landwirtschaften. Die Bibl. hat 60 000 Bände. Viel herrl. Einrichtung, Gemälde aus Dürers Zeit, damals von den Vorfahren erworben. Das Schloss hat über 200 Räume. Wir trafen viele Söhne, Neffen usw. Besuchten auch das Kriegsdenkmal, das ich schon im Werden gesehen hatte. Bittas Tante, eine Fürstin Sohns, war gerade gestorben, so fuhren wir allein in fürchterlichem Regen n. Frankfurt. Am folgenden Tag trafen wir uns viel. Gutes Gespräch mit Otto wie immer. (Ich fragte, was für bleibende Leistung Napoleon hinterlassen habe. Nach längerem Zögern meinte er: Code N. – und nicht einmal den hat er geschrieben. (Man lese B. Brecht in den Kalendergeschichten über Alexander, Caesar etc.!) Ottos Buch über de Tocqueville geht vorwärts aber ihr Haus in Castell bereitet immer noch Schwierigkeiten. (Wenn ich denke wie schnell & gut Bluff Pt. Cove gebaut wurde!!) Beide Vosslers sind uns sehr lieb & es besteht ein denkbar bestes Verhältnis. Mit ihnen 6 ganz wenigen anderen geht es – aber sonst mag ich es nicht in Deutschland. Ich komme über die Nazis nicht hinweg 6 traue dem Neuen auch nicht. So viele Zeichen des Nationalismus, der Revanche, des Vergessen-Wollens. Ich fühle mich unbehaglich. In Österr. auch, aber in einem anderen Sinne, & etwas schwächer.

In Frankfurt mit R. Selten & Tietz beisammen; über Spielexp. gesprochen, die S. für mich in Wien in Gang bringt. Mit ihnen zus. Carl einen grossen Radioapp. gekauft ("Satellit", Grundig, Kurzwellen etc. etc.); er sehr glücklich. Dann nach Rotterdam mit Ausflug nach Haag (Mauritshuis) & die Fam. fuhr ab mit der New Amsterdam wo ich sie in N.Y. abholte. (Ich flog von Basel-Zürich n. N.Y., von Grabowski abgeholt.) Das Schiff war mässig, aber sie waren nicht krank trotz hoher See.

In Köln Predohl gesehen. Er war braun von einer Mittelmeer Reise. Ganz nett, trotz seiner enormen Selbstkonzentration.

In P. viel Arbeit, bes. Ma (wo es gut geht) & die verschied. Sachen in Gang gebracht. Regina ist auf 4 Wochen Urlaub nach Berlin. Bei MRCA, Dr Master gewesen (sehr zufrieden) & bei Stone für den ich nun Bericht schreiben muß. Er war sehr nett; aber ich mußte ihm helfen das Ansuchen für die 4. Rate der 1. Mill. zu schreiben; es ist nicht automatisch wie die Wr sich das denken. Dann kommt das wirkl. Gesuch für das nächste Geld.

Oskar Morgenstern Tagebuchedition: Tagebuch 1965-66, Eintrag 1965-12-28
(Zugriff über http://doi.org/11471/319.25.39)